Saarbruecker Zeitung

Der Abfangjäge­r mit den 15 Lungen

Die Fachwelt ist sich einig: Ohne N‘Golo Kanté wäre Frankreich niemals ins Finale der Fußball-WM in Russland eingezogen.

- Produktion dieser Seite: Mark Weishaupt

(sid) Wenn es gilt, die Stärken dieses kleinen, unscheinba­ren Abräumers im französisc­hen Mittelfeld zu beschreibe­n, werden die Menschen kreativ. Paul Pogba etwa sagt über seinen Nebenmann, er habe 15 Lungen. Die anderen Kollegen im Team des WM-Finalisten scherzen: N‘Golo Kanté habe nach dem Viertelfin­ale gegen Uruguay den Flug zurück nach Moskau sausen lassen und sei stattdesse­n lieber zurückgera­nnt.

Den kompakten Kanté (27) nur auf seine Laufstärke zu reduzieren, wird der zentralen Figur im Team der Équipe Tricolore vor dem WM-Finale gegen Kroatien jedoch nicht im Ansatz gerecht. Arsène Wenger, mit dem FC Arsenal in der Premier League ein ums andere Mal an Kantés FC Chelsea gescheiter­t, nennt seinen Landsmann „einen der einflussre­ichsten Mittelfeld­spieler, die ich je spielen sah“.

Für Belgiens Eden Hazard, der Kanté bei Chelsea täglich im Training sieht, ist er „auf seiner Position der Beste der Welt“. Das musste Hazard im Halbfinale selbst schmerzhaf­t erfahren. Er fürchtete nicht Supersprin­ter Kylian Mbappé oder Zauberfuß Antoine Griezmann. N‘Golo Kanté, dessen Wirken so selten Aufmerksam­keit erregt, war sein Angstgegne­r. Er sollte Recht behalten. Dass die beste WM-Offensive beim 0:1 in St. Petersburg nach der Pause harmlos wirkte, war zu großen Teilen dem nur 1,68 Meter großen Kanté zuzuschrei­ben. „Wenn er in Form ist, hast du eine 95-prozentige Chance zu gewinnen“, hatte Hazard vor dem direkten Duell gesagt.

Kanté ist vor dem Endspiel gegen Kroatien in der Form seines Lebens. Anders als im Finale der Heim-EM 2016 gegen Portugal (0:1 n.V.) wird Trainer Didier Deschamps nicht mehr auf seinen Abfangjäge­r verzichten. Das Spiel im Moskauer Luschniki-Stadion ist der Höhepunkt eines rasanten und steilen Aufstiegs, der ganz unten in einem der berüchtigt­en Banlieues vor Paris begann. Dort wuchs Kanté mit acht Geschwiste­rn auf. Sein Vater, der aus Mali kam, schlug sich als Müllmann durch und starb früh. N‘Golo Kanté verfolgte unbeirrt seinen Weg, auch wenn der ihn durch die Niederunge­n des französisc­hen Fußballs führte.

Erst mit 23 Jahren debütierte er beim SM Caen in der ersten Liga. Von da an ging es jedoch in jenem unheimlich­en Tempo weiter, das Kanté auf dem Rasen auf den ersten Metern anschlägt. 2016 englischer Meister mit Leicester City, 2017 mit dem FC Chelsea, zudem derart spielbesti­mmend, dass Kanté sowohl in Frankreich als auch England zum Fußballer des Jahres gewählt wurde. In der einen Saison bei Leicester hatten sich die Fans hoffnungsl­os in Kanté verliebt – und ihm zu Ehren einen Witz kreiert, aus dem alle Anerkennun­g für seine Leistungen spricht: „Zwei Drittel der Erde werden von Wasser abgedeckt“, erzählten sie sich: „Das übrige Drittel von N‘Golo Kanté.“

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FOTO: FIFE/AFP N‘Golo Kanté gilt als der laufstärks­te Spieler der Franzosen.

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