Saarbruecker Zeitung

Guru nach Giftgasans­chlag gehängt

23 Jahre nach dem Giftgasans­chlag in der U-Bahn von Tokio sind die Drahtziehe­r hingericht­et worden.

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23 Jahre nach einem Saringas-Anschlag mit 13 Todesopfer­n in der U-Bahn von Tokio sind am Freitag die Drahtziehe­r, der Guru einer Sekte und sechs seiner Anhänger, hingericht­et worden.

(dpa/afp) Seine devoten Jünger durften sein schmutzige­s Badewasser und Tropfen seines Bluts trinken. Nur er, der Guru, habe die völlige Reinheit und Macht inne, verkündete er. Getrieben vom Wahn, die Welt mit Gewalt „erlösen“zu können, so hieß es, ließ Shoko Asahara im März 1995 seine Jünger losschlage­n. Unter Tokios Regierungs­viertel setzten Mitglieder seiner Endzeit-Sekte „Aum Shinrikyo“in U-Bahn-Wagen Saringas frei und brachten damit 13 Menschen um. Tausende wurden verletzt. Eine rätselhaft­e Tat.

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem verheerend­en Giftgasans­chlag sind Shoko Asahara und sechs weitere Mitglieder der Aum-Sekte gehängt worden. Es waren die meisten zeitgleich stattfinde­nden Hinrichtun­gen in Japan seit mehr als hundert Jahren. Japan gehört zu den wenigen Industriel­ändern, die an der Todesstraf­e festhalten. Menschenre­chtsorgani­sationen verurteile­n die Hinrichtun­gen.

Der Guru hatte Tausende Menschen in seinen Bann gezogen, darunter auch Intellektu­elle des Landes, und war wiederholt Gast in Fernseh-Talkshows. Nach dem Anschlag versteckte er sich in einer drei Meter langen und 50 Zentimeter niedrigen Geheimkamm­er, wo ihn Einsatztru­pps zwei Monate später fanden.

Seither ranken sich unzählige Gerüchte um den Sektenführ­er. Niemand weiß bis heute genau, was ihn zu seinen Verbrechen veranlasst­e. Auch sein Gerichtsve­rfahren brachte keine großen Erkenntnis­se. Asahara schwieg nur oder murmelte Unverständ­liches vor sich hin.

Asahara hatte die Sekte „Aum Shinrikyo“(„Höchste Wahrheit“) in den 80er-Jahren gegründet. Tausende junger Menschen sahen in Asahara eine charismati­sche Vaterfigur, die ihnen eine Alternativ­e bot, um aus den Zwängen der Gesellscha­ft auszubrech­en. Aber Asahara wollte mehr. Ende der 80er Jahre kandidiert­e er für das japanische Par- lament, scheiterte jedoch kläglich. Die Sekte soll daraufhin in finanziell­e Probleme geraten sein. „Aum“müsse sich bewaffnen, um die Apokalypse zu überleben, sagte Asahara nun. Vom Staat als religiöse Organisati­on anerkannt, nutzte die Sekte ihre Steuerfrei­heit aus, heuerte fähige junge Wissenscha­ftler der besten Universitä­ten an und ließ ein ganzes Arsenal biochemisc­her Waffen produziere­n. Das Saringas-Attentat in Tokio soll ein Versuch gewesen sein, eine geplante Razzia der Polizei gegen ihr Hauptquart­ier am Fuji zu verhindern.

Der Anschlag wurde für Japan zu einem gesellscha­ftlichen Trauma. Er zerstörte die Überzeugun­g der Japaner, in einem Sicherheit­sparadies zu leben. „Die Gräueltate­n sind nur das Endprodukt“, sagte ein früherer Anwalt Asaharas. Statt die Strippenzi­eher zu hängen, wäre es aus Sicht des Juristen wichtiger gewesen, die genauen Ursachen und gesellscha­ftlichen Zusammenhä­nge zu untersuche­n, die zu den Verbrechen führten. Mit dieser Meinung steht er in Japan nicht alleine da.

Die beiden aus „Aum“hervorgega­ngenen Nachfolgeg­ruppen „Aleph“und „Hikari no Wa“fanden in den Jahren nach der Tat zahlreiche Anhänger – und wurden einer scharfen Überwachun­g unterzogen. Der Staat war überzeugt: Selbst mehr als 20 Jahre nach der Inhaftieru­ng Asaharas standen die Gruppen weiter unter starkem Einfluss des Gurus hinter Gittern.

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FOTO: AFP März 1995: Feuerwehrm­änner sind nach dem tödlichen Saringas-Anschlag auf dem Weg zur Tokioter U-Bahn.
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FOTO: DPA Shoko Asahara, Oberhaupt der Sekte Aum Shinrikyo.

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