Kirchen verlieren weiter Mitglieder im Saarland
Der Mitgliederschwund der Kirchen im Saarland schreitet voran. Die Zahl der Katholiken und Protestanten sank 2017 um mehrere tausend.
BONN/SAARBRÜCKEN(faa/epd) Die großen Kirchen in Deutschland leiden weiterhin unter massivem Mitgliederschwund. Im Vergleich zum Jahr 2016 sank die Mitgliederzahl in der katholischen und evangelischen Kirche deutschlandweit um 660 000. Die Zahl der Mitglieder der evangelischen Kirche schrumpfte damit auf 21,5 Millionen, die der katholischen auf 23,3 Millionen. Dabei haben die 20 protestantischen Landeskirchen mehr Mitglieder verloren (390 000) als die 27 katholischen Bistümer (270 000). Das geht aus den am Freitag von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Statistiken hervor.
Auch im Saarland ist der Rückgang der Mitgliederzahlen beachtlich. In den Bistümern in Speyer und Trier, zu denen das Saarland gehört, ging die Zahl der Katholiken um insgesamt 31 650 zurück. Damit zählte Trier nur noch rund 1,36 Millionen Katholiken, Speyer blieben 527 950 Mitglieder. Die evangelischen Kirchenkreise an der Saar und im Saarpfalz-Kreis verloren zusammen rund 4000 Mitglieder von ehemals 180 200.
Trotz höherer Austrittszahlen ist die Hauptursache für den Mitgliederschwund der demografische Wandel. So gibt es jährlich deutlich mehr Beerdigungen als Taufen. „Ich weiß nicht, ob wir diesen Trend aufhalten können“, sagt der Trierer Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg. Auch Christian Weyer, Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Saar-West, ist besorgt. Schwarzmalen wolle er aber nicht. Die Nachfrage nach Taufen und Trauungen sei in seinem Kreis stark gestiegen. Die Menschen nähmen nach wie vor rege an Kirchenfesten teil. Auch die Pfarrer könnten die Menschen auch künftig noch an die Kirche binden, wenn sie ihnen zeigen, „dass sie für sie da sind“.
„Jeder Austritt ist schmerzhaft.“Christian Weyer Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Saar-West
(dpa) „Nichts ist Gott unmöglich, nicht einmal, dass er die Mitgliederzahlen der Kirchen wieder ansteigen lässt“, sagt der Religionssoziologe Detlef Pollack. „Statistisch gesehen käme das allerdings schon einem Wunder gleich.“Allein im vergangenen Jahr 2017 haben die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland insgesamt 660 000 Mitglieder verloren. 54 Prozent der deutschen Bevölkerung gehören jetzt noch zu einer der beiden Kirchen. 2005 waren es noch 62 Prozent.
„Unser ganzer Laden wirkt ein wenig überaltert“, muss selbst der Kölner Kardinal Rainer Woelki eingestehen. Und die Jugend? „Die Jugend wird so wenig im Glauben erzogen, wie das in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nie der Fall war“, sagt Pollack. Daran können die Kirchen nach übereinstimmender Auffassung von Religionssoziologen wenig ändern. Es ist eben einfach nicht mehr so wie früher, als man ganz selbstverständlich in der Kirche groß wurde. In der pluralistischen Welt des Westens macht die Kirche nur ein Angebot von vielen. Ihre Lehren und Rituale sind vielen Deutschen mittlerweile ebenso fremd wie der Islam oder der Hinduismus.
„Wir können wenig machen“, sagt auch Christian Weyer, Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Saar-West. In seinem Kreis ist die Mitgliederzahl von 80 632 im Jahr 2016 auf 79 109 im vergangenen Jahr gesunken – minus 1523. Auch sonst geht es für die Kirchen im Saarland bergab. Mehr als 35 000 Gläubige sind seit Ende 2016 hierzulande entweder verstorben oder aus der Kirche ausgetreten. Das stellt die Gemeinden auch vor finanzielle Herausforderungen. „Es wird mehr Kooperationen geben müssen“, sagt Weyer. Den Teufel will er trotzdem nicht an die Wand malen. Die Kirche könne nach wie vor noch ihrem seelsorgerischen Auftrag gerecht werden. Auch der Trierer Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg sagt: „Das, was abgebildet wird, ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Es gibt eine Vielzahl von Ehrenamtlichen, die in keiner Statistik auftauchen.“Doch wie lange werden die noch das Fundament Kirche tragen?
Denn die Abkehr von der Kirche bemisst sich nicht nur in sinkenden Mitgliederzahlen: Selbst unter den Mitgliedern geht nur noch jeder Zehnte sonntags in die Kirche. Und trotzdem existieren nach wie vor die engmaschigen Strukturen aus jener Zeit, als die Kirche „praktisch die Partyzentrale im Dorf“war, wie es kürzlich der frühere Late-Night-Talker Harald Schmidt in Köln ausdrückte. „Das soziale Leben, auch die Begegnung mit dem anderen Geschlecht, das fand alles in der Kirche statt, also im Gemeindehaus.“
Diese Zeit ist wohl für immer vorbei. Man dürfe sich „nicht länger betuppen bei der Wahrnehmung kirchlicher Realitäten“, mahnt Woelki. Die Zusammenlegung von Gemeinden führt immer wieder zu erbitterten Kämpfen. Schließlich geht es um biografische Erinnerungsorte. Hier sind Menschen getauft und getraut worden, hier wollen sie einmal beerdigt werden. Das gibt man nicht so einfach auf. Auch Superintendent Weyer spricht von „Problemen“, die es angesichts von Zusammenlegungen gegeben habe.
Doch die nackten Zahlen zwingen die Kirchen dazu, sich zu verkleinern. Bei den Katholiken kommt noch dazu, dass es fast keinen Priesternachwuchs mehr gibt. Die flächendeckende Versorgung mit sonntäglichen Messfeiern wird deshalb bald Vergangenheit sein.
„Wir verabschieden uns gerade von der eierlegenden Wollmilchsau“, sagt ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Damit ist gemeint, dass eine Gemeinde alles bietet: normale Gottesdienste, Jugendgottesdienste und dazu noch einen guten Kirchenchor. Stattdessen ist Spezialisierung gefragt, der Trend geht zu Schwerpunktgemeinden: Jugendkirchen, Musikkirchen oder solche mit traditioneller lutherischer Messe.
Hängen die Kirchen noch zu sehr an alten Ritualen wie dem sonntäglichen Gottesdienst? „Vielleicht“, antwortet Pollack. „Aber was sollten sie sonst tun? Auch noch die alten Rituale aufgeben? Sie tun ja bereits viel, um die Gottesdienste attraktiver, offener, kürzer und dialogischer zu gestalten.“
Bei der Umstrukturierung ist in den nächsten Jahren Kreativität gefragt. Die Laien – also die ganz normalen Gläubigen – werden dabei zwangsläufig mehr Verantwortung übernehmen müssen. Kardinal Woelki vermisst in diesem Prozess mitunter die Leidenschaft. Doch als Fußballfan schöpft er Hoffnung: „Die bei der WM erfolgreichen Mannschaften zeigen uns, dass ein Neuanfang immer möglich ist.“