Zwei Rücktritte stürzen Briten ins Chaos
Acht Monate vor dem EU-Austritt steht die Regierung in London vor einem Scherbenhaufen. Wenige Stunden nach dem Brexit-Minister wirft auch Außenminister Johnson hin. Die Zeichen stehen auf Sturm.
Chaos-Tage in London: Acht Monate vor dem EU-Austritt treten zwei wichtige Brexit-Minister zurück. Premier May gibt sich dennoch kämpferisch. Es ist auch ein Kampf um ihre Zukunft.
Es waren fast wundersame 48 Stunden voller Harmonie auf der Insel. Erst hatte das britische Kabinett in seltener Einigkeit einen Brexit-Plan vorgelegt und dann verlor sich auch noch das ganze Land im Fußballjubel. Die englische Nationalmannschaft steht schließlich im WM-Halbfinale. Das ist jedoch das einzige, was an Gewissheit von diesem Wochenende bleibt
Kurz vor Mitternacht am Sonntagabend ließ Brexit-Minister David Davis die Bombe platzen. Im Streit um die Scheidung von Brüssel verkündete er völlig überraschend seinen Rücktritt. Gestern Nachmittag zog Außenminister Boris Johnson, der lautstarke Wortführer des europaskeptischen Lagers, nach und gab sein Amt ebenfalls aus Unmut über den Kompromiss-Vorschlag auf. Bricht nun, acht Monate vor dem geplanten Ausscheiden aus der Europäischen Union, die britische Regierung zusammen?
Johnson, das Gesicht der Brexit-Kampagne, gehört zu den größten Kritikern von Premierministerin Theresa May und hatte sich immer wieder mit roten Linien zu Wort gemeldet. Die seit dem Verlust der absoluten Mehrheit im vergangenen Jahr angeschlagene May besaß jedoch weder die Autorität noch den Mut, ihren aufmüpfigen Chef-Diplomaten zu entlassen. Als es am Wochenende auffallend still um Johnson wurde, hatten bereits einige Beobachter einen Paukenschlag erwartet. Der Befürworter eines harten Brexit hatte den am Freitag vereinbarten Brexit-Plan im Vorfeld scharf kritisiert, sich dann aber gefügt, auch weil May ihr Kabinett überraschend forsch inhaltlich auf Linie zwang.
Das kurz aufgeflammte Selbstbewusstsein der Regierungschefin dürfte mittlerweile dahin sein. Sie kämpft um ihr politisches Überleben. Und hat nun mächtige Gegner in ihren Reihen.
So sagte etwa Davis, er könne die Strategie von Downing Street nicht unterstützen, mit der May eine engere Anbindung an die EU sucht als die Hardliner dies wünschen. Diese werde „uns im besten Falle in einer schwachen Verhandlungsposition zurücklassen“, begründete er seine Entscheidung in seinem Rücktrittsschreiben. Großbritannien gebe„zu leichtfertig zu viel her“. Der nun eingeschlagene Kurs mache es unwahrscheinlicher, dass das Königreich den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde, so der Politiker, der einen harten Bruch mit Brüssel fordert. Mit ihm gab auch sein Stellvertreter, der Staatssekretär Steve Baker, sein Amt auf. Ein Sprecher der Premierministerin sagte, man halte weiterhin an dem Brexit-Plan fest.
Abermals herrscht Chaos im Königreich und es könnte sich noch ausweiten. Nicht nur für Theresa May bedeutet der Rückzug zweier Brexit-Schwergewichte einen wahrlich schweren Schlag, sondern für die gesamte Regierung, die sich nun zerstritten wie eh und je präsentiert. Hier die Brexit-Hardliner, dort die EU-Freunde – die konservative Partei steht exemplarisch für die in der Europafrage gespaltene Nation.
In Westminster rechnen Beobachter mit weiteren Rücktritten und sogar ein Sturz von May wird nicht ausgeschlossen, genauso wenig wie Neuwahlen. „Alles kann jetzt passieren“, sagte ein Abgeordneter gestern hinter vorgehaltener Hand.
Am späten Abend teilte die Regierung mit, dass der bisherige Gesundheitsminister Jeremy Hunt neuer Außenminister wird. Der Nachfolger von Davis heißt Dominic Raab. Der 44-jährige Brexit-Anhänger war zuletzt Staatssekretär für sozialen Wohnungsbau, gilt als pragmatisch und ist beliebt in der konservativen Partei. Ob er demnächst auch die Gespräche mit Brüssel führt, ist aber fraglich. Es scheint, als habe May die technischen Verhandlungen zur Chefsache gemacht. So trug das Kompetenzgerangel zwischen dem Brexit-Ministerium und Mays Team in Downing Street zur Frustration von David Davis bei. Er wurde von May schon vor Monaten an die Seitenlinie gedrängt. Zwei wichtige Minister hat sie nun innerhalb