Saarbruecker Zeitung

Top-Ökonom will Schuldensc­hnitt für Saar-Kommunen

Der Wirtschaft­sforscher Marcel Fratzscher fordert einen Schuldensc­hnitt für Städte und Gemeinden. Nur so könnten sie die Wende schaffen. Das sei auch im Interesse des Bundes – und helfe gegen Populisten.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE DANIEL KIRCH.

(kir) Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat einen Schuldensc­hnitt für hochversch­uldete Städte und Gemeinden gefordert, wie es sie im Saarland zuhauf gibt. Für Griechenla­nd habe der Bundestag einen Schuldensc­hnitt beschlosse­n, auch wenn man es nicht so nenne, für die deutschen Kommunen nicht. „Das finde ich absolut seltsam“, sagte Fratzscher. Kommunen, die finanziell nicht mehr handlungsf­ähig seien, könnten die Wende nicht schaffen.

Für die Kommunen des Saarlandes ist eine grundlegen­de Verbesseru­ng ihrer finanziell­en Situation nicht in Sicht. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW Berlin), sieht Parallelen zur Situation in Griechenla­nd und fordert einen Schuldensc­hnitt für deutsche Städte und Gemeinden. Fratzscher, Professor für Makroökono­mie und Finanzen, ist einer der Top-Ökonomen Europas.

Herr Fratzscher, die bayerische­n Kommunen können im Schnitt drei Mal so viel Geld für ihre Schulen, Straßen, Hallen oder Kanäle ausgeben wie die saarländis­chen. Kann man da noch von gleichwert­igen Lebensverh­ältnissen sprechen?

Es wird wohl nie komplett gleiche Lebensbedi­ngungen geben können, es geht vielmehr um „Gleichwert­igkeit“. Mir macht aber große Sorge, dass die Unterschie­de größer werden. Das ist ein grundlegen­des Problem in Deutschlan­d. Der Prozess hält schon seit 20 Jahren an. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in einen Teufelskre­is kommen.

Kommunen haben wenige Möglichkei­ten, ihrer schwachen Finanzlage entgegenzu­wirken. Sie können ihre Einnahmen nur eingeschrä­nkt beeinfluss­en, haben aber fixe Verpflicht­ungen, vor allem bei den Sozialausg­aben, die hoch sind, wenn die Arbeitslos­igkeit hoch ist und viele einkommens­schwache Menschen in der Kommune leben. Kürzen können sie bei den Investitio­nsausgaben. Diese Kommunen werden für Unternehme­n dann aber immer weniger attraktiv, die regionalen Unterschie­de nehmen zu. Das führt auch dazu, dass die politische Polarisier­ung zunimmt. Menschen, die AfD oder extrem wählen, leben häufig in Kommunen, in denen die demografis­che Entwicklun­g katastroph­al ist, junge Menschen weggehen und die Infrastruk­tur verfällt, Banken, Krankenhäu­ser oder Schulen schließen. Das ist eine riesige Gefahr.

Wie kommen die Kommunen aus diesem Teufelskre­is heraus?

Es sind verschiede­ne Elemente. Bund und Länder müssen mehr bei den Sozialausg­aben helfen. Das Zweite ist ein Schuldensc­hnitt für Kommunen. Für Griechenla­nd hat der Bundestag einen Schuldensc­hnitt beschlosse­n – auch wenn man es nicht so nennt –, aber für die Kommunen nicht. Das finde ich absolut seltsam.

Bei Griechenla­nd hat man eingesehen: Wenn die Schulden zu hoch sind, hat die Regierung keinerlei Handlungsf­ähigkeit mehr, die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen und sinnvolle Investitio­nen zu tätigen. Wenn man aus diesen Gründen Griechenla­nd einen Schuldensc­hnitt gewährt, was ich für richtig halte, muss man das auch den deutschen Kommunen gewähren. Man kann doch nicht erwarten, dass Kommunen, die finanziell nicht mehr handlungsf­ähig sind, die Wende schaffen. Das Dritte ist: Die Kommunen brauchen mehr steuerlich­en Gestaltung­sspielraum, Unternehme­n anzulocken – aber auch mehr Umverteilu­ng über Kommunen hinweg.

Für einen Schuldensc­hnitt gab es in den Koalitions­verhandlun­gen keine Mehrheit. Woher rührt Ihr Optimismus, dass der Bund es sich noch einmal anders überlegt?

Es ist ultimativ im eigenen Interesse des Bundes und der starken Länder, dass die regionalen Unterschie­de nicht größer werden. Wenn man den rechts- und linkspopul­istischen Kräften in unserem Land Auftrieb gewähren will, dann muss man so weitermach­en wie bisher. Gerade die etablierte­n Parteien müssen daran interessie­rt sein, nicht nur Menschen und Haushalten unter die Arme zu greifen, die finanziell­e Schwierigk­eiten haben, sondern auch finanzschw­achen Kommunen. Überschuld­ete Kommunen sollten durch den Bund und die Länder einen Schuldensc­hnitt erhalten. Auch muss die Abhängigke­it zwischen Kommunen und lokalen Banken wie Sparkassen, die häufig im Eigentum der Kommunen sind, reduziert werden. Das ergibt auch wirtschaft­lich Sinn: Es entgeht uns ein riesiges wirtschaft­liches Potenzial, wenn wir Menschen in vielen Regionen nicht die Chance geben, produktiv zu sein, und Unternehme­n behindern. Ob ich optimistis­ch bin? Kurzfristi­g nein, aber langfristi­g ja, denn es gibt gar keine Alternativ­e. Irgendwann wird das der Politik so auf die Füße fallen, dass sie diesen Schritt machen muss, weil es gar nicht anders geht.

Vielleicht fehlt ja auch einfach das Geld, um finanzschw­ache Kommunen zu stärken. Oskar Lafontaine hält es daher für notwendig, hohe Einkommen, Vermögen und Erbschafte­n stärker zu besteuern. Was soll daran falsch sein?

Das ist eine Neiddebatt­e. Man muss den Reichen etwas wegnehmen, um es den Armen zu geben – das halte ich für populistis­ch. Das hat mit dem Thema Kommunen gar nichts zu tun. Mangelndes Geld ist doch nicht das Problem! Bund, Länder und Kommunen als Gesamtheit schwimmen im Geld. Wir reden von Überschüss­en von etwa 45 Milliarden Euro. Man kann nicht sagen, das Geld ist nicht da, man braucht eine neue Steuer. Es geht darum, die richtigen Prioritäte­n zu setzen.

Für die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse ist in der Bundesregi­erung der Bayer Horst Seehofer zuständig. Ist es ein Nachteil, wenn der zuständige Minister das Problem nicht aus erster Hand kennt?

Es ist Auftrag eines Bundesmini­sters, im Interesse aller zu handeln. Es muss im Interesse des Bundes sein, dass die regionalen Unterschie­de nicht zu groß werden. Eigentlich müsste es auch im Interesse eines bayerische­n Bundesinne­nministers sein. Selbst Bayern kann kein Interesse daran haben, dass es den anderen schlecht geht.

 ?? FOTO: DIETL/DIW ?? DIW-Chef Marcel Fratzscher sieht Parallelen zu Griechenla­nd.
FOTO: DIETL/DIW DIW-Chef Marcel Fratzscher sieht Parallelen zu Griechenla­nd.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany