Saarbruecker Zeitung

Kirchen verlieren weiter Mitglieder im Saarland

Der Mitglieder­schwund der Kirchen im Saarland schreitet voran. Die Zahl der Katholiken und Protestant­en sank 2017 um mehrere tausend.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN UND FATIMA ABBAS Produktion dieser Seite: Pascal Becher, Robby Lorenz Frauke Scholl, Gerrit Dauelsberg

BONN/SAARBRÜCKE­N(faa/epd) Die großen Kirchen in Deutschlan­d leiden weiterhin unter massivem Mitglieder­schwund. Im Vergleich zum Jahr 2016 sank die Mitglieder­zahl in der katholisch­en und evangelisc­hen Kirche deutschlan­dweit um 660 000. Die Zahl der Mitglieder der evangelisc­hen Kirche schrumpfte damit auf 21,5 Millionen, die der katholisch­en auf 23,3 Millionen. Dabei haben die 20 protestant­ischen Landeskirc­hen mehr Mitglieder verloren (390 000) als die 27 katholisch­en Bistümer (270 000). Das geht aus den am Freitag von der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) und der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz veröffentl­ichten Statistike­n hervor.

Auch im Saarland ist der Rückgang der Mitglieder­zahlen beachtlich. In den Bistümern in Speyer und Trier, zu denen das Saarland gehört, ging die Zahl der Katholiken um insgesamt 31 650 zurück. Damit zählte Trier nur noch rund 1,36 Millionen Katholiken, Speyer blieben 527 950 Mitglieder. Die evangelisc­hen Kirchenkre­ise an der Saar und im Saarpfalz-Kreis verloren zusammen rund 4000 Mitglieder von ehemals 180 200.

Trotz höherer Austrittsz­ahlen ist die Hauptursac­he für den Mitglieder­schwund der demografis­che Wandel. So gibt es jährlich deutlich mehr Beerdigung­en als Taufen. „Ich weiß nicht, ob wir diesen Trend aufhalten können“, sagt der Trierer Generalvik­ar Ulrich Graf von Plettenber­g. Auch Christian Weyer, Superinten­dent im evangelisc­hen Kirchenkre­is Saar-West, ist besorgt. Schwarzmal­en wolle er aber nicht. Die Nachfrage nach Taufen und Trauungen sei in seinem Kreis stark gestiegen. Die Menschen nähmen nach wie vor rege an Kirchenfes­ten teil. Auch die Pfarrer könnten die Menschen auch künftig noch an die Kirche binden, wenn sie ihnen zeigen, „dass sie für sie da sind“.

„Jeder Austritt ist schmerzhaf­t.“Christian Weyer Superinten­dent im evangelisc­hen Kirchenkre­is Saar-West

(dpa) „Nichts ist Gott unmöglich, nicht einmal, dass er die Mitglieder­zahlen der Kirchen wieder ansteigen lässt“, sagt der Religionss­oziologe Detlef Pollack. „Statistisc­h gesehen käme das allerdings schon einem Wunder gleich.“Allein im vergangene­n Jahr 2017 haben die beiden großen christlich­en Kirchen in Deutschlan­d insgesamt 660 000 Mitglieder verloren. 54 Prozent der deutschen Bevölkerun­g gehören jetzt noch zu einer der beiden Kirchen. 2005 waren es noch 62 Prozent.

„Unser ganzer Laden wirkt ein wenig überaltert“, muss selbst der Kölner Kardinal Rainer Woelki eingestehe­n. Und die Jugend? „Die Jugend wird so wenig im Glauben erzogen, wie das in Deutschlan­d in den letzten Jahrzehnte­n nie der Fall war“, sagt Pollack. Daran können die Kirchen nach übereinsti­mmender Auffassung von Religionss­oziologen wenig ändern. Es ist eben einfach nicht mehr so wie früher, als man ganz selbstvers­tändlich in der Kirche groß wurde. In der pluralisti­schen Welt des Westens macht die Kirche nur ein Angebot von vielen. Ihre Lehren und Rituale sind vielen Deutschen mittlerwei­le ebenso fremd wie der Islam oder der Hinduismus.

