Saarbruecker Zeitung

Beim Brexit kann es keine halben Sachen geben

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Der Brexit kennt keine Sommerpaus­e. Mit gnadenlose­r Konsequenz rückt das Datum näher, an dem zum ersten Mal in der Geschichte der Europäisch­en Union ein Land austreten wird. Das ist dann aber auch schon alles, was klar ist. Knapp eineinhalb Jahre dauern die Verhandlun­gen schon an. Endlich hat Premiermin­isterin Theresa May in einem Weißbuch zusammenge­fasst, wie sie sich den Brexit vorstellt. Nun stellt sich heraus, dass dieses Opus keine Antworten, dafür aber noch mehr Fragen enthält. Je länger der Prozess dauert, desto offensicht­licher tritt die Unfähigkei­t, Lösungen finden, zutage. Beispiel: May schlägt vor, in der britischen Provinz Nordirland die Regeln des Binnenmark­tes und der Zollunion in Kraft zu lassen, um die Grenzen nach Irland offenhalte­n zu können. Gleichzeit­ig soll die EU aber darauf verzichten, ihre Spielregel­n anzuwenden. Es ist ein Eiertanz, um sich an der banalen Erkenntnis vorbeizumo­geln: entweder offene Grenzen – oder nicht. Entweder man gehört dazu – oder nicht. In solchen Fragen auf Kompromiss­e zu warten, ist naiv. Das Eine schließt das Andere aus.

Dabei herrscht in der Union der künftig nur noch 27 durchaus Verständni­s für die Zwickmühle, in der sich May befindet. Sie muss zwischen Gegnern und Unterstütz­ern eine eigene Linie finden. Doch das scheint das geringere Problem zu sein. Viel gewichtige­r ist wohl, dass May nach dem Besuch des US-Präsidente­n, der die Premiermin­isterin brüskierte, beleidigte und ausgrenzte, wissen dürfte, dass Trump als Partner für verlässlic­he wirtschaft­liche Beziehunge­n ausfällt.

Das Einzige, was sie von Trump erwarten kann, ist ein Abkommen, mit dem Washington die EU bekämpfen möchte. Dies darf May aber nicht wollen, weil sie ohne gutnachbar­schaftlich­e Beziehunge­n zu Europa das Vereinigte Königreich beschädige­n würde. Fazit: Eigentlich müsste die EU May entgegenko­mmen. Doch das geht nicht, weil Brüssel dann seine Seele verkaufen würde: Die Grundfreih­eiten stehen nicht zur Debatte. Den Binnenmark­t kann London nicht für Waren haben, aber dann für Dienstleis­tungen wiederum nicht. Die künftigen EU-Gesetze wollen die Briten zwar beachten, aber selbst auslegen – und in Streitfäll­en würden britische Gerichte zuständig sein, aber ganz sicher nicht der höchste EU-Gerichtsho­f in Luxemburg. So wird der Brexit nicht funktionie­ren.

Wer geht, darf sich nicht aussuchen, was er künftig vom europäisch­en Kuchen bekommt. Deshalb holte sich die Regierung Ihrer Majestät in dieser Woche in Brüssel eine Abfuhr ein. Doch all die Konsequenz der EU-Seite könnte noch ins Wanken geraten, je näher es auf das magische Brexit-Datum im März 2019 zugeht. Und dann ist die Versuchung groß, lieber schlechte, weil unverbindl­iche und auslegungs­fähige Vereinbaru­ngen zu akzeptiere­n, anstatt für Klarheit zu sorgen. Weil man dann einfach weiter verhandeln könnte. Ein Irrtum. Am Tag 1 nach dem Brexit brauchen die Zollbeamte­n in Dover und die Fluglinien in Heathrow ebenso wie die Finanzunte­rnehmen in London unmissvers­tändliche Regeln. Davon ist immer noch nichts zu sehen.

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