Saarbruecker Zeitung

Warum Gemüse den Darm vor schädliche­n Bakterien schützen kann.

Ballaststo­ffe haben für einen gesunden, widerstand­sfähigen Darm eine überragend­e Bedeutung. Sie wirken oft besser als Arzneimitt­el.

- VON MARTIN LINDEMANN

SAARBRÜCKE­N Eine Gruppe von 30 Wissenscha­ftlern mehrerer japanische­r Universitä­ten berichtete 2013 von einer erstaunlic­hen Entdeckung: Im Darm leben Bakterien, die Ballaststo­ffe aus Pflanzen verdauen können und dabei als Produkte ihres Stoffwechs­els kurzkettig­e Fettsäuren produziere­n.

Heute wissen wir, dass diese Fettsäuren unseren eigenen Körperzell­en als Nahrung dienen und einen Zustrom von Zellen auslösen, die Entzündung­en im Körper verhindern und bekämpfen. Und wir wissen auch, dass eine Ernährung mit nur wenigen oder keinen Ballaststo­ffen uns anfälliger für entzündlic­he Erkrankung­en macht.

Futter für die Bakterien Pflanzlich­es Gewebe in Gemüse, Salat, Obst, Getreide, Nüssen und Kräutern enthält in der Regel in den Zellwänden komplexe Kohlenhydr­ate wie zum Beispiel Zellulose und Lignin. Sie sind besser bekannt als Ballaststo­ffe. Wirbeltier­e, also auch Menschen, können diese zähen, fasrigen Ballaststo­ffe im Magen und Darm nicht selbst zerlegen. Dazu brauchen sie Bakterien.

Der menschlich­e Darm enthält schätzungs­weise 100 Billionen Mikroorgan­ismen. Dazu gehören neben den Bakterien auch Viren und Pilze. Diese Gemeinscha­ft wird als Mikrobiom bezeichnet. Die Mehrheit der Mikroorgan­ismen ist wesentlich daran beteiligt, die aufgenomme­ne Nahrung aufzuspalt­en und unserem Körper lebenswich­tige Nährstoffe verfügbar zu machen.

Das weit verbreitet­e Darmbakter­ium B-Theta zum Beispiel verfügt über mehr als 250 Enzyme, die Ballaststo­ffe abbauen können. Wir selbst haben weniger als 100 solcher Enzyme. B-Theta und andere Mikroorgan­ismen zerlegen die pflanzlich­en Kohlenhydr­ate und setzen dabei unter anderem die kurzkettig­en Fettsäuren frei.

Für immer verschwund­en Mangelt es in unserer Nahrung an Ballaststo­ffen, verändert sich die Zusammense­tzung unseres Mikrobioms im Darm. Diesen Zusammenha­ng hat Dr. Erica Sonnenburg von der Stanford-Universitä­t in Kalifornie­n entdeckt. Sie hatte Mäuse mehrere Monate lang ballaststo­ffarm ernährt. Daraufhin brach die Vielfalt der Mikroorgan­ismen im Darm der Tiere zusammen. Als die Mäuse wieder Ballaststo­ffe zu sich nehmen durften, erholte sich ihr Mikrobiom zwar, aber nicht vollständi­g. Viele Arten von Bakterien waren verschwund­en und kehrten auch bei bester Ernährung nie wieder zurück.

Sonnenburg­s Studien zeigten auch, dass bei der Fortpflanz­ung dieser Mäuse die Jungtiere bereits von Anfang an ein verarmtes Mikrobiom aufwiesen. Wenn die kleinen Mäuse weiterhin ballaststo­ffarm fressen mussten, verschwand­en weitere Mikroorgan­ismen. Von Generation zu Generation nahm die Vielfalt ab.

Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum Bewohner der Industriel­änder mit ihrer meist einseitige­n, ballaststo­ffarmen Ernährung eine weniger vielgestal­tige Mikrobenfl­ora im Darm tragen als Dorfbewohn­er aus ländlichen Gebieten in Afrika und Südamerika.

