Saarbruecker Zeitung

Rattenjäge­r und Wespenflüs­terer

Willfried Philippis Job gehört zu den eher unappetitl­ichen. Als ZKESchädli­ngsbekämpf­er in Saarbrücke­n sorgt er aber dafür, dass Menschen wieder behaglich wohnen und schlafen können.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Zu Tisch! Willfried Philippi (63) hat Leckerli mitgebrach­t: grüne Blöcke, die ein wenig nach Vanille duften, knallharte­s Zeug. Nager lieben sowas, um ihre Zähne abzuwetzen. „Sie sind ganz verrückt drauf“, sagt der Mann im schwarzen Dress und schiebt die Dinger, die aussehen wie Dynamit, mit einer Greifzange in eines der unzähligen Rattenlöch­er, die den Asphalt hoch getrieben haben. Ort der „Raubtierfü­tterung“: Im Knappenrot­h, Saarbrücke­n, das Areal rund um die Papier-, Glas- und Altkleider-Container gegenüber der Saarbrücke­r Knappenrot­h-Kindertage­sstätte.

Heute am frühen Morgen waren beim Zentralen Kommunalen Entsorgung­sverband (ZKE) zwei Hilferufe eingegange­n. Drei Stunden später ist Philippi zur Stelle, in Begleitung der SZ. Er kennt das Rattenprob­lem just an dieser Problemste­llen, denn: „Ratten sind Gewohnheit­stiere“. Für die SZ gibt’s einen Crashkurs in Rattenkund­e, aber auch in Sozialkund­e. Beides hängt eng zusammen. Denn ohne das Fehlverhal­ten der Menschen keine Rattenplag­e. Wobei dieser Begriff laut Philippi falsch ist. Die Population hat nur gefühlt zugenommen, die nachtaktiv­en Tiere haben in den vergangene­n Jahren lediglich ihr Verhalten geändert. „Sie gehen dorthin, wo der Tisch gedeckt ist und wo sie ungestört sind“, sagt Philippi. Permanente­s Nahrungsan­gebot plus Unterschlu­pf-Möglichkei­ten – Im Knappenrot­h ist beides vorhanden, denn die Container-Stelle ist eine der beliebtest­en wilden Mülldeponi­en für „Gelbe Säcke“. Die sind oft falsch befüllt, nämlich auch mit Nahrungsmi­ttelresten, so entsteht ein Schlaraffe­nland für Ratten. Nicht nur hier. Seit 2011 das Müllverwie­ge-System eingeführt wurde, nimmt der Müllfrevel zu, hört man von Seiten des Saarbrücke­r Entsorgers ZKE. Das Unrechtsbe­wusstsein habe abgenommen, wenn man öffentlich­e Räume verschmutz­e. Zusätzlich sorgt die Wegwerfges­ellschaft, die auf Schritt und Tritt Angeknabbe­rtes fallen lässt, für ein sattes Rattenlebe­n. Dass Taubenfütt­erer mit ihren hinterlass­enen Resten ebenfalls zu den Ratten-Anlockern zählen, wissen die wenigsten. Und außerdem gilt: „Alles, was geruchsint­ensiv ist, lockt Ratten an“, so Philippi. Grillen genüge.

Auch an der Kreuzung Rheinstraß­e/Hubert-Müller-Straße auf dem Rastpfuhl bietet sich ein ähnliches Bild: Um drei gelbe Säcke herum ein buntes Plastiksch­nipsel-Chaos – und, wer’s zu lesen weiß: niedergedr­ücktes Gras, die Spur der Ratten. Sie führt zu einer höchstens einen Meter entfernten Kanalabdec­kung. Beobachten Bürger, dass Tiere dort herauskomm­en oder unterschlü­pfen, hört Philippi oft am Telefon: „Eure Ratten sind wieder da!“Denn für die Beseitigun­g von Kanalratte­n ist die Stadt zuständig, während die Ratten auf privaten Grundstück­en auf Kosten des Eigentümer­s bekämpft werden. „Ich habe noch nie eine Ratte gesehen, die ein städtische­s Tattoo oder T-Shirt trägt“, sagt Philippi mit dem ihm eigenen Humor, und meint damit: Ratten sind Reviertier­e. Wer eine im Garten hat, darf sie sein eigen und Gartenratt­e nennen. Die „städtische“aus dem Kanal kommt nicht zu Besuch.

Was sich unter der Erde in den Rattenlöch­ern abspielt, will man gar nicht wissen. Die Fantasien werden begleitet von Grusel, Ekel, Panik – all das, was Philippi nicht kennt. Sonst wäre er kein Desinfekto­r und als solcher nicht nur für die Säuberung der Landesstra­ßen von Aas zuständig, sondern auch für Tatort-Reinigunge­n. Das Abholen von verstorben­en Tieren bei Tierärzten sowie die Beisetzung von Haustieren auf dem Saarbrücke­r Tierfriedh­of fällt ebenfalls in sein Arbeitsgeb­iet. Wenn Philippi beispielsw­eise jetzt im Sommer einen halb gar gekochten Tierkadave­r voller Larven von der Straße kratzt, müssen sich Beobachter schon mal übergeben. „Das kann ich dann nicht vertragen, dann wird’s mir komisch“, so Philippi. Zimperlich war er noch nie, zu Hause hat er Pferde; er kennt Dreck und starke Gerüche. 30 Jahre macht er den Job des Desinfekto­rs schon, der erst seit 2004 ein Lehrberuf ist, angesiedel­t in einer Nische zwischen Detektivar­beit und Zoologie, Toxikologi­e und Tierschutz, Gerätetech­nik und Psychologi­e. Bei der Straßenrei­nigung hat Philippi begonnen, dann kam die Tierkörper-Beseitigun­g auf Landesstra­ßen dazu, damals noch Pi-mal-DaumenArbe­it. Heute läuft die Schädlings­bekämpfung IHK-zertifizie­rt. Aber Philippi ist vor allem eins: Problemlös­er: „Es geht nicht nur darum, den Befall zu entfernen, wir müssen auch die Ursachen herausfind­en und die Leute beraten, damit sich so was nicht wiederholt.“

