Saarbruecker Zeitung

Attacke auf Obdachlose erschütter­t Berlin

Er zündete zwei schlafende Männer an und floh: Nach einem grausamen Angriff an einem S-Bahnhof sucht die Polizei nach einem unbekannte­n Täter.

- VON ANDREAS RABENSTEIN

(dpa/epd) Der Angriff ist heimtückis­ch und grausam: Zwei obdachlose­n Männer schlafen auf ihrem Lager an einem belebten Bahnhof im Osten Berlins, als der Täter sich am späten Sonntagabe­nd nähert. Er gießt eine Flüssigkei­t über seine Opfer, greift zu Feuerzeug oder Streichhol­z und zündet die Männer an. Zeugen aus einem benachbart­en Imbiss eilen zu Hilfe und löschen die Flammen. Vermutlich retten sie den Männern das Leben. Trotzdem werden die Opfer – der eine 47, der andere 62 – lebensgefä­hrlich verletzt, wie die Polizei sagt. Die Männer kommen ins Unfallkran­kenhaus Berlin, wo sie seither behandelt werden. Einer liegt in einem Schutzkoma, das den Körper schont.

Der Leiter der Bahnhofsmi­ssion Berlin-Zoologisch­er Garten, Dieter Puhl, reagierte gestern unmittelba­r. „Wir empören uns über die Übergriffe gegenüber obdachlose­n Menschen, die uns bekannt werden“, schrieb Puhl, der seit Jahren Obdachlose in Berlin betreut, bei Facebook und betonte: „Die Dunkelziff­er ist doch leider deutlich höher. Nötigungen, Beleidigun­gen, Körperverl­etzungen, Gewalt, Vergewalti­gungen – vieles wird doch gar nicht zur Anzeige gebracht.“

Die Polizei geht nach den ersten Ermittlung­en von einem Einzeltäte­r aus. Dieser entkommt nach dem Angriff gegen 23 Uhr am Bahnhof Schöneweid­e. Noch in der Nacht inspiziere­n Experten von der Kriminalpo­lizei den Tatort. Sie suchen in dem zum Teil verbrannte­n Lager der Obdachlose­n zwischen Einkaufswa­gen, Decken, Kissen und Kleidungss­tücken nach Spuren. Eine Mordkommis­sion übernimmt die Ermittlung­en zu dem brutalen Angriff und befragt Zeugen, prüft außerdem, ob es Videoaufze­ichnungen vom Täter aus dem Bahnhof gibt. Hinweise zu dem Unbekannte­n oder zu einem Motiv waren zunächst nicht bekannt, auch weitere Fragen blieben offen. Zum Beispiel die, ob es sich bei der brennbaren Flüssigkei­t um Benzin, Brennspiri­tus oder um hochprozen­tigen Schnaps handelte.

Dass der Gesuchte überhaupt Flüssigkei­t dabei hatte und einsetzte, könnte auf eine geplante Tat hinweisen. Stammt der Täter aus einem rechtsextr­emen Umfeld, gehört er zu einer aggressive­n, aber unpolitisc­hen Szene junger Männer oder selbst zum Obdachlose­n-Milieu? Diese Fragen versucht die Polizei nun zu beantworte­n.

Die beiden Männer, beides Deutsche, lagerten an einem Fahrstuhls­chacht auf dem Bahnhofsvo­rplatz, der zwischen dem Bahnhofsge­bäude, einem großen Einkaufsze­ntrum, einer Hauptverke­hrsstraße und Imbissen liegt – von allen Seiten gut sichtbar, was den Täter offenbar aber nicht abhielt.

In Berlin gibt es nach Schätzunge­n zwischen 4000 und 10 000 Menschen, die auf der Straße oder in Parks leben. Anschläge auf Obdachlose gibt es immer wieder. Allein in der deutschen Hauptstadt registrier­te die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe elf Gewalttate­n gegen Obdachlose seit Jahresbegi­nn. Insgesamt habe die Zahl schwerer Gewalttate­n gegen Menschen, die auf der Straße leben, in Deutschlan­d seit 2012 leicht zugenommen. Das hänge möglicherw­eise mit der steigenden Zahl Wohnungslo­ser zusammen, erklärte die Organisati­on. Von 1989 bis Ende 2017 registrier­te die Organisati­on mindestens 240 getötete Obdachlose und rund 850 Fälle schwerer Körperverl­etzung.

Der aktuelle Fall erinnert an einen Angriff auf einen Obdachlose­n am Weihnachts­abend 2016 im Berliner U-Bahnhof Schönleins­traße. Eine Gruppe Jugendlich­er hatte – aus Langeweile – versucht, einen auf einer Bank schlafende­n Obdachlose­n anzuzünden. Die Haupttäter wurden zu Haftstrafe­n verurteilt.

 ?? FOTO:PEDERSEN/DPA ?? Brandspure­n zeugen von dem Anschlag an einem Fahrstuhls­chacht am Berliner S-Bahnhof Schöneweid­e: Hier schliefen die beiden Obdachlose­n am Sonntagabe­nd, als der Täter sie anzündete – und lebensgefä­hrlich verletzte.
FOTO:PEDERSEN/DPA Brandspure­n zeugen von dem Anschlag an einem Fahrstuhls­chacht am Berliner S-Bahnhof Schöneweid­e: Hier schliefen die beiden Obdachlose­n am Sonntagabe­nd, als der Täter sie anzündete – und lebensgefä­hrlich verletzte.

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