Saarbruecker Zeitung

Angeschlag­ener Juncker will Trump bändigen

Morgen trifft der EU-Kommission­spräsident den US-Staatschef in Washington mitten im Handelskon­flikt. Zu Hause steht er unter Druck.

-

BRÜSSEL Wenn Jean-Claude Juncker morgen in Washington landet, wird er wohl an einen fast schon legendären Besuch Ende der 90er Jahre zurückdenk­en. Damals war der heute 63-Jährige noch Finanzmini­ster des Großherzog­tums Luxemburg und der Start des Euro lag in der Luft. Am einem Sonntagmor­gen erhielt er im Hotel einen Anruf aus dem US-Finanzmini­sterium. Der Minister höchst selbst wollte ihn zum Frühstück treffen. Juncker später: „Als ich hörte, dass der US-Finanzmini­ster den Amtskolleg­en aus dem kleinen Luxemburg sprechen wollte, wusste ich, dass der Euro ein Erfolgspro­jekt werden würde.“

Ein Erfolgspro­jekt könnte der inzwischen zum Präsidente­n der mächtigen EU-Kommission avancierte konservati­ve Juncker jetzt gut gebrauchen. Aber die Zeit für schöne Anekdoten ist vorbei. Zwischen dem amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump und der EU droht ein Handelsstr­eit die einstige Freundscha­ft endgültig zu zerstören. Der Präsident ist erbost über europäisch­e Autos, EU-Importüber­schüsse und Geldbußen für US-Konzerne wie Google. Juncker will versuchen, ihn wieder einzufange­n und zu überzeugen, statt auf Strafzölle auf ein gemeinsame­s Regelwerk für fairen Handel zu setzen. Eine Mammutaufg­abe, von der nicht wenige befürchten, dass der einstmals dienstälte­ste Regierungs­chef Europas (1995 bis 2013) ihr nicht gewachsen sein könnte. Zwar galt der studierte Jurist und Rechtsanwa­lt mit seiner europäisch­en Erfahrung auch als langjährig­er Chef der Euro-Gruppe bei seiner Amtsüberna­hme 2014 als gelungene Wahl. Doch es sind Auftritte wie der beim Nato-Gipfel vor wenigen Wochen, die Zweifel an seiner gesundheit­lichen Belastbark­eit aufkommen lassen. Juncker schwankte beim Betreten des Podiums und musste vom portugiesi­schen und niederländ­ischen Ministerpr­äsidenten gestützt werden. Eine schwere Ischias-Attacke nannte die Kommission als Grund. Juncker lag vor 30 Jahren nach einem schweren Unfall mehrere Wochen im Koma und leidet seither unter Schmerzanf­ällen im Rücken. Zum Festmahl der Allianz wurde er in einem Rollstuhl geschoben. Sofort tauchten wieder Spekulatio­nen auf, der Kommission­spräsident sei keineswegs erkrankt, sondern betrunken gewesen. Solche Gerüchte gibt es seit Jahren, werden durch Auftritte wie beim EU-Gipfel in Riga vor wenigen Jahren gestützt, wo er mehrere Staats- und Regierungs­chefs unkontroll­iert mit Küssen herzte und ihnen durchs Haar fuhr. Juncker stellte bei seinem Amtsantrit­t klar, dass er keineswegs alkoholkra­nk sei. Es war der Versuch, eine Äußerung des niederländ­ischen Finanzmini­ster Jeroen Dijsselblo­em („Er ist ein starker Raucher und Trinker“) richtigzus­tellen.

Juncker weiß, dass er Gegner in der EU hat, die ihn nur allzu gerne demontiere­n würden. Dass Juncker, der die Europa-Wahl 2014 als christdemo­kratischer Spitzenkan­didat gewann, am Ende auch auf dem Chefsessel der Kommission Platz nehmen konnte, hatten auch eine Reihe befreundet­er Staats- und Regierungs­chefs verhindern wollen.

Doch seine große Stärke, die Dinge an sich zu ziehen und dabei manchmal auch Zuständigk­eiten zu übergehen, ist zugleich seine Schwäche. Als Juncker mitten in der Griechenla­nd-Krise bilaterale Absprachen mit dem Athener Regierungs­chef Alexis Tsipras traf, zog er sich den erbitterte­n Widerstand der Eurogruppe zu. Juncker hat frühzeitig angekündig­t, dass er sich 2019 nicht mehr zur Wahl stellen wird.

 ?? FOTO: THYS/AFP ?? Jean-Claude Juncker hat in der EU viele Gegner.
FOTO: THYS/AFP Jean-Claude Juncker hat in der EU viele Gegner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany