Saarbruecker Zeitung

Özils Rücktritt wird zum Politikum

„Ist es, weil ich Muslim bin?“Mesut Özil wirft dem DFB Rassismus vor. Der wehrt sich nun – und viele diskutiere­n über den Abgang eines großen Fußballers und über Integratio­n.

- VON HAGEN STRAUSS, CHRISTIAN KUNZ UND ANNE-BÉATRICE CLASMANN

(SZ/dpa) Am Tag der Entscheidu­ng wird Mesut Özil sportlich keine Rolle mehr spielen. Joachim Löw verkündet am 29. August seinen Kader für den Neuanfang – ein Kader ohne einen per Generalabr­echnung zurückgetr­etenen Lieblingss­pieler. Seit 2009 war Özil deutscher Fußball-Nationalsp­ieler, seit der WM 2010 ein Fixpunkt im Ensemble des Bundestrai­ners. Feine Technik, geniale Momente und 23 Tore in 92 Länderspie­len sorgten dafür, dass Mesut Özil eine prägende Figur beim Fußball-Weltmeiste­r von 2014 war. Damals überreicht­e ihm Joachim Gauck das „Silberne Lorbeerbla­tt“, die höchste staatliche Auszeichnu­ng für Sportler. Bundeskanz­lerin Angela Merkel war dabei. Gestern ließ sie mitteilen, Özil sei ein „toller Fußballspi­eler“. Sie respektier­e seinen Entschluss.

Ein Entschluss, der zum Politikum geworden ist. Denn nach der Kontrovers­e um sein Foto mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan begründete Özil seinen Rücktritt aus der Nationalma­nnschaft unter anderem mit Rassismus und fehlender Anerkennun­g.

Der DFB hat inzwischen in einer Erklärung reagiert: „Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir mit Blick auf seine Repräsenta­nten, Mitarbeite­r, die Vereine, die Leistungen der Millionen Ehrenamtli­chen an der Basis in aller Deutlichke­it zurück.“Die Attacken des Fußballers gegen Verband und Präsident Reinhard Grindel klammerte der DFB dabei weitgehend aus. Man bedauere den Schritt und sei Özil für seine „herausrage­nden Leistungen“sehr dankbar.

Özil hatte am Sonntag über soziale Medien harsche Anschuldig­ungen gegen Grindel und den Verband erhoben. In Grindels Augen, schreibt Özil, sei er nur Deutscher, „wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren“. Dem DFB-Chef warf er vor, ihn zum Sündenbock für „seine Inkompeten­z“gemacht zu haben. Zudem will der 29-Jährige im DFB „fremdenfei­ndliche Tendenzen“erkannt haben. Ein Vorwurf, der einen Nerv getroffen hat. Denn in gewisser Weise ist die Lebensgesc­hichte des Fußballers aus Gelsenkirc­hen eben schon typisch für eine Erfahrung, die Migranten in Deutschlan­d machen. Sie erleben, dass sie sich entscheide­n sollen, wo sie dazu gehören wollen, sagt Integratio­nsforscher Haci Halil Uslucan von der Universitä­t Duisburg-Essen. Er spricht von „Vereindeut­schungsdru­ck“und „Integratio­nsparadoxo­n“. Özils Auftritt mit Erdogan dürfte viel mit diesem Phänomen und weniger mit politische­n Statements zusammenhä­ngen. In seiner Rücktritts­erklärung fragt Özil: „Ist es, weil ich Muslim bin?“

Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) nannte es ein „Alarmzeich­en, wenn sich ein großer, deutscher Fußballer wie Özil in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt fühlt.“Der Bundesvors­itzende der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d (TGD), Gökay Sofuoglu, gibt Özil in einem Punkt Recht: „Ja, wir haben ein Rassismus-Problem.“Wie der Fußballer jetzt mit diesem Thema umgeht, findet er aber „unglücklic­h“. Nicht wegen des Fotos mit Erdogan, sondern weil er das Thema Rassismus „erst jetzt, wo er selbst betroffen ist“, entdeckt habe. Andere werfen Özil vor, zu lange mit einer Reaktion gewartet zu haben. Bayern-Chef Uli Hoeneß fand harte Worte: „Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist. Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt. Den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen. Und jetzt versteckt er sich und seine Mist-Leistung hinter diesem Foto.“

Trotz aller Kritik an Özil: Die Affäre wird nicht spurlos am DFB vorüberzie­hen. Weit mehr als bei der Kadernomin­ierung dürfte sich das Özil-Beben auf die Strukturen im Verband und auch auf die EM-Bewerbung für 2024, bei der die Türkei einziger Gegenkandi­dat ist, auswirken.

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FOTO: CHARISIUS/DPA Er hat mit der Begründung für seinen Rückzug aus der deutschen Nationalel­f einen Nerv getroffen: der am Sonntag zurücktret­ene Fußball-Nationalsp­ieler Mesut Özil.
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FOTO: HEIMKEN/DPA Er hat sich nicht persönlich zu Özils Vorwürfen geäußert: DFB-Präsident Reinhard Grindel.

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