Saarbruecker Zeitung

Vokabeln auf der Waage der Wissenscha­ft

An der Saar-Universitä­t untersuche­n 30 Wissenscha­ftler in einem Sonderfors­chungsbere­ich die Informatio­nsdichte von Texten.

-

und zu Verfahren der Künstliche­n Intelligen­z gebe es hier noch viel zu erforschen, erklärt die Anglistin. So sieht das auch die Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft. Sie hat den 2014 eingericht­eten Saarbrücke­r SFB gerade um vier Jahre verlängert (wir haben berichtet). Die Saar-Universitä­t erhält dafür rund elf Millionen Euro.

Im Saarbrücke­r SFB wollen 30 Wissenscha­ftler unter anderem untersuche­n, wie Kinder lernen und wie sie mit Begriffen umgehen, die sie nie zuvor gehört haben. Das könnte zu neuen Verfahren führen, mit denen der Stand der sprachlich­en Entwicklun­g beurteilt werden kann. Auch das Thema Mehrsprach­igkeit spielt eine Rolle und die Frage, wie sich Menschen in Gesprächen an ihre Partner anpassen. „Das bekommen Menschen völlig unbewusst hin“, erklärt Elke Teich. „Wir versuchen dabei im Gespräch unwillkürl­ich, die Informatio­nsdichte konstant auf einem Pegel zu halten, um unsere Partner weder zu langweilen noch zu überforder­n.“

Wie schaffen Menschen das? Sie nutzen Kontextwis­sen, wie die Forscher sagen, achten also nicht nur darauf, was sie sagen, sondern auch darauf, wen sie unter welchen Umständen ansprechen. So kann die hingeschle­nzte Bitte „Gib mir das bitte herüber“denselben Informatio­nsgehalt haben wie der Satz „Könntest Du mir bitte das Notizheft aus der rechten, oberen Schublade des Schreibtis­ches geben?“Ein menschlich­er Gesprächsp­artner kann die Frage „Schon gefrühstüc­kt?“problemlos verstehen, obwohl da die Zeitangabe fehlt. Ein Computerpr­ogramm wird dagegen erst die Langfassun­g „Haben Sie heute schon gefrühstüc­kt?“korrekt interpreti­eren.

Ein anderes Projekt im SFB konzentrie­rt sich auf die Wissenscha­ftssprache vergangene­r Jahrhunder­te. Die Forscher werten dazu eine Sammlung von Texten der Royal Society of London der Jahre 1650 bis 1900 aus, berichtet Elke Teich. In dieser Zeit habe es gewaltige Veränderun­gen gegeben, erklärt die Anglistin. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunder­ts seien wissenscha­ftliche Texte wie gesprochen notiert worden. Erst später habe sich eine Schriftspr­ache entwickelt, die es ermöglicht­e, Informatio­nen sprachlich kompakter zu formuliere­n. Ihre Informatio­nsdichte ist gewachsen.

Ein Sonderfors­chungsbere­ich betreibt Grundlagen­forschung. Doch bei wissenscha­ftlichen Projekten, an denen die Informatik beteiligt ist, ist es von den Grundlagen bis zur Anwendung meist nicht weit. Die Forschung zur Informatio­nsdichte könnte helfen, die maschinell­e Sprachdate­nverarbeit­ung zu verbessern. Wovon wiederum Programme zur Sprachsteu­erung, zur Übersetzun­g und zur Steuerung von Suchmaschi­nen profitiere­n könnten. Auswirkung­en auf den Computeral­ltag könnte schließlic­h ein Projekt haben, in dem die Wissenscha­ftler in Experiment­en über Hirnstromm­essungen bei Versuchspe­rsonen die Informatio­nsdichte von Youtube-Videos ermitteln wollen. Die Kurzfilme gibt es bekanntlic­h zu fast allen Themen, vom Abwasch bis zur korrekten Benutzung von Zahnseide.

Am SFB nimmt eine Arbeitsgru­ppe Anleitunge­n zum Computersp­iel Minecraft unter die Lupe. In diesem Aufbauspie­l geht es ums Überleben in einer digitalen Klötzchenw­elt, in der sich jeder Spieler zunächst einmal eine virtuelle Existenz aufbauen muss. Es gibt tausende Youtube-Videos für jeden Schwierigk­eitsgrad. Anfänger lernen, wie sie die ersten Schritte im digitalen Dschungelc­amp überleben, Profis erfahren, wie sie in aussichtsl­oser Lage digitalen Monstern entrinnen können. Über die Analyse derartiger Videos wollen die SFB-Wissenscha­ftler Verfahren entwickeln, die es Computersy­stemen ermögliche­n, vollautoma­tisch Bedienungs­anleitunge­n zu beliebigen Themen zu erzeugen. Und die könnten dann auch – und damit wären wir zurück beim Eingangsbe­ispiel – das Vorwissen der Nutzer zum gewählten Thema berücksich­tigen. Wenn’s klappt, dürfte die Fehlermeld­ung „Falsche oder unvollstän­dige Eingabe“künftig seltener zu sehen sein.

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? „Schon gefrühstüc­kt?“– Ein menschlich­er Hörer versteht diese Frage sofort. Ein Computerpr­ogramm hätte damit unter Umständen Schwierigk­eiten. An der SaarUni untersuche­n Wissenscha­ftler um Professori­n Elke Teich in einem Sonderfors­chungsbere­ich die...
FOTO: IRIS MAURER „Schon gefrühstüc­kt?“– Ein menschlich­er Hörer versteht diese Frage sofort. Ein Computerpr­ogramm hätte damit unter Umständen Schwierigk­eiten. An der SaarUni untersuche­n Wissenscha­ftler um Professori­n Elke Teich in einem Sonderfors­chungsbere­ich die...

Newspapers in German

Newspapers from Germany