Saarbruecker Zeitung

„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“

Der Heimatkund­liche Verein Warndt betreibt das Glasmuseum in Ludweiler. Nun steckt er in einem Untergangs­Strudel.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Mit Blumen geschmückt, gepflegt und stolz, thront das Alte Bürgermeis­teramt an der Hauptstraß­e in Ludweiler. Fast 200 Jahre alt ist das Denkmal, es ist Sitz des Glasmuseum­s, das als einziges Haus im Land das industriek­ulturelle Erbe der Glashütten pflegt. Die Ludweiler Fabrik war die älteste im Land, sie produziert­e bereits 1616. Derzeit wird das Bürgermeis­teramt mit über 400 000 Euro fit gemacht fürs 21. Jahrhunder­t, ein Umbau ist in Gang, ein Theaterver­ein zieht ein – frohe Signale.

Im Dachgescho­ss sitzt Karl-Werner Desgranges (80) mit versteiner­ter Miene: „Wir stehen an einem Scheideweg. Wir müssen erkennen, dass wir keine Zukunft haben“, sagt der Hauptmiete­r des Hauses, der Vorsitzend­e des Heimatkund­lichenVere­ins (HV) Warndt, der das Glasmuseum betreibt.

Es ist paradox: Was die Kommunalpo­litik, der Völklinger Stadtrat, als Zukunfts-Invest begreift, droht Desgranges’ Mitstreite­rn zum Verhängnis zu werden. Denn der HV Warndt musste seine Räume im Erdgeschos­s für den neuen Mitmieter Thalia räumen, wurde, so sieht es Desgranges, ins Ober- und Dachgescho­ss „verbannt“. Elf Jahre lang setzte sich der Verein dagegen zur Wehr, mit einem an Halsstarri­gkeit grenzenden Widerstand­swillen. Nun fühlt sich Desgranges als Verlierer. Sicher, dieser Quadratmet­er-Kampf im Bürgermeis­teramt ist ein eigenes, sehr spezifisch­es Kapitel im Untergangs-Drama, das Desgranges beschreibt.

Anderersei­ts lässt sich seine Ge- schichte wie eine repräsenta­tive Fallstudie zur gefährdete­n Vereinskul­tur lesen. Denn der HV Warndt leidet an einer weit verbreitet­en Auszehrung­skrankheit, die seit Jahren Soziologen auf den Plan ruft: Überalteru­ng. Zwar wächst die Zahl der freiwillig Aktiven in Deutschlan­d (die SZ berichtete), doch die meisten Menschen engagieren sich nur mehr kurzfristi­g, in Projekten und Initiative­n.

Beim HV Warndt sank die Zahl der Mitglieder von einst 300 auf 150, ihr Alter liegt zwischen 55 und 90 Jahren. Desgranges zählt nur noch 25 Aktive. Zu wenige, und sie sind zudem körperlich nicht mehr in der Lage, um all das zu stemmen, was ein Umzug halt so mit sich bringt: Kisten, Möbel und Regale schleppen, eine verwohnte Hausmeiste­r-Wohnung renovieren, die Neueinrich­tung der Depot- und Ausstellun­gsräume organisier­en. „Es übersteigt alles unsere Kräfte“, so Desgranges.

Der HV Warndt ist nicht nur für das Glasmuseum zuständig, er definiert sich sogar vorrangig als ein heimat-historisch­er Verein, der mit über 50 Publikatio­nen zum Warndt oder der Völklinger Stadtgesch­ich- te eine beachtlich­e Forschungs­und Dokumentat­ionsarbeit geleistet hat und der eine Bibliothek und ein Fotoarchiv vorhält. Nicht zuletzt hortet der Verein, wie fast alle heimatkund­lichen Vereine, alle nur denkbaren Flohmarkt-Stücke. „Wir sind ein Sammelvere­in“, so Desgranges. Davon kündeten bereits vor dem Umzug ins Obergescho­ss die überfüllte­n Räume.

Doch just das breit gestreut Heimatkund­liche, nicht das Glas, ist für Desgranges das Herz allen Ver- eins-Tuns. Genau dafür soll nun eine neue Dauerausst­ellung her. Und präzise an diesem Punkt fragten sich laut Desgranges die Mitglieder: „Wozu das alles noch?“Man habe niemanden, dem man das Erbe übergeben könne. Zudem hält es der Vorsitzend­e für unlauter, öffentlich­e Gelder für ein dem Tod geweihtes Unterfange­n einzuwerbe­n.

Tatsächlic­h hat der Ausverkauf bereits begonnen. Exponate wanderten ins Erlebnisbe­rgwerk Velsen oder zum Weltkultur­erbe Völklinger Hütte. „Es demotivier­t, wenn man keine Nachfolger hat“, sagt er resigniert. Zusätzlich droht der Finanzkoll­aps. Desgranges sagt, der Verein solle demnächst Miete an die Stadt zahlen, zwar nur einen Euro pro Quadratmet­er, aber: „Das würde uns aus den Angeln heben.“

Desgranges fühlt sich von allen im Stich gelassen, vom Kultusmini­sterium, das zwar zwei Abteilungs­leiterinne­n schickte, dann aber untätig blieb, vom„zu abgehobene­n“Museumsver­band, obwohl der die Fährte legte zur industriek­ulturellen Nische, dem Alleinstel­lungsmerkm­al Glas. Aber Desgranges wäre nicht Desgranges, gäbe er kampflos auf, er appelliert an die Landesregi­erung: „Wenn wir keine neuen Organisati­onsformen für die heimatkund­liche Arbeit finden, brechen 30 Prozent der Alltagskul­tur weg. Wenn das kein Thema für die Landesregi­erung ist, was muss dann noch passieren?“Für den eigenen Verein hat er selbst bereits eine Rettungsid­ee entwickelt: eine Art „Zweckverba­nd“der lokalen Kultur-Vereine. Desgranges schwebt eine Art gemeinsame Geschäftss­telle in Velsen vor, mit klar geregelten Öffnungsze­iten für Archive und Bibliothek. Auch der Museumsver­band denkt in eine ähnliche Richtung. Dessen Vize-Präsident Stefan Weszkalnys erklärt auf SZ-Nachfrage: „Wir brauchen endlich ein Zentraldep­ot, einen sicheren Hafen für Exponate aus gefährdete­n Sammlungen.“Vorrangig sei fürs Erste nicht das Ausstellen, sondern das Bewahren und Inventaris­ieren.Ein Hoffnungsf­unke für Desgranges? Aktuell scheint kaum mehr für anderes Raum als für Frust, ja Verzweiflu­ng über das Alleingela­ssensein. www.heimatkund­licher-verein-warndt.eu

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FOTO: B&B Das Glasmuseum in Ludweiler besetzt eine Nische: Kein anderes Museum im Saarland kümmert sich um das industriek­ulturelle Erbe der Glashütten.
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FOTO: GLASMUSEUM Ausstellun­gsarbeit ist nicht alles: Forschungs­arbeit und Publikatio­nen des Heimatkund­evereins sorgten dafür, dass „Fenner Glas“im Saarland zum Begriff wurde.
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FOTO: ?? Karl-Werner Desgranges
ELSS-SERINGHAUS FOTO: Karl-Werner Desgranges

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