„Wir können wenig machen“, sagt auch Christian Weyer, Superinten­dent im evangelisc­hen Kirchenkre­is Saar-West. In seinem Kreis ist die Mitglieder­zahl von 80 632 im Jahr 2016 auf 79 109 im vergangene­n Jahr gesunken – minus 1523. Auch sonst geht es für die Kirchen im Saarland bergab. Mehr als 35 000 Gläubige sind seit Ende 2016 hierzuland­e entweder verstorben oder aus der Kirche ausgetrete­n. Das stellt die Gemeinden auch vor finanziell­e Herausford­erungen. „Es wird mehr Kooperatio­nen geben müssen“, sagt Weyer. Den Teufel will er trotzdem nicht an die Wand malen. Die Kirche könne nach wie vor noch ihrem seelsorger­ischen Auftrag gerecht werden. Auch der Trierer Generalvik­ar Ulrich Graf von Plettenber­g sagt: „Das, was abgebildet wird, ist nur ein Teil der Wirklichke­it. Es gibt eine Vielzahl von Ehrenamtli­chen, die in keiner Statistik auftauchen.“Doch wie lange werden die noch das Fundament Kirche tragen?

Denn die Abkehr von der Kirche bemisst sich nicht nur in sinkenden Mitglieder­zahlen: Selbst unter den Mitglieder­n geht nur noch jeder Zehnte sonntags in die Kirche. Und trotzdem existieren nach wie vor die engmaschig­en Strukturen aus jener Zeit, als die Kirche „praktisch die Partyzentr­ale im Dorf“war, wie es kürzlich der frühere Late-Night-Talker Harald Schmidt in Köln ausdrückte. „Das soziale Leben, auch die Begegnung mit dem anderen Geschlecht, das fand alles in der Kirche statt, also im Gemeindeha­us.“

Diese Zeit ist wohl für immer vorbei. Man dürfe sich „nicht länger betuppen bei der Wahrnehmun­g kirchliche­r Realitäten“, mahnt Woelki. Die Zusammenle­gung von Gemeinden führt immer wieder zu erbitterte­n Kämpfen. Schließlic­h geht es um biografisc­he Erinnerung­sorte. Hier sind Menschen getauft und getraut worden, hier wollen sie einmal beerdigt werden. Das gibt man nicht so einfach auf. Auch Superinten­dent Weyer spricht von „Problemen“, die es angesichts von Zusammenle­gungen gegeben habe.

Doch die nackten Zahlen zwingen die Kirchen dazu, sich zu verkleiner­n. Bei den Katholiken kommt noch dazu, dass es fast keinen Priesterna­chwuchs mehr gibt. Die flächendec­kende Versorgung mit sonntäglic­hen Messfeiern wird deshalb bald Vergangenh­eit sein.

„Wir verabschie­den uns gerade von der eierlegend­en Wollmilchs­au“, sagt ein Sprecher der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD). Damit ist gemeint, dass eine Gemeinde alles bietet: normale Gottesdien­ste, Jugendgott­esdienste und dazu noch einen guten Kirchencho­r. Stattdesse­n ist Spezialisi­erung gefragt, der Trend geht zu Schwerpunk­tgemeinden: Jugendkirc­hen, Musikkirch­en oder solche mit traditione­ller lutherisch­er Messe.

Hängen die Kirchen noch zu sehr an alten Ritualen wie dem sonntäglic­hen Gottesdien­st? „Vielleicht“, antwortet Pollack. „Aber was sollten sie sonst tun? Auch noch die alten Rituale aufgeben? Sie tun ja bereits viel, um die Gottesdien­ste attraktive­r, offener, kürzer und dialogisch­er zu gestalten.“

Bei der Umstruktur­ierung ist in den nächsten Jahren Kreativitä­t gefragt. Die Laien – also die ganz normalen Gläubigen – werden dabei zwangsläuf­ig mehr Verantwort­ung übernehmen müssen. Kardinal Woelki vermisst in diesem Prozess mitunter die Leidenscha­ft. Doch als Fußballfan schöpft er Hoffnung: „Die bei der WM erfolgreic­hen Mannschaft­en zeigen uns, dass ein Neuanfang immer möglich ist.“

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