„Rabatte für politisches Durcheinander darf es nicht geben“
Der SPD-Europa-Experte rechnet mit Chaos bei den weiteren Brexit-Verhandlungen. Schuld seien britische Hardliner – und bayerische Alleinunterhalter.
Die britische Premierministerin Theresa May eckt mit ihrem europafreundlichen Brexit-Kurs zu Hause immer stärker an. Dabei bleiben ihr nur noch acht Monate Zeit, um den EU-Austritt wie geplant zu vollziehen. Kann das gelingen? SPD-Fraktionsvize und Europa-Experte Achim Post hat da seine Zweifel.
Herr Post, bricht jetzt das Chaos bei den Brexit-Verhandlungen aus?
POST Ein wenig hat man das Gefühl, dass nach den Chaostagen der deutschen Konservativen nun die Chaostage der britischen Konservativen anbrechen. Nach den beiden Minister-Rücktritten ist zumindest deutlich geworden, dass Theresa May für ihre Linie eines weichen Brexits kämpfen will. Wie dieser Kampf ausgeht, ist kaum absehbar.
May will die Vorteile der EU für ihr Land erhalten. Den Hardlinern käme ein Brexit ohne Abkommen recht. Ist das eine nicht genauso problematisch wie das andere?
POST Positiv ist, dass nach langem Lavieren überhaupt eine konkrete Verhandlungslinie bei May erkennbar wird. In den letzten Monaten hatte man ja da Gefühl, dass die britischen Konservativen untereinander verhandeln und nicht die EU mit Großbritannien. Ein harter, also unorganisierter Brexit wäre sicher die schlechteste aller Varianten – in erster Linie für Großbritannien selbst, aber auch für die EU. Ziel sollte es sein, in Verhandlungen zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.
May schlägt vor, dass Großbritannien nach dem Brexit weiter vom EU-Binnenmarkt profitieren soll, aber die ungehinderte Einreise von EU-Bürgern stoppen kann. Finden Sie diese Rosinenpickerei besser?
POST Natürlich nicht. Für die Europäische Union ist das so nicht annehmbar. Die Vorschläge von May markieren ja auch zunächst einmal eine Einstiegsposition für die weiteren Verhandlungen. Dabei muss weiterhin gelten: Die vier Grundfreiheiten der EU – freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr – gehören zusammen. Insofern sind auch bei einem weichen Brexit noch viele dicke Bretter zu bohren. Dafür sind Verhandlungen ja aber auch da.
Schützenhilfe bekommt May von Horst Seehofer. Er pocht auf eine uneingeschränkte Sicherheitspartnerschaft mit London nach dem Brexit.
POST So eine Nebenaußenpolitik auf eigene Kappe ist schon ein starkes Stück. Aber es passt ins Bild der Unions-Querelen der letzten Wochen. In der Sache ist das Anliegen einer engen Sicherheitspartnerschaft natürlich grundsätzlich berechtigt. Darüber muss man reden. Aber dafür ist Brüssel zuständig und nicht ein bayerischer Alleinunterhalter.
Ende März 2019 soll der Brexit vollzogen sein. Ist dieser Zeitplan überhaupt noch realistisch?
POST Das wird entscheidend davon abhängen, ob sich die britische Regierung politisch stabilisiert und was sie nach der Klausur in Chequers nun konkret vorlegt. Bislang ist nur die Grundlinie deutlich geworden. Zu den Details hat May für diesen Donnerstag ein Weißbuch angekündigt. Die EU sollte jetzt die Nerven behalten und an ihrer klaren Verhandlungslinie festhalten. Politische Rabatte für politisches Durcheinander darf es jedenfalls nicht geben. Wenn sich Vernunft und guter Wille durchsetzen, dann ist eine rechtzeitige Lösung sicher noch möglich.