Päpstliches Pillenverbot im Jahr der sexuellen Revolution
Am 25. Juli 1968 veröffentlichte Paul VI. mit „Humanae vitae“ein päpstliches Rundschreiben, das heute als „Pillen-Enzyklika“bekannt ist. Es verbot den Katholiken die künstliche Verhütung. Leitet Papst Franziskus jetzt einen Wandel ein?
VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN UND LUDWIG RING-EIFEL
ROM
(SZ/kna) Und wenn Paul VI. doch recht hatte? Auf den Tag genau 50 Jahre sind seit der Veröffentlichung des vielleicht umstrittensten Kirchendokumentes vergangen – der Enzyklika „Humanae vitae“. „Pillen-Paul“, wie der damalige Papst alsbald genannt wurde, weil er in seinem lehramtlichen Schreiben das Verbot künstlicher Verhütung bekräftigte, bekam seinen definitiven Stempel ab. 1968 war das Jahr, in dem viele gesellschaftliche Tabus zu bröckeln begannen, gerade auch im Hinblick auf die Sexualität. Da kam das Oberhaupt der katholischen Kirche mit seiner Moralkeule natürlich zum absolut falschen Zeitpunkt – oder eben gerade recht.
Die Enzyklika erklärt, dass die Begrenzung der Kinderzahl moralisch gerechtfertigt sein kann. Allerdings betont der Text: „Jede Handlung ist verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn (...) darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel.“Darunter fallen „künstliche“Verhütungsmittel wie Pille und Kondom – nicht aber die „natürliche“Verhütung durch Beachtung des weiblichen Fruchtbarkeitszyklus.
„Humanae vitae“ist inzwischen fast in Vergessenheit geraten, beschäftigt aber auch in diesen Tagen die katholische Kirche sehr. Papst Franziskus hat vor mehr als einem Jahr klammheimlich eine Kommission eingesetzt, die die Entstehung der Enzyklika erforschen sollte. Der Frage, ob Eheleute mit oder ohne Kondom, mit oder ohne Pille Sex haben sollen, wird heute in der Kirche einige Bedeutung zugemessen, während die Gesellschaft sich längst anderen Fragen widmet. Das dezente Einsetzen einer Kommission durch den Papst persönlich deutet bereits auf die Stoßrichtung hin. Wenn die Dinge so bleiben sollten, wie sie sind, dann lässt man sie ruhen. Andernfalls versucht man an Stellschrauben zu drehen und langsam einen Wandel einzuleiten.
Wie die vom Papst beauftragten Forscher jetzt herausfanden, setzte sich Paul VI. damals zwar über die Empfehlungen zahlreicher kompetenter Glaubensbrüder hinweg, die Verhütungsmittel an sich nicht für verwerflich hielten. Er verhinderte aber offenbar den katholischen Super-Gau in Form einer noch viel strengeren Enzyklika, die von der Glaubenskongregation lanciert worden war.
Parallelen zum gegenwärtigen Pontifikat drängen sich auf: Auch Franziskus muss sich mit den Glaubenswächtern arrangieren, das jüngste Beispiel ist der Streit um die Kommunion für protestantische Ehepartner. Im Oktober wird Jorge Bergoglio Paul VI. heilig sprechen. Giovanni Battista Montini berief 1967 erstmals eine Bischofs-Synode ein und gab so dem Dialog-Prinzip in der katholischen Kirche eine Chance. Der oft durchaus konservative Franziskus erkennt sich in Paul VI. offenbar wieder.
Es bleibt die Frage nach dem Sex. Mit oder ohne? Sie stellt sich heute nur mehr theoretisch, weil die Masse die Institution Kirche für weltfremd hält, aber auch die dahinterliegenden Fragen gar nicht mehr zu denken wagt. Etwa: Macht uns das, was wir unter Selbstverwirklichung oder Karriere verstehen, wirklich glücklich? Suchen wir überhaupt noch das Glück, oder geben wir uns mit viel weniger, etwa mit Wohlstand und ab und zu einem Orgasmus zufrieden? Paul VI. postulierte in „Humanae vitae“„Selbstbeherrschung“, „Keuschheit“, „geschlechtlich zuchtvolles Verhalten“und erntete damals Empörung und heute Schulterzucken.