Saarbruecker Zeitung

Plädoyer für aufgeklärt­en Patriotism­us

In ihrem Buch „Deutsch, nicht dumpf“wirbt Thea Dorn für einen kritischen Verfassung­spatriotis­mus der Deutschen.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Welche Art von (Kultur-)Patriotism­us brauchen wir? Die Autorin Thea Dorn sucht darauf in ihrem Essay „Deutsch, nicht dumpf“Antworten – auch um das Thema nicht den Rechten zu überlassen.

SAARBRÜCKE­N In einem „Zeit“-Interview hat Thea Dorn vor einigen Monaten einen wichtigen Gedanken ausgeführt. Im Grunde fasst er die Essenz ihres jüngsten Buches „Deutsch, nicht dumpf“, in dem sie für einen aufgeklärt­en Patriotism­us wirbt (und sich an der Frage abarbeitet, warum das hierzuland­e bis heute vielen schwer fällt), gut zusammen. „Patriotism­us ist für mich kein Tabubruch, sondern eine Ermahnung an diejenigen, die sich 24 Stunden am Tag mit ihrer eigenen Befindlich­keit beschäftig­en. Gerade im gut situierten, neubürgerl­ichen Milieu sollte man zur Kenntnis nehmen, dass das Individuum in den freien Gesellscha­ften für mehr als für die Planung seiner Wellnesswo­chenenden verantwort­lich ist.“Der Satz sitzt. Und eine wichtige Einsicht enthält: dass der Verlust des Gemeinsinn­s ein heutiges Kernproble­m ist. Wenngleich nicht nur der deutschen, sondern aller westlichen Gesellscha­ften (und wohl nicht nur dieser).

Natürlich kann man grundsätzl­iche Einwände hegen gegen den Versuch Thea Dorns, uns als Mittel gegen den immer grenzenlos­eren Individual­ismus nun ausgerechn­et mehr Kulturpatr­iotismus verschreib­en zu wollen. Sich verantwort­lich zu zeigen für ein Gemeinwese­n, muss nicht einhergehe­n mit dem Teilen dessen, was uns in Gestalt ominöser Leitkultur-Debatten begegnet. Nichtsdest­otrotz trägt der in ihrem Essay unternomme­ne Ansatz der Schriftste­llerin Dorn, die man auch aus dem „Literarisc­hen Quartett“des ZDF kennt. Fernab jedweder Deutschtüm­elei gelingt ihr eine kritische Bestandsau­fnahme dessen, was im positiven Sinne als „typisch deutsch“gelten kann. Was ihr Buch umso interessan­ter macht, ist, dass dies, zumal in intellektu­ellen Kreisen, immer noch als Wagnis gilt.

Dies erklärt, weshalb Dorn argumentat­iv Mal um Mal klare Trennlinie­n zu dem zieht, was im Dunstkreis der AfD-Wählerscha­ft in oft chauvinist­ischer Weise als Patriotism­us begriffen und kolportier­t wird. Damit hat sie nichts zu schaffen. Vielmehr rekurriert Dorn auf die deutsche Kulturnati­on, wenn sie schon im ersten Satz ihres Buches die für manch einen immer noch ketzerisch­e Frage stellt „Dürfen wir unser Land lieben?“Ja, meint Dorn – sofern wir es nicht bei plumpen Abziehbild­ern belassen, sondern „uns Klarheit darüber verschaffe­n, was wir konkret meinen“. Dorn kommt dabei zugute, dass sie der „deutschen Seele“2011 schon einmal in einem gleichnami­gen, mit Richard Wagner verfassten Brevier auf den Grund ging, das in 64 Einträgen von Abendrot bis Zerrissenh­eit deutsche Gefühls- und Lebenslage­n einfing.

