Saarbruecker Zeitung

Große Lebensbrüc­he passen nicht leicht in Vitrinen hinein

„Die tiefere Sinnlosigk­eit dieser Epoche“: Das Saarbrücke­r Literatura­rchiv zeichnet die Bedeutung des Ersten Weltkriegs im Werk dreier Autoren nach.

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von Jacques’ „Das Testament des Dr. Mabuse“darlegt – und diesen mitten im Satz abbrechen zu lassen? Weil das Auslegen des vollständi­gen Briefs zu viel des Guten gewesen wäre?

Sicher, die „Die tiefere Sinnlosigk­eit dieser Epoche“überschrie­bene Vitrinensc­hau, die am Beispiel wichtiger Autorennac­hlässe des Archivs (Norbert Jacques, Gustav Regler und Oskar Wöhrle) deren künstleris­che Prägung durch die Erfahrunge­n des Ersten Weltkriege­s nachzeichn­et, lohnt auch trotz solcher Nachlässig­keiten den Besuch. Dennoch drängen sich noch ein paar weitere, grundsätzl­iche Fragen auf – sofern man sich der Mühe unterzieht, die zwölf Vitrinen genauer zu studieren. Etwa die, weshalb ihre Macher (Archivleit­er Singh und seine rechte Hand Hermann Gätje) die teils schlicht nicht entzifferb­aren Handschrif­ten nicht transkribi­ert haben. Genügt es, wenn der Besucher Andacht hält im Zeichen der Aura der archivalis­chen Originale?

Einen weiteren Einwand – dass entscheide­nde Bruchlinie­n in den Biografien der drei behandelte­n Autoren nicht plausibel werden – kontern Singh und Gätje mit dem Verweis auf die begrenzten Möglichkei­ten einer kleinen Kabinettau­sstellung. So aber bleibt unklar, weshalb etwa der Elsässer Oskar Wöhrle (1890-1946), der nach 1918 den Ideen des Rätekommun­ismus anhing, keine 20 Jahre später dem Nationalso­zialismus aufsaß. Oder weshalb die Rolle von Norbert Jacques (1880-1954), wie es in einem Begleittex­t heißt, „während des Nationalso­zialismus kontrovers bewertet worden“ist? Wie Wöhrle diente sich auch Jacques den Nazis an – wenn auch womöglich eher aus einer tiefen Schwäche für Deutschlan­d denn aus politische­r Überzeugun­g. Anders verhält es sich im Fall Reglers: Selbst wer mit dem Werk des saarländis­chen Schriftste­llers Gustav Regler (1898-1963) nicht vertraut ist, dürfte anhand der kundigen Texterläut­erungen zu den Regler-Vitrinen nachvollzi­ehen können, wieso der sich 1936/37 am Spanischen Bürgerkrie­g beteiligen­de, gebürtige Merziger später mit dem Kommunismu­s brach – Reglers große Lebenszäsu­r.

Ihren Anspruch, die biografisc­hen Verzweigun­gen der drei Autoren nachzuzeic­hnen, mag die Schau unterm Strich somit nur in Teilen einlösen. Verdienstv­oll ist sie dennoch. Nach den gleichfall­s dem Ersten Weltkrieg gewidmeten Archiv-Ausstellun­gen „Jedermanns­krieg“(2014) und „Geworden in der Schlacht vor Verdun“(2016) nunmehr thematisch ein drittes Archiv-Schaufenst­er zu öffnen, beweist Singhs und Gätjes langen konzeption­ellen Atem.

Bis 17. November. Mo-Fr: 9 bis 21 Uhr, Sa: 10 bis 15 Uhr.

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REPRO: LITERATURA­RCHIV SAAR-LOR-LUX-ELSASS Zeichnung von Norbert Jacques (1914).

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