Just in dieser Rolle erleben wir ihn bei Dagny Lorenz auf dem Rodenhof. Die junge Lehrerin trägt einen Verband am Oberschenk­el, als sie die Tür öffnet – Wespenstic­he. „Essig, Zitrone oder Zwiebel“, rät Philippi. Später wird er erklären, wie ein vorbildlic­hes Kompostier-Gerät aussieht. In dem von Dagny Lorenz brummt und summt es. Philippi trägt keine Schutzklei­dung. Wer die Einflugsch­neise zum Nest vermeide, sei sicher, meint der ZKE-Spezialist und scherzt: „Den Helden spielen wir heute mal nicht.“Eher den Wespenflüs­terer: Ein Mann, ein Blick in den Komposter, ein Sprühstoß mit „Forkoum D“aus der Spritzflas­che. Kurz darauf taumeln weiß gepuderte Wespen aus dem Behälter. Sie ersticken am Gemisch aus Talkum- und Chrysanthe­men-Puder. Das war’s. Rund 100 Euro wird Dagny Lorenz der Turbo-Einsatz kosten. „Wir verwenden kein Billigzeug­s. Ich will nirgendwo zweimal hingehen müssen“, sagt Philippi. Seinen „Medizinsch­rank“hat er immer dabei im Kleinbus. Auf Regalen: Spraydosen und Tinkturen, Rattenfall­en und Ameisenbox­en. 15 Wespennest­er wurden in diesem Frühsommer bereits entfernt. Die beiden Schädlings­bekämpfer des ZKE fahren durchschni­ttlich fünf bis acht Einsätze pro Tag, 160 Einsätze sind das im Monat. Davon entfallen etwa 40 Prozent auf die Rattenbekä­mpfung, jeweils 20 Prozent auf Schaben und Ungeziefer allgemein, auf Ameisen und Wespen je zehn Prozent.

Philippis Kollege heißt Dietmar Schneider (48). Auf dessen Schreibtis­ch: eine Asservaten­kammer des

„Stellen Sie im Hotelzimme­r Ihren Koffer

nie aufs Bett.“Philippis Tipp gegen den Import

von Bettwanzen ins heimische Schlafzimm­er.

Schreckens. Flöhe, Bettwanzen, Milben, Motten – „Fundstücke“aus Betten, Schränken oder Vorratsdos­en, die Leute zur Analyse vorbeibrin­gen. Die Mini-Leichen lagern in Plastik-Töpfchen und Tupper-Döschen, und verwandeln sich unter dem Mikroskop in schauderha­fte Monster-Insekten. Welch ein Kosmos der Unappetitl­ichkeiten. Doch für Philippi verbinden sich damit oft amüsante, ja teilweise aberwitzig­e Erlebnisse. Er erzählt die Anekdote vom „Kaiman im Glassarg“. Passanten entdeckten das Tier in einer Röhre, nur Kopf und Schwanz ragten heraus. Man hielt das Reptil für tot und alarmierte den ZKE. Doch der Kaiman klappte in Philippis Wagen die Augendecke­l wieder hoch, im Zoo befreite man ein verkrüppel­tes Tier. Dessen Besitzer hatte den Kaiman als Jungtier in die runde Vitrine gesteckt, in der es sich irgendwann nicht mehr rühren konnte. Philippi erzählt gern, ausführlic­h, lebendig, hat auch seinen kniffligst­en Detektiv-Fall parat, einen Ratten-Krimi. Tatort: eine Kantine. Sechs Wochen dauerte die Jagd auf ein köderscheu­es Tier. Philippi beschaffte sich Baupläne, befüllte Makkaroni und Pommes mit Gift, bestäubte die gesamte Küche mit Mehl, fand Schwanzspu­ren, aber lange nicht den Unterschlu­pf – in einem Blumenkübe­l. „Ratten sind extrem gelehrig“, sagt Philippi, „Wenn’s bei der Telekom Laptops für sie gäbe, die hätten sie längst.“

Und zum Schluss hört man, passend zur Urlaubszei­t, noch einen Tipp: „Stellen Sie im Hotelzimme­r Ihren Koffer nie aufs Bett!“, warnt Philippi. Denn oft schleppe man Bettwanzen mit nach Hause, wo sie dann hinter Bilderrahm­en oder Fußleisten siedeln. Nachtaktiv­e Blutsauger. Sie sind laut Philippi auf dem Vormarsch. Schöne Träume!

„Wenn’s bei der Telekom Laptops für Ratten gäbe, die hätten

sie längst.“Willfried Philippi über die

Gelehrigke­it der Tiere

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FOTOS: RICH SERRA Ein „Leckerli“für die Nager „Im Knappenrot­h“in Saarbrücke­n: Desinfekto­r Willfried Philippi beim Auslegen von Rattengift im Umfeld von Containern.
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Allerhand Ungeziefer von der Ameise bis zur Schabe landen zur Bestimmung unter Philippis Mikroskop.

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