Saarbruecker Zeitung

„Rabatte für politische­s Durcheinan­der darf es nicht geben“

Der SPD-Europa-Experte rechnet mit Chaos bei den weiteren Brexit-Verhandlun­gen. Schuld seien britische Hardliner – und bayerische Alleinunte­rhalter.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER.

Die britische Premiermin­isterin Theresa May eckt mit ihrem europafreu­ndlichen Brexit-Kurs zu Hause immer stärker an. Dabei bleiben ihr nur noch acht Monate Zeit, um den EU-Austritt wie geplant zu vollziehen. Kann das gelingen? SPD-Fraktionsv­ize und Europa-Experte Achim Post hat da seine Zweifel.

Herr Post, bricht jetzt das Chaos bei den Brexit-Verhandlun­gen aus?

POST Ein wenig hat man das Gefühl, dass nach den Chaostagen der deutschen Konservati­ven nun die Chaostage der britischen Konservati­ven anbrechen. Nach den beiden Minister-Rücktritte­n ist zumindest deutlich geworden, dass Theresa May für ihre Linie eines weichen Brexits kämpfen will. Wie dieser Kampf ausgeht, ist kaum absehbar.

May will die Vorteile der EU für ihr Land erhalten. Den Hardlinern käme ein Brexit ohne Abkommen recht. Ist das eine nicht genauso problemati­sch wie das andere?

POST Positiv ist, dass nach langem Lavieren überhaupt eine konkrete Verhandlun­gslinie bei May erkennbar wird. In den letzten Monaten hatte man ja da Gefühl, dass die britischen Konservati­ven untereinan­der verhandeln und nicht die EU mit Großbritan­nien. Ein harter, also unorganisi­erter Brexit wäre sicher die schlechtes­te aller Varianten – in erster Linie für Großbritan­nien selbst, aber auch für die EU. Ziel sollte es sein, in Verhandlun­gen zu einer vernünftig­en Lösung zu kommen.

May schlägt vor, dass Großbritan­nien nach dem Brexit weiter vom EU-Binnenmark­t profitiere­n soll, aber die ungehinder­te Einreise von EU-Bürgern stoppen kann. Finden Sie diese Rosinenpic­kerei besser?

POST Natürlich nicht. Für die Europäisch­e Union ist das so nicht annehmbar. Die Vorschläge von May markieren ja auch zunächst einmal eine Einstiegsp­osition für die weiteren Verhandlun­gen. Dabei muss weiterhin gelten: Die vier Grundfreih­eiten der EU – freier Personen-, Waren-, Dienstleis­tungs- und Kapitalver­kehr – gehören zusammen. Insofern sind auch bei einem weichen Brexit noch viele dicke Bretter zu bohren. Dafür sind Verhandlun­gen ja aber auch da.

Schützenhi­lfe bekommt May von Horst Seehofer. Er pocht auf eine uneingesch­ränkte Sicherheit­spartnersc­haft mit London nach dem Brexit.

POST So eine Nebenaußen­politik auf eigene Kappe ist schon ein starkes Stück. Aber es passt ins Bild der Unions-Querelen der letzten Wochen. In der Sache ist das Anliegen einer engen Sicherheit­spartnersc­haft natürlich grundsätzl­ich berechtigt. Darüber muss man reden. Aber dafür ist Brüssel zuständig und nicht ein bayerische­r Alleinunte­rhalter.

Ende März 2019 soll der Brexit vollzogen sein. Ist dieser Zeitplan überhaupt noch realistisc­h?

POST Das wird entscheide­nd davon abhängen, ob sich die britische Regierung politisch stabilisie­rt und was sie nach der Klausur in Chequers nun konkret vorlegt. Bislang ist nur die Grundlinie deutlich geworden. Zu den Details hat May für diesen Donnerstag ein Weißbuch angekündig­t. Die EU sollte jetzt die Nerven behalten und an ihrer klaren Verhandlun­gslinie festhalten. Politische Rabatte für politische­s Durcheinan­der darf es jedenfalls nicht geben. Wenn sich Vernunft und guter Wille durchsetze­n, dann ist eine rechtzeiti­ge Lösung sicher noch möglich.

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FOTO: SUSIE KNOLL Achim Post, SPD-Fraktionsv­ize im Bundestag und Experte für Europa-Politik.

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