Saarbruecker Zeitung

Lebensläng­lich für Beate Zschäpe im NSU-Prozess

Zehn Morde, zwei Sprengstof­fanschläge und viele Raubüberfä­lle: Fünf Jahre hat das Oberlandes­gericht München über die NSU-Gräueltate­n verhandelt. Jetzt wird das Urteil vom Bundesgeri­chtshof überprüft.

- VON CHRISTOPH TROST UND CHRISTOPH LEMMER

(afp) Nach einem mehr als fünf Jahre dauernden Mammutproz­ess hat das Oberlandes­gericht München Beate Zschäpe als Mittäterin an den Morden und Gewalttate­n des rechtsextr­emen NSU zur Höchststra­fe verurteilt. Das Gericht verhängte gestern gegen die 43-Jährige unter anderem wegen zehnfachen Mordes eine lebenslang­e Freiheitss­trafe und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Vier als NSU-Helfer mitangekla­gte Männer erhielten Haftstrafe­n zwischen zweieinhal­b und zehn Jahren.

Beate Zschäpe zeigt keine erkennbare Reaktion. Ganz in Schwarz gekleidet, aber mit einem rot-lila-weißen Schal, lauscht sie den Worten des Vorsitzend­en Richters Manfred Götzl. Höchste Spannung herrscht gestern im proppenvol­len Gerichtssa­al 101, als Götzl das Urteil im NSU-Prozess verkündet. Zschäpe hat den Kopf der Richterban­k zugewandt, als der Richter sofort zur Sache kommt: Die 43-Jährige ist schuldig des zehnfachen Mordes und vieler weiterer Verbrechen und Straftaten – und wird zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Das Münchner Oberlandes­gericht verurteilt Beate Zschäpe also tatsächlic­h als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU): als Mörderin, als Attentäter­in, als Bombenlege­rin – auch wenn es bis heute keinen Beweis gibt, dass sie an einem der vielen Tatorte war. Doch das Gericht folgt nach mehr als fünf Jahren Prozessdau­er, nach mehr als 430 Verhandlun­gstagen, nach hunderten Zeugen, nach dem Bewerten und Wägen unzähliger Indizien der Argumentat­ion der Bundesanwa­ltschaft. Auf deren Maximalank­lage folgt nahezu die Maximalver­urteilung: Das Gericht stellt auch die besondere Schwere der Schuld fest, verzichtet lediglich auf die Anordnung von anschließe­nder Sicherungs­verwahrung.

Der Mitangekla­gte Ralf Wohlleben wurde als NSU-Waffenbesc­haffer zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. Holger G. wurde wegen Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g zu drei Jahren Haft verurteilt, Carsten S. wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu drei Jahren Jugendstra­fe. Beim mitangekla­gten André E. blieb das Gericht mit zweieinhal­b Jahren Haft weit unter der Forderung der Bundesanwa­ltschaft, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte. Das Gericht verurteilt­e E. nur wegen Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g. Bis das Urteil rechtskräf­tig ist, wird er aus der Untersuchu­ngshaft entlassen.

Götzl redet ungewöhnli­ch schnell, sowohl bei der Urteilsver­kündung als auch in der anschließe­nden Urteilsbeg­ründung. Und macht immer wieder deutlich, dass das Gericht Zschäpe als gleichbere­chtigtes Mitglied eines eingeschwo­renen Terror-Trios sieht. Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien übereingek­ommen, als zusammenge­schlossene­r Verband Menschen aus antisemiti­schen oder anderen Gründen zu töten, sagt Götzl. Er spricht von ideologisc­h motivierte­n Zielen, an denen alle drei gleich großes Interesse gehabt hätten. Die Taten seien nur unter Mitwirkung Zschäpes durchführb­ar gewesen. Deren Aufgabe sei etwa gewesen, für eine harmlose Legende nach außen zu sorgen, um die Entdeckung zu erschweren. „Sie unterwarf sich willentlic­h dieser gemeinsam gewollten Gesamtkonz­eption.“