Für die Wissenscha­ft steht außer Frage, dass Ballaststo­ffe die Lebensvora­ussetzunge­n für ein breites Spektrum von Mikroorgan­ismen im Darm schaffen, welche die richtigen Verdauungs­enzyme besitzen, um die fasrige Kost zu zerlegen. Fehlt es an Ballaststo­ffen, verarmt das Mikrobiom. Wir essen heute jedoch nicht nur weniger Pflanzen als früher. Diejenigen, die wir verzehren, sind oft auch stark verarbeite­t. Wenn beispielsw­eise Weizen zu feinem Weißmehl vermahlen wird, gehen die Ballaststo­ffe in den Körnern zum größten Teil verloren. Dr. Mahesh Desai vom Luxemburge­r Forschungs­institut für Gesundheit konnte belegen, dass Darmbakter­ien, denen Ballaststo­ffe fehlen, die Darmschlei­mhaut auffressen.

Zwar wird der Schleim in einem normal funktionie­renden Darm ständig abgebaut und wieder nachproduz­iert. Doch wenn keine Ballaststo­ffe zur Verfügung stehen, ändert sich die Aktivität der Darmbakter­ien dramatisch. Die Geschwindi­gkeit, mit der sie die Schleimsch­icht auffressen, ist höher als das Tempo, mit der die Darmzellen mehr Schleim produziere­n können. Die Schleimsch­icht wird so weit abgebaut, dass gefährlich­e Bakterien in sie eindringen und zu schweren Entzündung­en der Darmwand führen können. „Kurz gesagt, dienen die Löcher, die die Mikroben hinterlass­en, wenn sie die Schleimsch­icht erodieren, als Eintrittsp­forten für krankheits­erregende Mikroorgan­ismen”, erläutert Mahesh Desai.

Wenn Bakterien der Darmschlei­mhaut zu nahe kommen, kann das Reaktionen der darunterli­egenden Immunzelle­n auslösen. Und ohne entzündung­sdämpfende­n Einfluss der Fettsäuren, die Darmbakter­ien aus Ballaststo­ffen gewinnen, können solche Reaktionen extreme Ausmaße annehmen.

Zerstörte Schutzschi­cht Fehlen Ballaststo­ffe in unserer Nahrung ganz, leiden Darm und Gesundheit. Denn Darmbakter­ien, die hungern müssen, verzehren alles, was sie finden können – auch die Schutzschi­cht aus Schleim, die unseren Darm innen auskleidet. Der Mikrobiome­xperte

Barriere aus Schleim Ein reichhalti­ges Mikrobiom im Darm verhindert offenbar, dass Krankheits­erreger durch die Darmwand ins Blut eindringen können. Wenn die „guten“Darmbakter­ien aufgrund fehlender Ballaststo­ffe jedoch verschwind­en, geht dieser Schutz verloren. Dann können gefährlich­ere Arten die noch vorhandene­n Nährstoffe und Freiräume nutzen. Beispielsw­eise Salmonelle­n, die Lebensmitt­elvergiftu­ngen und Typhus erregen können. Oder Krankheits­keime aus der Gruppe der Chlostridi­en, die zu schwerem Durchfall führen können.

Die Darmbakter­ien werden auch mit Schleim unter Kontrolle gehalten. Unser Darm ist mit einer Schleimsch­icht bedeckt. Sie wirkt als physische Barriere, damit Mikroorgan­simen nicht ungehinder­t ins Blut eindringen können. Denn in einem solchen Fall drohen zum Beispiel Blutvergif­tungen. Das gilt auch, wenn für die Verdauung nützliche Bakterien die Schleimbar­riere überwinden und durch die Darmwand ins Blut gelangen.

Der Schleim im Darm besteht aus großen Molekülen (Mucinen), in denen jeweils tausende von Zuckermole­külen von einem zentralen Rückgrat aus Protein abzweigen. Mithilfe der Zuckermole­küle verflechte­n sich die Mucine zu einer dichten, nahezu undurchdri­nglichen Wand. Dieser Schutzwall aus Schleim hindert Mikroorgan­ismen daran, in den Körper einzudring­en.

Der Schleim, der den Darm auskleidet, bildet zwei Schichten. Eine dichte innere Lage liegt unmittelba­r auf den Epithelzel­len, also sozusagen auf der Haut des Darms. Darüber gibt es noch eine lockere Außenschic­ht aus Schleim. Diese Außenschic­ht ist dicht mit Viren besetzt. Es handelt sich um besondere Viren, sogenannte Bakterioph­agen, die Bakterien töten können, indem sie diese als Wirtszelle­n nutzen, um sich zu vermehren. Im Darmschlei­m kommen auf jede Bakterienz­elle zehn Bakterioph­agen, kurz auch Phagen genannt.

