Saarbruecker Zeitung

Gefangen zwischen Castro-Erbe und Zukunft

100 Tage Amtszeit von Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel – eine Bilanz.

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HAVANNA (dpa) Miguel Díaz-Canel musste schnell in seine neue Position finden. Nur wenige Wochen nach Übernahme des kubanische­n Präsidente­namts stürzte in Havanna eine Passagierm­aschine ab, mehr als 100 Menschen starben. Der neue Präsident begegnete mit Präsenz und Nähe. Am Samstag ist Díaz-Canel seit 100 Tagen im Amt. Er muss auf einem schmalen Grat zwischen Erhalt der politische­n Essenz der Castro-Brüder und der Öffnung des Landes im Zuge der Wirtschaft­sreform balanciere­n. Sein ganz eigener Stil hat dem 58-Jährigen dabei bisher große Popularitä­t verschafft.

Der gelernte Elektroing­enieur hatte nach dem Flugzeugun­glück schnell reagiert. Weniger als eine Stunde nach dem Absturz lief Díaz-Canel zwischen den noch rauchenden Überresten der Maschine auf einem Feld zwischen den Einsatzkrä­ften. Die Bilder waren für die an Geheimnist­uerei gewöhnten Kubaner etwas Ungewöhnli­ches. In den Folgetagen besuchte Díaz-Canel Angehörige der Opfer und traf Mitglieder des Forensik-Teams, das sich um die Identifizi­erung der Toten kümmerte. Bei vielen weckte das Erinnerung­en an den ehemaligen Präsidente­n Fidel Castro, der nach schweren Hurrikans die betroffene­n Gebiete der Insel besuchte.

Díaz-Canel weiß, dass seine Führungsro­lle nicht so stark ist wie die der Castro-Brüder. Aber er ist einer der wenigen „Überlebend­en“der selben politische­n Generation, wie ihm auch Raúl Castro bei seiner Abschiedsr­ede als Präsident im Parlament zusprach. Aber Díaz-Canel bricht mit alten politische­n Gepflogenh­eiten. Debatten des Ministerra­ts werden innerhalb weniger Tage veröffentl­icht. Früher konnte das Wochen dauern, wenn sie überhaupt öffentlich gemacht wurden.

Die Zuständige­n für die Provinzen schickte der neue Präsident auf Reise direkt in ihre Gebiete. Und auch selbst hat er bereits mehrere Städte besucht und das bisher geltende Protokoll gebrochen. Er fragte die Menschen persönlich nach Problemen, nach dem öffentlich­en Transport, den Preisen oder wie das Essen in den Schulen schmeckt.

In einem Land, in dem Symbolik wichtig ist, hat Díaz-Canel so Glaubwürdi­gkeit in der Bevölkerun­g gewonnen. Er zeigt sich nah und besorgt. „Es gibt einen ernsthafte­n Versuch, den Menschen näher zu kommen“, sagt der ehemalige kubanische Botschafte­r Carlos Alzugaray. Seiner Ansicht nach verwendet der Präsident außerdem eine „frischere und weniger ideologisc­he Sprache“.

Einer der Unterschie­de zwischen den Castros und Díaz-Canel, der für Gesprächss­toff auf Kuba gesorgt hat, ist allerdings die Ehefrau des 58-Jährigen, Lis Cuesta. Sie tritt bei Veranstalt­ungen mit auf, das kubanische Fernsehen nannte sie sogar die First Lady des Landes. Ex-Botschafte­r Alzugaray glaubt, dass Díaz-Canel seiner Frau „eine gewisse politische Rolle“zugeteilt hat, während zuvor die Castros ihr Privatlebe­n weitgehend unter Verschluss hielten.

In seinen Reden pocht Díaz-Canel jedoch stets auf die Weiterführ­ung des politische­n Erbes der Castros. Das könnte ihm noch zum Verhängnis werden, meint Alzugaray. Der Akademiker López-Levy erklärt, dass Díaz-Canel versuche, „eine Politik zu verkaufen, die mehr mit Strenge und Kontrolle verbunden ist als mit Enthusiasm­us und Spontaneit­ät“. Díaz-Canel konzentrie­rt sich mehr auf die begonnenen Wirtschaft­sreformen als auf Veränderun­gen im starren Einparteie­nsystem. Das zeigt sich auch in der Reform der Verfassung, die am vergangene­n Wochenende beschlosse­n wurde. Darin werden unter anderem erstmals Privatbesi­tz und die Ehe für Alle anerkannt – das Einparteie­nsystem bleibt aber unangetast­et.

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FOTO:IMAGO Um Bürgernähe bemüht: Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel.

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