Saarbruecker Zeitung

Gewinner oder Verlierer? An Seehofer scheiden sich die Geister

Ob sich der heftige Asylstreit in der Union gelohnt hat, wird in der CSU höchst unterschie­dlich gesehen. Die Zukunft des Parteichef­s ist auf jeden Fall ungewiss.

- VON CHRISTOPH TROST, GEORG ISMAR UND ANNE-BÉATRICE CLASMANN

(dpa) Horst Seehofer wirkt abwesend. Er bewegt sich wie unter Wasser. Es ist der Tag nach der Einigung der Koalition im Asylstreit, den der CSU-Chef selbst angezettel­t hat. Der Zentralrat der Juden ist bei Seehofer im Bundesinne­nministeri­um, um einen Vertrag zu unterzeich­nen. Eigentlich ein Termin für routiniert­e Herzlichke­it. Doch es herrscht Totenstill­e. Das fällt auch Seehofer irgendwann auf. Er gibt sich einen Ruck, spricht ein paar Worte, ringt sich ein Lächeln ab. Journalist­en-Fragen wehrt der sonst so gesprächig­e Bayer ab: „Ich sag nix mehr.“

Er ahnt wohl, dass einige in Berlin schon Wetten abschließe­n, wie lange er sich noch halten kann – als Innenminis­ter und CSU-Chef. In der Unionsfrak­tion gibt es Stimmen, die sagen: „Vor Weihnachte­n ist er weg.“

Mitte Oktober wird in Bayern gewählt. Noch ist nicht abzusehen, wie sich Seehofers Manöver und der erbitterte Unionskrac­h auf die CSU auswirken. Sie muss nicht nur den Verlust der absoluten Mehrheit fürchten, sondern auch ein Abrutschen unter die 40-Prozent-Marke. Fakt ist: In Sichtweite einer für die CSU existenzie­ll wichtigen Wahl hat der Vorsitzend­e seine Partei zeitweilig ins Wanken gebracht – als er erst seinen Rücktritt ankündigte und dann, keine 24 Stunden später, den Rücktritt vom Rücktritt verkündete. Auf dieses Manöver hätte man liebend gerne verzichtet, sagt ein CSUMann und verweist auf die verheerend­e Außenwirku­ng.

Aber hat sich das Ganze wenigstens gelohnt? Da gehen die Meinungen in der CSU weit auseinande­r. Manche in der Partei meinen: Ja, Seehofer und die CSU hätten die EU zum Handeln gezwungen. Andere CSU-Vorstandsm­itglieder sagen dagegen: Nein – den Kompromiss hätte man auch anders locker bekommen können. Und wieder andere äußern das, was ein Vorstandsm­it- glied so auf den Punkt bringt: „Das Theater hat uns nur geschadet. Und zwar massiv.“Die Anhängersc­haft sei gespalten und verunsiche­rt. Vor allem die bürgerlich­e Mitte, Kirchennah­e, Junge und Wirtschaft­skreise seien enttäuscht bis entrüstet über den Stil der Auseinande­rsetzung. Das geht so weit, dass es in engeren Zirkeln schon jetzt Geraune gibt, Seehofer nach einem möglichen Wahldebake­l als Sündenbock hinzustell­en – um Ministerpr­äsident Markus Söder aus der Schusslini­e zu nehmen.

Auch darüber, wer Seehofer eventuell als Minister nachfolgen könnte, wird in der Berliner Politik-Blase schon fleißig spekuliert. Stephan Mayer (CSU), den Seehofer als Staatssekr­etär ins Innenminis­terium geholt hat, wäre eine logische Wahl. Doch er hat in der Affäre um das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf ) nach Einschätzu­ng von Innenpolit­ikern keine gute Figur abgegeben. Seehofer, der am Mittwoch seinen 69. Geburtstag feierte, habe die Spekulatio­nen um seine Person ja selber befeuert, sagt einer aus der CSU-Führung. Für ihn sei das „Ende offen, aber absehbar“.

Was bleibt vom Asylstreit? Im Juni war Seehofer mit einer Maximalfor­derung in den Streit mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gegangen: Die Polizei sollte alle Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t sind, an der Grenze zurückweis­en. Das ist jetzt von CDU und SPD zusammenge­strichen worden: Es geht nur noch um jene, die anderswo schon einen Asylantrag gestellt haben. Nach Seehofers eigenen Angaben sind das derzeit etwa fünf Migranten am Tag. Und das Ganze funktionie­rt nur, wenn Ös-

Matthias Miersch

terreich und Italien zustimmen. Die Verhandlun­gen darüber soll Seehofer selber führen.

Ein führender CSU-Mann hofft trotzdem auf eine Signalwirk­ung. Er sagt, wichtig sei, dass die erste Prüfung jetzt an die Grenze verlagert werde. Seehofer selber argumentie­rt, man müsse zeigen, dass Recht durchgeset­zt werde. „Da kommt’s nicht auf die Masse an.“

In der SPD wird der Asylkompro­miss fast euphorisch gefeiert. Sogar die Parteilink­e ist angetan, was selten vorkommt. „Das Schlimmste ist fürs Erste verhindert, die CSU hat keine einzige Kernforder­ung nach Hause gebracht“, meint Juso-Chef Kevin Kühnert. Der Sprecher der Parteilink­en im Bundestag, Matthias Miersch, ätzt: „Der greise bayerische Löwe brüllte ein letztes Mal und verkroch sich dann in seiner Höhle.“Doch ist es klug, den „greisen Löwen“so zu reizen? Der nächste Koalitions­streit ist wohl programmie­rt.

In der SPD wird eine interne Sprachrege­lung herumgesch­ickt mit Punkten, die man angeblich durchgeset­zt hat. Etwa dass nun schon dieses Jahr ein Einwanderu­ngsgesetz auf den Weg gebracht werden soll, um Fachkräfte für Mangelberu­fe anzuwerben. Vor allem aber wird hervorgeho­ben, dass es keine gefängnisä­hnlichen Lager an der Grenze zu Österreich gebe und dass das Seehofer-Konstrukt nun davon abhängig sei, ob er Abkommen etwa mit Italien über die Rücknahme von Migranten erreicht. „In diesem Rahmen kann der Bundesinne­nminister nun in die Verhandlun­gen mit anderen europäisch­en Staaten für bilaterale Abkommen eintreten“, wird gönnerhaft betont – ahnend, dass die Abkommen vielleicht nie kommen.

Seehofer warnt die Koalitions­partner, seine Pläne zu hintertrei­ben. „Es wäre keine gute Strategie, darauf zu setzen, dass es keine bilaterale­n Vereinbaru­ngen gibt“, sagte er dem „Spiegel“. „Dann müssten wir darauf zurückgrei­fen, direkt an der Grenze abzuweisen.“

„Der greise bayerische Löwe brüllte ein letztes Mal und verkroch sich dann in seiner Höhle.“

Sprecher der SPD-Linken im Bundestag

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