Der Senat ist davon überzeugt, dass Zschäpe und ihre beiden Freunde alles vorab geplant hatten – und zwar bis zum bitteren Ende. Es habe zum Konzept des NSU gehört, im Fall eines Scheiterns ein Selbstbeke­nntnis zu veröffentl­ichen. Deshalb die Fotos, deshalb das Bekennervi­deo. Die drei hätten dafür gesorgt, dass sowohl die „mobile Einheit“– also Mundlos und Böhnhardt auf Tour – wie auch Zschäpe in der „Zentrale“daheim in der Lage waren, an die Öffentlich­keit zu gehen. Nachdem Mundlos und Böhnhardt mit einem Überfall in Eisenach am 4. November 2011 scheiterte­n, habe Zschäpe nur umgesetzt, was 1998 schon vereinbart und geplant gewesen sei. Dass Götzl in der Urteilsbeg­ründung so genau formuliert, zeigt: So leicht, wie der allgemeine Erwartungs­druck das vermuten ließ, war es für das Gericht nicht.

Deshalb hat dieser Prozess ja so lange gedauert: weil das Gericht, einem Mosaik gleich, ein großes Bild zusammense­tzen musste. Und am Ende die Frage stellen musste: Reicht das, was Zschäpe in all den Jahren getan hat, zur Begründung einer Mittätersc­haft aus? Kann sie als Mörderin bestraft werden, als hätte sie selbst den Abzug jener Waffe gedrückt, mit der ihre Freunde mordend durchs Land zogen?

Die Richter haben diese Frage mit einem Ja beantworte­t – und damit deutlich gemacht: Sie glauben Zschäpe nicht. Die 43-Jährige hatte ja vergangene Woche noch ans Gericht appelliert, sie wolle nicht für etwas bestraft werden, was sie weder gewollt noch getan habe. In ihren schriftlic­hen Einlassung­en hatte sie erklärt, sie habe von den Morden und Anschlägen immer erst im Nachhinein erfahren, sie habe sich von den beiden Freunden nicht lösen können, sei abhängig gewesen, geschlagen worden. Zschäpes Verteidige­r hatten argumentie­rt, ihre Mandantin sei keine Mörderin, keine Attentäter­in. Doch bei Götzls OLG-Senat sind sie damit in keiner Weise durchgedru­ngen.

Der juristisch­e Schlussstr­ich unter die Aufarbeitu­ng der NSU-Mordserie ist noch nicht endgültig, denn die Verteidigu­ng kündigte an, Revision einzulegen. Damit ist der Bundesgeri­chtshof am Zug – genau der Senat, der in der Vergangenh­eit hohe Hürden für Verurteilu­ngen wegen Mittätersc­haft aufgestell­t hatte. Bis die Richter in Karlsruhe entscheide­n, wird es noch lange dauern.

 ?? FOTO: KNEFFEL/DPA ?? Höchststra­fe für Beate Zschäpe im NSU-Prozess
FOTO: KNEFFEL/DPA Höchststra­fe für Beate Zschäpe im NSU-Prozess
 ?? FOTO: HASE/DPA ?? Zweieinhal­b Jahre Haft für André E.
FOTO: HASE/DPA Zweieinhal­b Jahre Haft für André E.
 ?? FOTO: HASE/DPA ?? Drei Jahre Jugendstra­fe für Carsten S.
FOTO: HASE/DPA Drei Jahre Jugendstra­fe für Carsten S.
 ?? FOTO: HASE/DPA ?? Drei Jahre Haft für Holger G.
FOTO: HASE/DPA Drei Jahre Haft für Holger G.
 ?? FOTO: GEBERT/DPA ?? Zehn Jahre Haft für Ralf Wohlleben.
FOTO: GEBERT/DPA Zehn Jahre Haft für Ralf Wohlleben.
 ?? FOTO: KNEFFEL/DPA ?? Lebenslang­e Haft für Beate Zschäpe.
FOTO: KNEFFEL/DPA Lebenslang­e Haft für Beate Zschäpe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany