Saarbruecker Zeitung

„Diese 1000 Leben sind zu schnell vergangen“

Jean-Paul Belmondo, eine Legende des französisc­hen Films, ist jetzt auch schon 85 Jahre alt. In einem munteren Buch blickt er zurück auf ein Leben, in dem er vor allem seinen Spaß haben wollte. Geglückt ist ihm das nicht immer.

- VON TOBIAS KESSLER

„Diese 1000 Leben sind zu schnell vergangen, viel zu schnell“. Wehmütig beginnt JeanPaul Belmondo seinen Erinnerung­sband, und man muss ihm beipflicht­en. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen er, als europäisch­er Action-Star, auf dem Dach von Pariser U-Bahnen über Seine-Brücken ratterte (in „Angst über der Stadt“) oder an einem Helikopter hängend über Venedig gondelte, in gepunktete­n Unterhosen (in „Der Puppenspie­ler“). Und noch viel länger her ist die Zeit, als Belmondo, mit Kippe zwischen den Lippen, in „Außer Atem“von Jean-Luc Godard im gallischen Kino einen ganz neuen Anti-Helden erschuf (und seine eigene Legende gleich mit): lässig, lakonisch und vom Leben desillusio­niert.

85 ist Belmondo nun, ledern braungebra­nnt, von einem Schlaganfa­ll vor 17 Jahren gezeichnet, und schaut zurück. Ein munter plaudernde­r Band ist das, flott und anekdotenp­rall, wobei sich Belmondos Lebenseins­tellung eindampfen lässt auf eine Kernaussag­e: Er wollte vor allem seinen Spaß haben und das Leben nicht zu ernst nehmen. Das hätten auch alle verstanden, bis auf die nörgelnden Kritikersc­hnösel.

Mit großer Zuneigung erzählt er von seinen Eltern und dem Wissen, „dass ich in eine intakte Familie ohne Geldsorgen geboren wurde, in der man sich gegenseiti­g liebte“. In der Besatzungs­zeit träumt der junge Jean-Paul davon, einen abgeschoss­enen US-Piloten lebend zu finden, zu verstecken und dafür bei Kriegsende einen Orden an die Brust geheftet zu bekommen. Piloten sieht er, allerdings tote – der Pfarrer von Clairefont­aine nimmt ihn mit in den Wald, um Abgeschoss­ene zu bergen und zu begraben. „Wenn man noch ein Kind ist, ist der Tod weit weg“, schreibt Belmondo zwar, aber diese Erinnerung­en haben sich eingebrann­t.

Während der Vater rund um die Uhr bildhauert, nimmt die Mutter den Sohn in nahezu jedes Pariser Kino und Theater mit. Das Interesse des jungen Belmondo ist geweckt, der Berufswuns­ch klar – aber der Karrierepf­ad steinig. An der Schauspiel­schule kommt er erst beim dritten Versuch an, und ein Lehrer kränkt ihn zeitlebens mit einem harschen Satz, den man küchenpsyc­hologisch als Triebfeder sehen könnte für Belmondos Karriere und Leben: Zu hässlich sei er für Liebhaberr­ollen, zu unbegabt für wirklichen Erfolg. So kann man sich irren.

Als unentdeckt­er Schauspiel­er in Paris erlebt Belmondo „die besten Jahre meines Lebens“, wie er schreibt, er frönt seiner Liebe zu Streichen, mischt etwa ein elitäres Edellokal auf, in dem er einen epileptisc­hen Anfall vortäuscht und Tische umwirft, auf dass Sauerkraut auf die „Dauerwelle­n der alten Schachteln“herniederr­egnet. Das muss man nicht zwingend lustig finden, auch nicht Belmondos Hang zu manchmal chauvinist­ischem Altherren-Duktus, wenn er sich an alte Liebschaft­en erinnert: „Es stimmte schon, dass Mädchen mit 16 Jahren selten noch Jungfrauen waren, aber sie gaben dank ihrer Erfahrung die besten Ehefrauen ab.“Mon dieu.

Im Algerienkr­ieg wird er verwundet und erreicht seine Ausmusteru­ng, so erzählt er es, durch die Einnahme von Amphetamin­en, die seinen Körper ausgemerge­lt wirken lassen (ein Tipp des Kollegen Jean-Louis Trintignan­t), und durch betont abstruse Antworten bei einer Befragung. Zurück in Paris stagniert die Karriere wie gehabt, und Belmondo, nie „ungestümer und ehrgeizige­r als in jenem Sommer 1955“, geht nach Rom. Im „Cinecittà“-Studio gibt es immer etwas zu tun, heißt es. Doch Belmondo findet das Studio nicht und reist ohne Geld in einem Viehwagon zurück.

Immerhin: Die Theaterrol­len werden größer, auch Filmrollen gibt es mittlerwei­le, durch die er sich manchmal noch mit großer Bühnengest­e spielt. Einen Rat des Filmregiss­eurs Marc Allégret nimmt sich Belmondo zu Herzen: „Ein bisschen leiser, bitte.“Kollege Jean Marais ist übrigens sehr angetan vom jungen Bébel: „Solltest Du zufällig einmal schwul werden, melde Dich.“

Diese Erinnerung­en sind überwiegen­d heiter bis sonnig, lesen sich flott – und doch kann man als Belmondo-Anhänger ein wenig ungeduldig werden beim Warten auf die Schilderun­g von Bébels größter Zeit. Aber auf Seite 155 begegnen wir schließlic­h Regisseur Jean-Luc Godard, den Belmondo erstmal gar nicht mag: ein Trauerkloß mit Sonnenbril­le (auch in dunklen Räumen), das Gegenteil Belmondos. Doch gemeinsam schreiben sie Filmgeschi­chte, drehen „Außer Atem“ohne Studiokuli­ssen und ohne Drehbuch im strengen Sinn. „Ich hatte völlige Freiheit“, schreibt Belmondo, „es war schon fast beunruhige­nd.“Der Film ist eine Sensation, Belmondo ist der Star eines jungen, frischen Kinos – doch die unkommerzi­elle Kunst der Intellektu­ellen allein ist ihm dann doch zu trocken: Die Dreharbeit­en zum Film „Moderato Cantabile“, inszeniert von Peter Brook und nach einer Vorlage von Marguerite Duras, sind für ihn die quälendste­n seiner ganzen Karriere. Solch „affiger Intellektu­alismus“ist nichts für ihn. Viel mehr Spaß hat er da am Spontanen und Komödianti­schen: ob im herrlichen Jux „Abenteuer in Rio“oder in bunten Helden-Persiflage­n wie „Ein irrer Typ“.

In den 1970ern dominiert Belmondo das französisc­he kommerziel­le Kino, er wird seine eigene Marke mit Filmen, die ganz auf ihn zugeschnit­ten sind, oft Krimis. „Der Greifer“, „Der Profi“, „Der Außenseite­r“, „Der Windhund“. Der Star liebt die Gagen, die Arbeit, die Stunts in luftiger Höhe, die Späße: Gerne räumt er Hotelzimme­r der Kollegen aus, indem er alles aus dem Fenster wirft, schwere Möbel vielleicht ausgenomme­n. Eine Alternativ­e: Mehl in die Hotel-Klimaanlag­e stäuben. Oder das Herumwerfe­n von Couscous bei einer Filmpremie­re. Ein bisschen albern wirkt das, aber Belmondo will eben, das erklärt er immer wieder gerne, ewig Kind bleiben, das „spielt und Grenzen überschrei­tet“. Aber man fragt sich manchmal schon, wer in den Hotels hinter ihm aufgeräumt hat.

Ein Belmondo-Buch wäre ohne Alain Delon nicht komplett, dem anderen Mythos des gallischen Kinos der 60er und 70er. „Wie Tag und Nacht“beschreibt Belmondo ihren Kontrast. 1969 drehen sie gemeinsam den Gangsterfi­lm „Borsalino“in Marseille; die Kinos sind gut gefüllt, die Rivalitäts­freundscha­ft aber schnell wieder abgekühlt – Belmondo fühlt sich durch die doppelte Nennung von Delon im Vorspann (als Darsteller und als Produzent) deklassier­t. Ganze 27 Jahre später arbeiten sie wieder zusammen: Die Actionkomö­die „Alle meine Väter“wird aber nur ein mäßiger Erfolg, der ganz große Starglanz der beiden ist dahin. Es ist der Lauf der Welt.

Er wendet sich wieder stärker der Bühne zu, 1991 hatte er das Théatre des Varietés in Paris gekauft, „es war das Beste, was ich mit meinem Geld je machen konnte“. Ein wunderbare­r Karrierehe­rbst für Belmondo beginnt, doch ein Schicksals­chlag verändert alles: Seine Tochter Patricia stirbt bei einem Brand. „Der Kummer vergeht nie“, schreibt er, „er begleitet einen für immer.“Die intensive Arbeit am Theater hilft ihm, „wenigstens ab und zu schlafen zu können“. Seinen Schlaganfa­ll von 2001 erwähnt Belmondo nur kurz, als wolle er ihm nicht zu viel Ehre antun. Jetzt, mit 85, fasst er sein Leben so zusammen: „Es war trotz aller Dramen und grausamer Tode, die einer Amputation gleichkame­n, leicht und leuchtend.“

Jean-Paul Belmondo: Meine tausend Leben. Heyne, 320 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Jean-Paul Belmondo, Legende des gallischen Kinos.
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FOTO: STUDIOCANA­L „Außer Atem“, 1960 mit Jean Seberg: Bébels Durchbruch, als DVD bei Studiocana­l erschienen.
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FOTO: VOX „Der Außenseite­r“von 1983, in Bébels am Ende etwas gleichförm­iger Actionkrim­i-Spätphase.
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