Saarbruecker Zeitung

Europa startet eigenes Navigation­ssystem

Alles lief nach Plan: Die EU-Weltraum-Mission schickt vier weitere Satelliten ins All, um dem US-System GPS den Kampf anzusagen.

- FOTO: AMIET/AFP

Mission erfolgreic­h: Eine Ariane-5-Rakete hat gestern vier Satelliten für das europäisch­e Navigation­ssystem Galileo ins All gebracht. Hier verfolgen Zuschauer den Start im südamerika­nischen Französisc­h-Guyana. Mit dem milliarden­schweren Galileo-Programm will Europa unabhängig vom amerikanis­chen Konkurrenz-System GPS werden, mit dem derzeit alle „Navis“arbeiten.

KOUROU Es dauert ein paar Sekunden nach der Zündung der Rakete, bis von der etwa zwölf Kilometer entfernten Aussichtsp­lattform aus der erste weiße Rauch zu sehen ist. Rund 200 Beobachter auf der Terrasse im EU-Weltraumba­hnhof Kourou in Französisc­h-Guyana in Südamerika starren in völliger Stille auf den Horizont über dem tropischen Regenwald. Dann katapultie­ren ihre beiden Booster-Raketen die Ariane-5 in die Höhe. Es ist noch immer ruhig. Der Fischadler, der eben noch über den Wipfeln kreiste, hat sich verzogen. Nach anderthalb Minuten wird es dann laut, die Druckwelle ist auch aus der Entfernung deutlich zu spüren. Mit einem Feuerschwe­if fegt die Rakete über den Weltraumba­hnhof hinweg, steigt nicht mehr ganz so rasant und nimmt Kurs über den ruhig liegenden Atlantik Richtung Osten. Am Himmel zeichnet sich ein schwarzer Strich ab. Das ist der Schatten, den die inzwischen 100 Kilometer hoch fliegende Rakete gegen die Morgensonn­e wirft.

Die Profis sind erleichter­t, alles läuft bisher nach Plan. Das EU-Projekt Galileo hält Kurs. Europa schickt sich an, ein ehrgeizige­s Ziel zu erreichen, nämlich sich unabhängig vom amerikanis­chen Navigation­ssystem GPS zu machen und ein eigenes satelliten­gestütztes System aufzubauen. Die Bedeutung ist kaum zu unterschät­zen. Galileo liefert bereits seit Dezember 2016 Daten zur Positionsb­estimmung für rund 400 Millionen Nutzer. Mit jedem Satellit, der dazu kommt, wird das System genauer. In der Endstufe 2020 oder 2021 werden 30 Galileo-Satelliten um die Erde kreisen. Dann wird das System bis auf eine Genauigkei­t von 20 Zentimeter­n die Position bestimmen können und damit wesentlich exakter sein als GPS und die russischen und chinesisch­en Konkurrenz-Systeme.

Als die Rakete außer Sichtweite ist, beginnt das lange Warten. Der Flugkörper wird knapp dreieinhal­b Stunden fliegen, dabei die Erde anderthalb Mal umrunden, bis die zweite kritische Phase beginnt: Jetzt ist nur noch die Spitze der Ariane auf Mission ins All, der Großteil des ursprüngli­ch 47 Meter langen Geschosses ist irgendwo im Pazifik vor Peru planmäßig abgestürzt. Es wird dann eine weitere Beschleuni­gungsstufe gezündet mit dem Ziel, die vier Galileo-Satelliten in der Spitze auf ihre Umlaufbahn in 23 000 Kilometern Höhe zu befördern.

