Saarbruecker Zeitung

Auch nach dem Urteil gegen Zschäpe bleiben viele Fragen

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Es war ein Mammutverf­ahren. Ein Prozess der überaus mühsamen Suche nach der Wahrheit. Und das mehr als fünf Jahre lang. Am 438. Verhandlun­gstag nun endlich das Urteil: Lebenslang­e Haft für Beate Zschäpe, die einzige Überlebend­e des unter dem Kürzel „NSU“bekannt gewordenen Neonazi-Trios, auf dessen Konto nicht weniger als zehn Morde, zwei Sprengstof­fanschläge und 15 Raubüberfä­lle gehen. Das hohe Strafmaß ist sicher eine gewisse Genugtuung für die Hinterblie­benen, ein kleiner Trost für ihren großen Schmerz – und ihre Verzweiflu­ng am Rechtsstaa­t. Dann lange Zeit war dieser Rechtsstaa­t auf falschen Fährten gewesen. Zu lange. Ansonsten hätte der elf Jahre währende Terrorfeld­zug deutlich früher gestoppt werden können.

Alle Hintergrün­de sollten ans Licht kommen und die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden. So hatte es Angela Merkel Anfang 2012 auf einer zentralen Gedenkfeie­r für die Opfer angekündig­t. Das Oberlandes­gericht München ließ es nicht an Initiative fehlen, dieses Verspreche­n juristisch einzulösen. Hunderte Zeugen und Sachverstä­ndige wurden gehört. Die Aktenberge schwollen auf über 100 000 Seiten an. Dabei verdichtet­en sich die Indizien immer stärker, dass die Hauptangek­lagte Zschäpe eben nicht das dumme und verführte Heimchen am Herd war, als das sie sich selbst nach quälend langem Schweigen darstellte. Zeugen bescheinig­ten Zschäpe ein dominantes Verhalten, eine gleichbere­chtigte Rolle neben ihren engsten Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Deshalb machten die Richter am Ende Zschäpes Mittätersc­haft geltend, die ein maximales Strafmaß rechtferti­gt. Die Strukturen und Netzwerke rund um den NSU liegen allerdings weiter im Dunkeln.

Zwar wurden auch vier Helfer des Terror-Trios zu mehrjährig­en Haftstrafe­n verurteilt. Angesichts der Dimension der Verbrechen dürfte der Kreis der Unterstütz­er jedoch deutlich größer gewesen sein. Auch hier hatten die Richter im Prozess nachgehakt. Doch ihre Bemühungen sind letztlich an der Bunkerment­alität der Sicherheit­sbehörden und deren politische­n Verantwort­lichen gescheiter­t. Das Verspreche­n der Kanzlerin nach rückhaltlo­ser Aufklärung hat sich daher auch nur zum Teil erfüllt.

Schon deshalb kann es keinen Schlussstr­ich geben. Juristisch ohnehin nicht, weil Zschäpes Verteidige­r in Revision gehen wollen, was ihr gutes Recht ist. Und politisch schon gar nicht. Denn die entscheide­nde Frage bleibt doch, ob sich eine derart furchtbare, braun motivierte Verbrechen­sserie wiederhole­n kann.

Einschlägi­ge parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse haben eine ganze Reihe von Vorschläge­n entwickelt, um dies zu verhindern. So gibt es inzwischen eine zentrale Rechtsextr­emismus-Datei, in der Informatio­nen von Polizei und Geheimdien­sten zusammenla­ufen. Nach wie vor gibt es aber auch noch parallele Zuständigk­eiten in Bund und Ländern und damit die Gefahr einer organisier­ten Verantwort­ungslosigk­eit. Höchste Zeit für einen wirksamen „Masterplan“, Herr Seehofer!

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