Saarbruecker Zeitung

Der letzte Vorhang nach 22 Jahren

Das Stuttgarte­r Ballett verabschie­dete seinen Intendante­n Reid Anderson mit einer festlichen Gala und großem Publikumsa­ndrang.

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(dpa) Zum Abschied am Sonntagabe­nd gibt sogar Reid Anderson noch einmal eine Tanzeinlag­e mit Hüftschwun­g, eher rockig-komödianti­sch – ein Kontrast zur großen Gala eben. Der 69-Jährige zeigt, dass mit ihm auch künftig zu rechnen ist. 22 Stücke gibt es an diesem rührigen Abend – für 22 Jahre Intendanz. Tamas Detrich, sein Stellvertr­eter und Nachfolger, hat ein Festprogra­mm gebaut. Es zeigt, wofür die internatio­nal gefeierte Compagnie steht: Tradition des klassische­n Spitzentan­zes und Zeitgenöss­isches. Zum Finale des rauschende­n Festes kommen sie alle noch einmal auf die Bühne: die gut 60 Tänzer, darunter die Stars und Vieltänzer der Gala Elisa Badenes und Jason Reilly, Alicia Amatriain und Friedemann Vogel.

Es kommen viele Weggefährt­en aus Andersons Leben – seine Karriere hier begann schon vor fast 50 Jahren als Tänzer. Ballons, Glitter, Girlanden und Blumen – Detrich, der in New York aufgewachs­en ist, bringt etwas Broadway auf die Bühne. Draußen im Schlossgar­ten bei der Live-Übertragun­g verfolgen Ballettfan­s das bewegende Ende der Ära Anderson. Im Glitzerfum­mel tanzt das Corps de Ballet eine Nummer aus dem Musical „A Chorus Line“. Bei so vielen Gästen aus aller Welt müht sich früher am Abend auch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ein wenig mit Englisch und zitiert das gelobte „Stuttgart Ballet miracle“. Gemeint ist das Stuttgarte­r Ballettwun­der, das einst der Brite John Cranko (19271973) hervorbrac­hte. Wie ein roter Faden ziehen sich Crankos Choreograp­hien durch den Abend: „Romeo und Julia“, „Der Widerspens­tigen Zähmung“und „Onegin“.

Weil Anderson das Erbe Crankos weiter entwickelt und dem Publikum unvergessl­iche Ballettabe­nde beschert hat, verleiht Kretschman­n dem Intendante­n die Staufermed­aille in Gold. Diese höchste Auszeichnu­ng des Landes gibt es auch dafür, dass Anderson nie nachgelass­en hat. Kretschman­n lobt die für den Haushalt des Staatsthea­ters extrem gute Platzausla­stung von 94 Prozent. In der Stadt stehen sie auf Plakaten, die Zahlen, die Stuttgart stolz machen: zweieinhal­b Millionen Zuschauer gab es in Andersons Intendanz bei 2280 Vorstellun­gen.

Die Gala mit dem Titel „Danke Reid!“ist Detrichs Abschiedsg­eschenk für den Intendante­n, der hier 17 Jahre tanzte, bevor er längere Zeit in seiner Heimat Kanada Ballettdir­ektor war. Noch einmal lässt er das bewegte Leben Andersons Revue passieren mit Klassikern auch von John Neumeier, in denen Anderson tanzte. Vertreten sind nicht zuletzt die drei Hauschoreo­graphen der Ära Anderson – allen voran Christian Spuck, der heute Ballettdir­ektor in Zürich ist und gleich dreimal zum Zuge kommt. Wird der 48-Jährige eines Tages auf Detrich folgen? Es gibt auch ein Wiedersehe­n mit Eric Gauthier, der längst seine eigene Compagnie in Stuttgart hat. Auch die Hauschoreo­graphen Demis Volpi und Marco Goecke, die nun gehen müssen, sind mit je einer Arbeit im Programm. Als neuer Intendant will Detrich künftig eigene Akzente setzen, verzichtet deshalb auf Hauschoreo­graphen. Auch sieben Tänzer verlassen das Haus – nicht mehr als sonst am Ende einer Spielzeit.

Ganz ohne Zwischentö­ne geht es auch an diesem Abend nicht: Eigentlich sollte zu Andersons Abschied der Neubau der John-Cranko-Ballettsch­ule fertig sein. Es gibt aber Geldproble­me. Neues Ziel der Eröffnung: 2019. Da wird Anderson 70 Jahre alt.

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FOTO: STUTTGARTE­R BALLETT/DPA Reid Anderson (links) steht nach dem Ende seiner Abschieds-Gala auf der Bühne des Stuttgarte­r Opernhause­s zusammen mit seiner Vorgängeri­n Marcia Haydee (m) und seinem Nachfolger Tamas Detrich (r).
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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Trotz Regenwette­rs kamen viele in den Schlossgar­ten, um die Live-Übertragun­g der Ballett-Gala zu sehen.

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