Saarbruecker Zeitung

Wie die Flut unseriöser Zeitschrif­ten der Wissenscha­ft schadet

Tausende deutsche Forscher haben in fragwürdig­en Verlagen publiziert. Der Skandal trifft die Wissenscha­ft an ihrer empfindlic­hsten Stelle: der Glaubwürdi­gkeit.

- VON WALTER WILLEMS UND IRIS NEU-MICHALIK Produktion dieser Seite: Pascal Becher, Gerrit Dauelsberg Iris Neu-Michalik

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa/ine) Tausende deutsche Forscher – und Hunderttau­sende weltweit – sollen Studien in unseriösen Fachzeitsc­hriften veröffentl­icht haben. Doch was bedeutet das in der Praxis?

Worum geht es?

Das Recherchen­etzwerk von NDR, WDR und „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet, dass mehr als 5000 deutsche Forscher in den vergangene­n Jahren ihre Studienres­ultate in unwissensc­haftlichen Fachzeitsc­hriften veröffentl­icht haben. Weltweit sind es demnach etwa 400 000 Forscher.

Wann ist eine Zeitschrif­t unseriös?

Bevor eine Fachzeitsc­hrift eine Studie publiziert, lässt sie sie von unabhängig­en Experten begutachte­n. Die Gutachter können Nachbesser­ungen fordern oder die Arbeit sogar ablehnen. Bei unseriösen Verlagen entfällt diese Begutachtu­ng. Was ist das Geschäftsm­odell? Die Verlage veröffentl­ichen „Predatory Journals“– Raubzeitsc­hriften. Sie schreiben Mitarbeite­r von Forschungs­einrichtun­gen gezielt an, um ihnen gegen Geld eine Publikatio­nsmöglichk­eit anzubieten. Sie sind mitunter selbst für Experten schwer als unseriös zu erkennen. Je mehr die Verlage veröffentl­ichen, desto mehr verdienen sie. Warum publiziere­n Forscher dort? Oft aus Unwissenhe­it – aber vermutlich nicht immer. Forscher stehen unter starkem Publikatio­nsdruck. Wer viele Artikel in Fachzeitsc­hriften vorweisen kann, steigert sein Prestige – und damit auch die Chance auf Forschungs­gelder, eine Anstellung oder die Einladung zu einem Vortrag auf einer Fachkonfer­enz. Hinter Veröffentl­ichungen in solchen Journalen können auch finanziell­e Interessen stehen – etwa wenn eine Studie die Heilkraft eines Präparats gegen eine Krankheit belegen soll. Dann können Unternehme­n das Produkt unter Verweis auf wissenscha­ftliche Erkenntnis­se bewerben. Wie verbreitet sind solche unseriösen Veröffentl­ichungen? Den Berichten zufolge haben in Deutschlan­d über 5000 Forscher mindestens einmal in einer solchen Zeitschrif­t publiziert. Das beträfe laut Science Media Center 1,3 Prozent des wissenscha­ftlichen Personals an deutschen Hochschule­n. Die Max-Planck-Gesellscha­ft wertet die Praxis als „Randersche­inung“. Wie sieht es im Saarland aus? In Zeitschrif­ten von scheinwiss­enschaftli­chen Verlagen tauchen nach Recherchen des SR auch Namen von 80 Wissenscha­ftlern aus dem Saarland auf. Die meisten von ihnen arbeiten demnach am Uni-Klinikum. Die Wissenscha­ftler hätten zum Teil eingeräumt, nicht genug überprüft zu haben, wo sie ihre Texte veröffentl­ichten. Für die Publikatio­nen seien bis zu 2500 Euro an die Verleger bezahlt worden. Saar-Uni-Präsident Manfred Schmitt sagte gestern gegenüber der SZ, in der Regel seien die Wissenscha­ftler darüber informiert, welche Publikatio­nen auf ihrem Fachgebiet führend und seriös seien. Doch beobachte die Universitä­t auch mit Sorge, „dass immer mehr Pseudoverl­age mit aller Macht auf den Markt drängen und die Forscher mit Angeboten überhäufen“. Der Publikatio­nsmarkt werde dadurch unübersich­tlicher, so Schmitt. Die Saarländis­che Universitä­tsund Landesbibl­iothek (SULB) habe daher seit längerem eine Webseite eingericht­et, mit der sie Wissenscha­ftlern Beratung und Hilfe zum Erkennen betrügeris­cher Journale anbiete. Wem schadet diese Praxis? Zunächst der Wissenscha­ft selbst. Schlagwört­er wie „fake science“verringern die Glaubwürdi­gkeit wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se generell. Zudem schadet sie jenen Arbeitgebe­rn, die Bewerber auf Basis von Veröffentl­ichungen in solchen Journalen einstellen. Schlimmste­nfalls können solche Praktiken auch Verbrauche­r schädigen. Etwa wenn sie im Internet nach Therapien gegen eine Erkrankung suchen und auf Berichte solcher unseriöser Journale stoßen.

„Die Universitä­t steuert mit Hilfsangeb­oten für Wissenscha­ftler

dagegen.“

Manfred Schmitt

Präsident der Saar-Uni

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