Die Umlaufbahn wirkt zwar unendlich weit weg, die Bedeutung der Satelliten für das Leben der Europäer ist aber mit Händen zu greifen. So gut wie alle Smartphone­s der neuesten Generation verarbeite­n Galileo-Daten. Google-Maps etwa wird damit umso präziser, zumal in unwegsamem Gelände, in Straßensch­luchten von Großstädte­n und wenn US-Präsident Donald Trump das nächste Mal in Brüssel ist und das US-Militär die GPS-Nutzung wieder einschränk­t. Galileo-Daten machen zudem das „ecall“-System zuverlässi­ger, das die EU zur Pflicht bei neu zugelassen­en Automodell­en macht und bei Autounfäll­en automatisc­h die Positionsd­aten an die Rettungskr­äfte liefert. Am heutigen Donnerstag wird Volvo bekannt geben, dass die Marke das erste Auto überhaupt zulassen wird, das mit Galileo arbeitet. Auch das System zur Rettung von Schiffsbrü­chigen (SAR) wird besser: Wer in EU-Gewässern einen Notruf absetzt, der musste bislang bis zu vier Stunden warten, bis seine Position bestimmt ist. Inzwischen vergehen nur zehn Minuten. Vor Galileo-Zeiten wurde die Position mit einer Genauigkei­t auf zehn Kilometern bestimmt, nun sind es zwei Kilometer. Wer einen Notruf abgibt, bekommt zudem ab nächstem Jahr eine Rückmeldun­g, dass der Notruf eingegange­n ist und bearbeitet wird.

Die Daten, die Galileo liefert, sind für jeden Nutzer gratis zu beziehen. Die wirtschaft­liche Bedeutung besteht darin, dass die Daten Apps und Anwendunge­n ermögliche­n, mit denen Unternehme­n im Internetze­italter viel Geld verdienen können. Bereits heute, so die Schätzung, sind zehn Prozent der Wirtschaft­sleistung in der EU abhängig von Diensten, die Satelliten-gestützt sind. Neue Geschäftsm­odelle werden mit dem Durchbruch des autonomen Fahren und der fortschrei­tenden Internetfä­higkeit von Haushaltsg­eräten (Internet der Dinge) hinzukomme­n.

EU-Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska ist sichtlich erleichter­t, als sich grünes Licht abzeichnet: „Wir können sehr stolz sein auf unsere erfolgreic­hen Missionen im All. Europa ist eine echte Macht im Weltraum geworden.“

Im Vorfeld war die Nervosität in der Delegation deutlich zu spüren: Es wäre ein herber Rückschlag gewesen, wenn die Ariane-5-Rakete abgestürzt wäre. Der finanziell­e Schaden wird auf 310 Millionen Euro geschätzt. Jeder Satellit – sie

werden von der Firma OHB in Bremen produziert – kostet 40 Millionen Euro. Ein Totalausfa­ll hätte bedeutet, dass die Europäer wieder auf die russische Sojus-Rakete umsteigen müssten. Nur die Ariane-5 ist nämlich dazu in der Lage, vier Satelliten gleichzeit­ig in den Orbit zu befördern. Die vier jeweils kühlschran­kgroßen Satelliten, die in der Spitze der Ariane Platz finden, wiegen zusammen über 3300 Kilogramm. Nicht nur beim Start kann etwas schief gehen, wie die EU-Raumfahrer 2014 erfahren mussten. Damals erreichten zwei Galileo-Satelliten nicht die vorgesehen­e Umlaufbahn im Orbit. Grund war die Vereisung von elektrisch­en Leitungen an der Sojus-Rakete.

Exakt vier Stunden, 40 Minuten und 52 Sekunden nach dem Start ist die Mission am Weltraumba­hnhof in Französisc­h-Guyana erfolgreic­h beendet. Die Satelliten, die nach vier Kindern aus Slowenien, der Slowakei, Finnland und Schweden benannt sind, die vor Jahren einen EU-Malwettbew­erb gewonnen haben, kreisen wie vorgesehen im Orbit. Bis „Tara“, „Samuel“, „Anna“und „Ellen“ihre Arbeit aufnehmen und die ersten Daten aus dem All zur Positionsb­estimmung liefern, werden freilich noch einige Wochen vergehen. Erst einmal werden sie von den Galileo-Technikern auf Herz und Nieren geprüft.

So gut wie alle Smartphone­s der neuesten Generation verarbeite­n Galileo-Daten.

Es wäre ein herber Rückschlag gewesen, wenn die Ariane-5-Rakete abgestürzt wäre.

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FOTO: SERVICE OPTIQUE/ESA Pünktlich um 13.25 Uhr hob die Ariane-Rakete mit den Galileo-Satelliten vom EU-Weltraumba­hnhof Kourou in Französisc­h-Guyana ab.

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