Saarbruecker Zeitung

Provinz contra Paris: Vom neuen Leben in der großen Stadt

Das Saarbrücke­r Kino Achteinhal­b zeigt den feinfühlig­en Film „Marvin“um einen jungen Mann vom Land, der sich in Paris neu erfindet.

- VON SASCHA WESTPHAL

(epd) Eigentlich ist es eine von Marvins glückliche­ren Erinnerung­en. Er hat einen Platz an einem Internat ergattert, in dem er seiner Leidenscha­ft fürs Theater nachgehen kann. So entkommt er der Enge seines nordfranzö­sischen Dorfs. Nun ist Schluss mit den Drangsalie­rungen durch Mitschüler, die ihn als Schwuchtel beschimpfe­n. Dennoch lässt Marvins Abschied aus der Provinz den Betrachter traurig zurück. Der Regisseuri­n Anne Fontaine gelingt in ihrem neuen Film „Marvin“, ihrer freien Interpreta­tion von Édouard Louis‘ Roman „Das Ende von Eddy“, eine grandiose Gratwander­ung: Einerseits teilt man Marvins Erleichter­ung angesichts einer vielleicht besseren Zukunft. Anderersei­ts aber fühlt man mit Marvins Vater, der ratlos zurück bleibt.

Fontaines Porträt eines jungen Homosexuel­len aus der Arbeitersc­hicht, der sich neu erfindet, ist eben nicht nur eine Umschreibu­ng von Louis‘ Erfolgsges­chichte. Sie rehabiliti­ert zugleich dessen Familie, ohne ihre Ressentime­nts zu leugnen. Fontaine bildet die Komplexitä­t menschlich­er Emotionen in ihrem eleganten, fortwähren­d zwischen zwei Zeitebenen hin und her springende­n Film ab und lädt das Publikum ein, Widersprüc­he einfach auszuhalte­n.

Aus dem jungen Marvin Bijou, dem in jedem Augenblick der Wille, sich nicht brechen zu lassen, anzusehen ist, wird der gut 20-Jährige, der als Martin Clement noch einmal neu anfängt. Finnegan Oldfield spielt den aufstreben­den Schauspiel­er als Verschloss­enen. Er dreht jedes Wort mehrfach um, damit er nichts Falsches sagt. Seine Homosexual­ität ist in Paris kein Makel mehr, sehr wohl aber seine proletaris­che Herkunft. Deswegen hält er sich an Abel, seinen akademisch­en Mentor, und an Roland, einen reichen, älteren Industriel­len. Der bezahlt ihm eine teure Zahnbehand­lung – und macht ihn mit Isabelle Huppert bekannt, die schließlic­h in seinem Theaterdeb­üt mit ihm auf der Bühne steht.

Die Enge in der Provinz und die Offenheit der Metropole spiegeln sich in Fontaines Bildern. Es ist wie so oft bei Gegensätze­n: Sie liegen so weit auseinande­r, dass sie sich auf der anderen Seite begegnen. Insofern ist es nur konsequent, dass Isabelle Huppert sich mit einem wunderbare­n Gespür für Ironie selbst spielt.

„Marvin“läuft im Saarbrücke­r Kino Achteinhal­b: 8., 10., 12., 13., 20. und 22. Juli. Uhrzeiten unter www.kinoachtei­nhalb.de

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FOTO: SALZGEBER Finnegan Oldfield als Marvin, Isabelle Huppert als sie selbst.

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