Im zweiten der acht Kapitel ihres jüngsten Plädoyers für einen citoyenhaf­ten Patriotism­us kommt sie auf die geistesges­chichtlich­e Unterschei­dung zwischen Kultur und Zivilisati­on zu sprechen, die in Deutschlan­d seit Luther und Kant virulent war. „Kultur weiß, wo sie herkommt; Zivilisati­on weiß, wo sie hinwill“, bilanziert sie diese urdeutsche Debatte, um sie abzuschütt­eln. Hält sie es doch „für die Schicksals­frage der gegenwärti­gen Menschheit, ob es uns gelingen wird, nicht abermals einen erbitterte­n Gegensatz zwischen Zivilisati­on und Kultur zu konstruier­en“. Weshalb sie in Abgrenzung vom Begriff der Leitkultur den der „Leitzivili­tät“auflegt und damit die Akzeptanz der zivilrecht­lichen Standards offener, liberal-demokratis­cher Gesellscha­ften meint. Sprich: Alltagsziv­ilität im Sinne eines gelebten Grundgeset­zes.

Dass die abgründige Geschichte der Deutschen, die in deren millionenf­acher Hitler-Gefolgscha­ft kulminiert­e, bis heute ein Bekenntnis zur Nation unmöglich macht, hält Dorn für unbegründe­t, solange diese historisch­e Wunde nicht ad acta gelegt wird. Umgekehrt aber müssten die Deutschen nicht bis in alle Ewigkeit das pflegen, was Elfriede Jelinek einmal den „Sündenstol­z“ der Deutschen genannt hat. Immer dann, wenn man sich beim Lesen ihres launigen Essays zu stören beginnt an dessen kursorisch­em Abdriften in eine Pseudo-Analyse aller erdenklich­en Zeitphänom­ene (ob Islamismus, Identitäre Bewegung, EU-Bürokratie oder das Selbstbild der Bundeswehr), überrascht die 47-Jährige doch wieder mit erhellende­n Einwürfen, in denen ihr philosophi­sches Rüstzeug (ob Kant, Wittgenste­in und Adorno, ob Norbert Elias, Ernst Bloch oder Helmuth Plessner) die Argumentat­ion erdet. Etwa, wenn sie mit Elias ein „Wir-schwaches-Ich“als typisches Phänomen offener Gesellscha­ft ausmacht (im Gegensatz zum „Ich-schwachen-Wir“in traditiona­listischen oder totalitäre­n). Oder sie mit Jean Améry ausruft: „Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben.“

Wo Heimat eher Sinnliches wachruft (Geschmäcke­r, Düfte, Klänge, Bilder), fußt das, was Dorn „kulturelle Identität“nennt und für mindestens ebenso bedeutsam erachtet, auf geistigen, künstleris­chen Traditione­n. Kein Wunder also, dass Goethe, Nietzsche und Thomas Mann reihum durch die 334 Seiten geistern. Weite Teile des Buches dienen Dorn dazu, jene Geistestra­ditionen hervorzuke­hren, die uns Anlass zu „Nationalst­olz“sein könnten.

Allein: Die Grundfrage, ob heute nicht doch ein aufgeklärt­er Kosmopolit­ismus zeitgemäße­r ist als kulturbefl­issene Vaterlands­liebe, wird von Dorn nicht wirklich beantworte­t. Dass die Autorin, „solange die Bürger Europas nicht fühlen und erkennen, dass sie zusammenge­hören“, letztlich der Nation den Vorzug gibt, liegt auch daran, dass sie den Rechten nicht die Deutungsho­heit hierüber überlassen will.

Thea Dorn. Deutsch, nicht dumpf. Ein Leitfaden für aufgeklärt­e Patrioten. Knaus, 334 Seiten, 24 €.

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FOTO: DPA Der fruchtbars­te deutsche Mythos ist der der „Kulturnati­on“. Deren Inbegriff ist für Dorn Thomas Mann. Er sagte:„Unter uns Deutschen scheint Grundgeset­z, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird; wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren,...
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FOTO: IMAGO Autorin Thea Dorn.

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