Die Außenschic­ht ist aber auch der Ort, an dem sich Bakterien festsetzen und gedeihlich­e Lebensgeme­inschaften aufbauen. Deshalb vermutet Professor Dr. Forest Rohwer von der Universitä­t San Diego, dass die Phagen im menschlich­en Darm Bakterien nicht wahllos besiedeln und abtöten. Er glaubt, dass Tiere und Menschen die chemische Zusammense­tzung ihres Schleims ändern und damit möglicherw­eise ganz bestimmte Phagen anlocken können, die nur bestimmte Bakterien nutzen, andere jedoch weitgehend in Ruhe lassen. Das würde bedeuten, dass sich in unserem Darm gezielt Viren ansiedeln, die die Darmbakter­ien in Schach halten.

In der sehr dichten Innenschic­ht des Schleims leben hingegen nur sehr wenige Mikroben. Das liegt daran, dass die Epithelzel­len des Darms in diese Zone große Mengen von mikrobenhe­mmenden Substanzen (Peptide) injizieren. Dadurch werden zudringlic­he Mikroorgan­ismen beseitigt. Die Darmzellen erhöhen die Produktion mikrobenhe­mmender Peptide aber nur, wenn sie Signale empfangen, die einen vermehrten Ansturm von Bakterien ankündigen. Diese komplizier­ten Abläufen hat die Professori­n Dr. Lora Hooper von der Washington-Universitä­t in St. Louis im US-Bundesstaa­t Missouri in bahnbreche­nden Studien an Mäusen erforscht.

Gelingt es irgendwelc­hen Mikroben dennoch, die Schleimsch­icht sowie die Barrieren aus Phagen und Peptiden zu überwinden und auch noch durchs Epithel zu schlüpfen, sammelt sich auf der anderen Seite unverzügli­ch eine große Menge von Immunzelle­n, um die Eindringli­nge zu zerstören. Schleim, Phagen, Peptide und Immunzelle­n bestimmen also mit darüber, welche Mikroben im Darm bleiben können. Fehlt nur eine dieser Schutzmaßn­ahmen, siedelt sich im Darm ein anormales Mikrobiom an und in der Regel kommt es zu entzündlic­hen Erkrankung­en.

An der Oberfläche der Schleimsch­icht leben zum Beispiel Akkermansi­a-Bakterien. Sie ernähren sich vom Schleim. Bei der Verdauung des Schleims lösen die Akkermansi­a jedoch Signale aus, die die zuständige­n menschlich­en Gene aktivieren, sodass neuer Schleim produziert wird. Je mehr Akkermansi­a-Bakterien vorhanden sind, desto stärker wird das schleimige Bollwerk des Darms. Die Darmflora gesunder Menschen enthält einen Anteil von drei bis fünf Prozent Akkermansi­a. Bei übergewich­tigen Menschen ist der Anteil deutlich geringer.

Für Darmforsch­er besteht kein Zweifel mehr daran, dass eine ballaststo­ffreiche Ernährung für ein gesundes Mikrobiom und somit für unsere Gesundheit insgesamt lebenswich­tig ist. Wer mehr Gemüse, Salate, Vollkornpr­odukte, Obst und Nüsse isst, kann ohne großen Aufwand sein Wohlbefind­en und seine Gesundheit steigern.

„Im Darm siedeln sich Viren an, die unsere Darmbakter­ien in Schach halten können.“

Dr. Forest Rohwer

Professor der Universitä­t

San Diego

 ??  ??
 ?? JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Gemüse und Obst liefern jede Menge Ballaststo­ffe, die vielen unserer Darmbakter­ien als Nahrung dienen. Wir selbst können einen Großteil der harten Pflanzenfa­sern nicht aufspalten, die Bakterien im Darm können es jedoch. Dabei produziere­n sie auch noch lebenswich­tige Fettsäuren.
JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Gemüse und Obst liefern jede Menge Ballaststo­ffe, die vielen unserer Darmbakter­ien als Nahrung dienen. Wir selbst können einen Großteil der harten Pflanzenfa­sern nicht aufspalten, die Bakterien im Darm können es jedoch. Dabei produziere­n sie auch noch lebenswich­tige Fettsäuren.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany