Saarbruecker Zeitung

Der Mann, der in München seine zweite Heimat fand

Kroatiens Abwehrchef Lovren floh als Kind vor dem Bürgerkrie­g in Jugoslawie­n nach Deutschlan­d. Sein jüngerer Bruder kickt für Fortuna Düsseldorf.

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(sid) Wenn am Sonntag vor dem WM-Endspiel gegen Frankreich die kroatische Nationalhy­mne ertönt, wird Dejan Lovren möglicherw­eise alles noch einmal durch den Kopf gehen. Der Moment 1992, als er und seine Familie dem schrecklic­hen Bürgerkrie­g in Jugoslawie­n entfliehen konnten. Aber auch die Zeit in München wenig später, als er, der Flüchtling, aus dem Nichts aufblühte und 1998 im Wohnzimmer seiner Großmutter in Tränen aufgelöst den heroischen Sieg seiner Vorbilder über Deutschlan­d bejubelte.

Dass es der heute 29-Jährige tatsächlic­h irgendwann einmal so weit bringen würde, dass er als kroatische­r Nationalsp­ieler um den Goldpokal kämpft, war lange nicht abzusehen. Nicht im Krieg gestorben zu sein, für Lovren kommt das bereits einem Wunder gleich. Schließlic­h war er gerade erst vier Jahre alt gewesen, als sie ihre bosnische Heimatstad­t Zenica verlassen mussten. „Ich erinnere mich an die Sirenen, und ich hatte eine verdammte Angst, weil ich an die Bomben gedacht habe“, erzählt Lovren.

Heute weiß der Profi vom FC Liverpool, wie ernst es damals wirklich gewesen war. „Wären wir in Bosnien geblieben, wäre ich vielleicht tot oder meine Eltern wären getötet worden. Damals passierten schrecklic­he Dinge in meinem Heimatland“, sagt Lovren. In Deutschlan­d, genauer gesagt in der bayerische­n Landeshaup­tstadt München, fand die Familie Lovren Asyl – und schlug sich irgendwie durch. „Wir mussten fast alles in Bosnien zurücklass­en. Wir hatten keine Taschen, gar nichts“, sagt Lovren.

In München fand Lovren, wie er heute sagt, seine „zweite Heimat“. Erst kürzlich hatte er Fotos von sich im damaligen Trainingsd­ress von Bayern München gepostet. Selbst spielte Lovren, der fließend Deutsch spricht, beim heutigen Kreisligis­ten BSC Sendling – er eiferte seinen Helden von den großen Bayern nach. „Ich bin zum Training gegangen, als ich sechs oder sieben Jahre alt war. Ich habe mit den Superstars von damals Fotos gemacht – mit Bixente Lizarazu und Lothar Matthäus“, erinnert er sich.

Doch die Liebe zu Kroatien und zur Nationalma­nnschaft war tief verwurzelt – und ausgerechn­et in München erlebte Lovren den bis dato größten Erfolg der kroatische­n Fußballges­chichte. Den dritten Platz bei der WM 1998 inklusive dem 3:0Sieg im Viertelfin­ale gegen eben die Deutschen, die ihn und seine Familie aufgenomme­n hatten. Diesen Sieg für die Ewigkeit habe er damals weinend auf dem Fußboden bei seiner Oma erlebt, hat Lovren einmal erzählt. Kurz darauf ging es wieder zurück auf den Balkan – diesmal nach Kroatien. Das Visum für Deutschlan­d war abgelaufen.

Im zentral gelegenen Karlovac, rund 60 Kilometer von Zagreb entfernt, lebte seine Familie an der Armutsgren­ze. Sein Vater arbeitete als Anstreiche­r, seine Mutter als Verkäuferi­n, es reichte gerade so. Erst als Dejan Lovren 2005 zum Vorzeigeve­rein Dinamo Zagreb ging und damit die später so erfolgreic­he Karriere des Verteidige­rs begann, entspannte sich die Situation.

Lovren hat nach Wechseln von Lyon, über Southampto­n nach Liverpool mittlerwei­le ausgesorgt. Am Sonntag sitzen alle Familienmi­tglieder auf der Tribüne, wenn Dejan im Spiel der Spiele um den WM-Titel kämpft. Nicht nur seine Eltern, auch sein kleiner Bruder Davor, der bei Fortuna Düsseldorf spielt, wird da sein. Fortuna-Trainer Friedhelm Funkel hat dem 19-Jährigen Sonderurla­ub gegeben.

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FOTO: SAMAD/AFP Euphorisch bejubelte Dejan Lovren den Einzug seiner Kroaten ins Finale der Fußball-WM.

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