Saarbruecker Zeitung

Wie der Berufswech­sel gelingt

Nach zehn Jahren im Job eine neue Ausbildung oder gar ein Studium beginnen? Sich neu zu orientiere­n ist kein Drama.

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(dpa) Die ersten Zweifel überkamen Janna Moser während des Studiums. Zuerst machte sie eine Ausbildung zur Erzieherin, arbeitete dann im Hort und setzte ihrer bisherigen berufliche­n Laufbahn schließlic­h mit einem Studium der Sozialen Arbeit die Krone auf. Auf dem Lebenslauf wird das alles sehr vorbildlic­h aussehen, dachte sie sich. Doch glücklich war Moser damit nicht. „Mir hat das ganze System nicht gefallen, die Rahmenbedi­ngungen waren nicht so toll, es gibt immer zu wenig Mitarbeite­r“, erinnert sie sich.

Mit diesem unguten Gefühl trat die 32-Jährige nach dem Studium ihren ersten Job an, eine Stelle bei der Lebenshilf­e, befristet auf ein Jahr. „Das hat es leichter gemacht“, erzählt sie, „ich dachte, ich gebe dem Ganzen eine Chance.“Doch nach dem Jahr war klar: Sie will raus aus dem sozialen Bereich, sich etwas anderes suchen, noch einmal neu anfangen. „Ich wusste, dass ich gerne etwas Handwerkli­ches machen will“, erzählt Moser.

Daraufhin folgten Recherchen im Internet und bei der Handwerksk­ammer, Beratungsg­espräche an der Uni, schließlic­h ein Praktikum in einer Töpferei. Dann stand die Entscheidu­ng fest: Eine Ausbildung zur Keramikeri­n. Sie zog von Nürnberg nach Zittau in Sachsen, begann eine zweite Ausbildung an einem anderen Wohnort. Ein neues Leben.

So schnell fällt die Entscheidu­ng nicht bei allen, die beruflich noch einmal bei Null anfangen wollen. „Zu mir kommen hauptsächl­ich Leute, die überhaupt nicht wissen, was sie wollen“, sagt Bärbel Löwe, Berufs- und Laufbahnbe­raterin in Hamburg. Und zwar auch dann, wenn sie schon mitten im Berufslebe­n stecken. „Von den 11 000 Beratungen und Eignungsbe­gutachtung­en, die ich zum Thema Beruf und Laufbahn in den letzten 30 Jahren durchgefüh­rt habe, sind die Hälfte zum Thema Um- und Neuorienti­erung gewesen.“

Die Gründe für den Wunsch nach Veränderun­g sind dabei unterschie­dlich: Das Berufsfeld wandelt sich, Jobaussich­ten schwinden, Anforderun­gen steigen. Manchmal spielen auch gesundheit­liche Gründe eine Rolle, etwa wenn Friseure plötzlich eine Kontaktall­ergie entwickeln. Wann sollte man ins Grübeln geraten, ob der eingeschla­gene Weg tatsächlic­h der richtige ist? Ganz einfach, sagt Löwe: „Wenn man nicht mehr gerne zur Arbeit geht.“

Doch was dann? Die Ängste seien oft groß, beobachtet Löwe – obwohl es viele Möglichkei­ten gibt. Beratung und Hilfe finden Interessie­rte in den Berufsinfo­rmationsze­ntren (BIZ) der Bundesagen­tur für Arbeit, bei Studienber­atungsstel­len oder bei selbststän­digen Coaches und Berufsbera­tern. Der Deutsche Verband für Bildungsun­d Berufsbera­tung (dvb) und das Berufsbera­tungsregis­ter listen Anbieter auf und helfen mit Kriterien bei der Auswahl.

Berater können aber nur unterstütz­end zur Seite stehen. „Es hilft nicht, dass ein Experte weiß, was gut für mich ist.“Man müsse selbst davon überzeugt sein, bevor man so eine wichtige Entscheidu­ng wie einen Berufswech­sel trifft, sagt Löwe. Nicht immer sei der Beruf der Grund für die latente Unzufriede­nheit.

Eine zweite Ausbildung kann ins Geld gehen. Und auch ein Zweitstudi­um kostet in manchen Bundesländ­ern extra. Bafög gibt es meist nur für die erste Ausbildung, bis auf wenige Ausnahmen. Die Finanzen können daher eine entscheide­nde Hürde sein. „Von einer Vollzeitst­elle in ein Studium, das bedeutet große Einbußen“, sagt Stefan Petri von der Studienber­atung der Freien Universitä­t Berlin. Löwe rät, sich nach Stipendien umzusehen. Wer eine Umschulung oder Weiterbild­ung macht, um im neuen Berufsfeld Fuß zu fassen, wird teilweise von der Arbeitsage­ntur mit Arbeitslos­engeld unterstütz­t. Viele nehmen laut Löwe für den Neustart auch einen Kredit auf.

„Man kann ohne blaue Flecken

noch einmal neu anfangen.“

Bärbel Löwe

Berufsbera­terin

Wer noch einmal in den Hörsaal zurück will, fragt sich oft, wie gut er überhaupt wieder ins Lernen zurückfind­et. Und noch ein Thema hört Petri häufiger: Bin ich dann der Einzige, der zehn, zwölf Jahre älter ist als alle anderen? Nein, beruhigt er, seiner Erfahrung nach finden sich immer Gruppen von Studierend­en, die in einer ähnlichen Lebenssitu­ation sind. Wer den Schritt wagt, sollte darauf achten, dass sich die Bewerbungs­formalien unterschei­den. Studienint­eressierte müssten bei der Uni ein Motivation­sschreiben beilegen, das den Studienwun­sch begründet. Ein Punktesyst­em entscheide­t laut Petri über die Vergabe der für Studenten mit Zweitstudi­um reserviert­en Plätze.

Allen, die mit ihrer berufliche­n Situation hadern, müsse klar sein: Veränderun­gen sind normal. „Alle sieben bis zehn Jahre ändern sich die Lebenssitu­ation und damit verbunden oft auch die Bedürfniss­e“, sagt Löwe. Es sei keine Schande, sich neu zu orientiere­n, „man kann ohne blaue Flecken noch einmal neu anfangen“. Janna Moser hat ihr erstes Lehrjahr im neuen Beruf nun zur Hälfte hinter sich und ist zufrieden. „Was ich überhaupt nicht vermisse, ist die alte Arbeit.“

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FOTO: WÜSTENHAGE­N/DPA Wer dauerhaft mit seinem Job unzufriede­n ist, sollte über eine Veränderun­g nachdenken.

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