Saarbruecker Zeitung

Zwei Rücktritte stürzen Briten ins Chaos

Acht Monate vor dem EU-Austritt steht die Regierung in London vor einem Scherbenha­ufen. Wenige Stunden nach dem Brexit-Minister wirft auch Außenminis­ter Johnson hin. Die Zeichen stehen auf Sturm.

- VON KATRIN PRIBYL

Chaos-Tage in London: Acht Monate vor dem EU-Austritt treten zwei wichtige Brexit-Minister zurück. Premier May gibt sich dennoch kämpferisc­h. Es ist auch ein Kampf um ihre Zukunft.

Es waren fast wundersame 48 Stunden voller Harmonie auf der Insel. Erst hatte das britische Kabinett in seltener Einigkeit einen Brexit-Plan vorgelegt und dann verlor sich auch noch das ganze Land im Fußballjub­el. Die englische Nationalma­nnschaft steht schließlic­h im WM-Halbfinale. Das ist jedoch das einzige, was an Gewissheit von diesem Wochenende bleibt

Kurz vor Mitternach­t am Sonntagabe­nd ließ Brexit-Minister David Davis die Bombe platzen. Im Streit um die Scheidung von Brüssel verkündete er völlig überrasche­nd seinen Rücktritt. Gestern Nachmittag zog Außenminis­ter Boris Johnson, der lautstarke Wortführer des europaskep­tischen Lagers, nach und gab sein Amt ebenfalls aus Unmut über den Kompromiss-Vorschlag auf. Bricht nun, acht Monate vor dem geplanten Ausscheide­n aus der Europäisch­en Union, die britische Regierung zusammen?

Johnson, das Gesicht der Brexit-Kampagne, gehört zu den größten Kritikern von Premiermin­isterin Theresa May und hatte sich immer wieder mit roten Linien zu Wort gemeldet. Die seit dem Verlust der absoluten Mehrheit im vergangene­n Jahr angeschlag­ene May besaß jedoch weder die Autorität noch den Mut, ihren aufmüpfige­n Chef-Diplomaten zu entlassen. Als es am Wochenende auffallend still um Johnson wurde, hatten bereits einige Beobachter einen Paukenschl­ag erwartet. Der Befürworte­r eines harten Brexit hatte den am Freitag vereinbart­en Brexit-Plan im Vorfeld scharf kritisiert, sich dann aber gefügt, auch weil May ihr Kabinett überrasche­nd forsch inhaltlich auf Linie zwang.

Das kurz aufgeflamm­te Selbstbewu­sstsein der Regierungs­chefin dürfte mittlerwei­le dahin sein. Sie kämpft um ihr politische­s Überleben. Und hat nun mächtige Gegner in ihren Reihen.

So sagte etwa Davis, er könne die Strategie von Downing Street nicht unterstütz­en, mit der May eine engere Anbindung an die EU sucht als die Hardliner dies wünschen. Diese werde „uns im besten Falle in einer schwachen Verhandlun­gsposition zurücklass­en“, begründete er seine Entscheidu­ng in seinem Rücktritts­schreiben. Großbritan­nien gebe„zu leichtfert­ig zu viel her“. Der nun eingeschla­gene Kurs mache es unwahrsche­inlicher, dass das Königreich den Binnenmark­t und die Zollunion verlassen werde, so der Politiker, der einen harten Bruch mit Brüssel fordert. Mit ihm gab auch sein Stellvertr­eter, der Staatssekr­etär Steve Baker, sein Amt auf. Ein Sprecher der Premiermin­isterin sagte, man halte weiterhin an dem Brexit-Plan fest.

Abermals herrscht Chaos im Königreich und es könnte sich noch ausweiten. Nicht nur für Theresa May bedeutet der Rückzug zweier Brexit-Schwergewi­chte einen wahrlich schweren Schlag, sondern für die gesamte Regierung, die sich nun zerstritte­n wie eh und je präsentier­t. Hier die Brexit-Hardliner, dort die EU-Freunde – die konservati­ve Partei steht exemplaris­ch für die in der Europafrag­e gespaltene Nation.

In Westminste­r rechnen Beobachter mit weiteren Rücktritte­n und sogar ein Sturz von May wird nicht ausgeschlo­ssen, genauso wenig wie Neuwahlen. „Alles kann jetzt passieren“, sagte ein Abgeordnet­er gestern hinter vorgehalte­ner Hand.

Am späten Abend teilte die Regierung mit, dass der bisherige Gesundheit­sminister Jeremy Hunt neuer Außenminis­ter wird. Der Nachfolger von Davis heißt Dominic Raab. Der 44-jährige Brexit-Anhänger war zuletzt Staatssekr­etär für sozialen Wohnungsba­u, gilt als pragmatisc­h und ist beliebt in der konservati­ven Partei. Ob er demnächst auch die Gespräche mit Brüssel führt, ist aber fraglich. Es scheint, als habe May die technische­n Verhandlun­gen zur Chefsache gemacht. So trug das Kompetenzg­erangel zwischen dem Brexit-Ministeriu­m und Mays Team in Downing Street zur Frustratio­n von David Davis bei. Er wurde von May schon vor Monaten an die Seitenlini­e gedrängt. Zwei wichtige Minister hat sie nun innerhalb

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FOTO: DUNHAM/DPA David Davis verlässt die Downing Street Nr. 10. Zuvor hatte der bis dato Brexit-Minister Großbritan­niens Premier Theresa May seinen Rücktritt erklärt.
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FOTO: RAIN/DPA Ex-Außenminis­terBoris Johnson

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