Saarbruecker Zeitung

Warum die Einöde in deutschen Talkshows ein Problem ist

Der Sommer kommt, die Talkshows von ARD und ZDF pausieren. Zum Glück, sagen Kritiker. Sie fordern weniger AfD-Themen und mehr echte Debatten.

- VON ANDREAS HEIMANN Produktion dieser Seite: Pascal Becher, Robby Lorenz Frauke Scholl

(dpa) Maybrit Illner muss heute noch einmal ran. Dann sind alle vier großen Talksendun­gen von ARD und ZDF in der Sommerpaus­e. Etliche Kritiker müssten danach aufatmen. So viele Diskussion­en über „hart aber fair“, „Maischberg­er“, „Anne Will“und „Maybrit Illner“wie in den zurücklieg­enden Monaten gab es schon lange nicht mehr. Manchmal ging es dabei ums Grundsätzl­iche, manchmal ans Eingemacht­e. Und gefühlt saßen da stets die selben Personen: mal Sahra Wagenknech­t, mal Peter Altmaier (CDU), mal Christian Lindner (FDP).

Dass Deutschlan­ds Talkern vorgeworfe­n wird, die falschen Themen zu behandeln, sich aus dem gleichen Gäste-Pool zu bedienen, zu oberflächl­ich, zu einförmig, zu mainstream­ig zu sein, kommt immer wieder vor. Aber zuletzt war die Kritik lauter und anhaltende­r. Olaf Zimmermann, Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s, forderte im Juni sogar, darüber nachzudenk­en, ob das Erste und das ZDF nicht ein Jahr lang Talkpause machen sollten, um in Ruhe über die Formate nachzudenk­en. ARD-Chefredakt­eur Rainald Becker wies die Kritik in einem Interview in der „Welt“allerdings sofort als „vollkommen übertriebe­n“zurück. „Uns ein Jahr Talkpause zu verordnen, das wäre so, als würden wir dem Kulturrat sagen, er solle sich ein Jahr lang nicht um Kultur kümmern.“

Auch Bernd Gäbler hält nichts von Zimmermann­s Vorschlag. „Er zielt nicht auf seriöse Auseinande­rsetzung, sondern auf Schlagzeil­en“, kritisiert der Ex-Direktor des Grimme-Instituts, der in Bielefeld Journalist­ik lehrt und 2015 eine Studie über Talkformat­e verfasst hat. „Ein vernünftig­er Umgang mit Medien ist eine Bildungsau­fgabe, aber nicht durch Boykotte oder Verbote zu erzielen.“Zimmermann hatte argumentie­rt: „Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtling­e und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestags­fähig zu machen.“

„Es ist das Recht und die Pflicht des Journalism­us, Themen aufzugreif­en, von denen er glaubt, dass diese wichtig sind“, sagt Gäbler. Das sei nicht zu kritisiere­n. „Zu kritisiere­n ist aber, wenn die Beurteilun­g der Relevanz eines Themas nur oder hauptsächl­ich nach dem Grad der Popularitä­t erfolgt. Das ist zwar verständli­ch, führt aber zu Einseitigk­eiten.“

Gerade an dem Aspekt der „Rahmungen“– Framing genannt – gab es zuletzt mehrfach Kritik. Zurecht, findet Gäbler: „Ein Titel wie: ‚Flüchtling­skrise – mehr Kriminalit­ät in unseren Städten?’ stellt eben einen Zusammenha­ng her. Niemand denkt das Fragezeich­en mit.“

Das bewertet Riem Spielhaus, Islamwisse­nschaftler­in der Uni Göttingen, nicht anders. „Allein die Titel, wenn man sich die in Bezug auf den Islam anschaut, da gibt es immer eine ähnliche Rahmung, es ist immer eine islamkriti­sche, es kann nie in die andere Richtung zugespitzt sein“, sagt die Wissenscha­ftlerin. „Meist ist schon die Fragestell­ung suggestiv, zum Beispiel: Ist der Islam eine Gefahr für die Demokratie?“

Im Juni gab es in einer Woche mit „hart aber fair“und „Maischberg­er“gleich zwei Sendungen kurz hintereina­nder, die für Aufregung sorgten: Bei der ersten ging es um „Flüchtling­e und Kriminalit­ät“, bei der anderen um „Die Islamdebat­te: Wo endet die Toleranz?“. Dass Moderator Frank Plasberg und Kollegin Sandra Maischberg­er im Abstand von zwei Tagen zu Themen talkten, zu denen sich oft die AfD zu Wort meldet, lag aber lediglich daran, dass ihre Sendungen jeweils auf einen Film davor Bezug nahmen, der mit genau dem Thema zu tun hatte.

Spielhaus findet es ebenfalls nicht nötig, die Sendungen pausieren zu lassen. „Wichtiger wäre es, andere Formate auszuprobi­eren, mal richtig zuzuhören“, betont sie. „Mir fällt in unterschie­dlichen Bereichen unserer Gesellscha­ft immer wieder auf, dass die Diskussion­skultur wenig lösungsori­entiert ist. Es wird eher pauschalis­iert, Menschen werden in Gruppen geordnet und bewertet oder gar abgewertet.“Hier nach Alternativ­en zu den Talksendun­gen zu suchen, wäre ein wichtiges Ziel für öffentlich-rechtliche Sender, sagt sie.

Sandra Maischberg­er wandte sich, ungewöhnli­ch genug, im Juni in einem ausführlic­hen Gastbeitra­g für „Die Zeit“an ihre Kritiker: „Tatsächlic­h wird öffentlich immer heftiger gestritten. Die Diskurse nehmen an Schärfe zu, sie fördern nicht nur Empörung, sondern auch Intoleranz und Unversöhnl­ichkeit zutage“, schrieb sie. „Die so vehement geführten Debatten spiegeln sich natürlich auch in politische­n Talkshows wider.“Und wer den Streit auf offener Bühne führen wolle, begebe sich zwangsläuf­ig auf unsicheres Terrain. „Wer aber aus Angst vor einem falschen Wort gleich die Debatte vermeiden will, überlässt erst recht denen die Bühne, die diese Angst nicht haben, sondern sie zu nutzen wissen.“Nach der Sommerpaus­e geht es also weiter.

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FOTOS: IMAGO Moderator Frank Plasberg eckt mit „hart aber fair“oft an.
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Lässt sie zu wenig Debatten zu? Maybrit Illners Show steht in der Kritik.

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