Saarbruecker Zeitung

„Die Westbalkan-Staaten sind klar pro-europäisch“

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Schon seit Jahren drängen die Westbalkan-Staaten wie etwa Albanien, Serbien und Montenegro auf eine Mitgliedsc­haft in der EU. Über ihre Beitrittsp­erspektive­n sprach unsere Berliner Redaktion mit dem CDU-Außenexper­ten und Berichters­tatter für die Westbalkan-Region, Nikolas Löbel. Er ist gerade von einer Informatio­nsreise aus Albanien zurückgeke­hrt.

Herr Löbel, die 28 EU-Staaten tun sich jetzt schon schwer mit gemeinsame­n Entscheidu­ngen. Würde sich dieses Problem durch weitere Mitglieder nicht noch verschärfe­n?

LÖBEL Nun ja, die Europäisch­e Union steht gegenüber den Balkanstaa­ten im Wort. Das Abkommen von Thessaloni­ki aus dem Jahr 2003 verspricht diesen Staaten eine Zukunft in der EU. Die Westbalkan-Staaten weisen einen klar pro-europäisch­en Kurs auf. Jetzt müssen wir gemeinsam einen Prozess gestalten, an dessen Ende eine Mitgliedsc­haft in der EU stehen kann, aber nicht muss.

Albanien zum Beispiel wird in der öffentlich­en Wahrnehmun­g häufig mit Korruption und Kriminalit­ät gleichgese­tzt. Kann da ein EU-Beitritt ernsthaft in Betracht kommen?

LÖBEL Zum jetzigen Zeitpunkt sicher noch nicht. Aber es geht ja lediglich um die Aufnahme von Verhandlun­gen, nicht um den Abschluss. 92 Prozent der Albaner sagen, sie wollen Mitglied der EU werden. Das ist eine sehr breite gesellscha­ftliche Bewegung. Entscheide­nd ist deshalb, Albanien fit für Europa zu machen.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

LÖBEL Das sind zweifellos die organisier­te Kriminalit­ät und die Korruption im Justiz-System Albaniens. Ich konnte mich aber vor Ort davon überzeugen, dass hier ein großer Wille zur Veränderun­g besteht.

Inwiefern?

LÖBEL Gegenwärti­g läuft der sogenannte Vetting-Prozess, in dem alle 800 Richter und Staatsanwä­lte in Albanien auf ihre fachliche Eignung, ihre Integrität und auf ihr Vermögen hin überprüft werden. Ein bemerkensw­erter Prozess. Von den bisher 70 überprüfte­n Personen ist die Hälfte bei der Überprüfun­g durchgefal­len. Diese ersten Ergebnisse sind einerseits erschrecke­nd, anderersei­ts aber auch ein Beleg für die Ernsthafti­gkeit, gegen Korruption und Vetternwir­tschaft vorzugehen.

In den letzten Jahren haben

300 000 Albaner ihr Heimatland verlassen. Das klingt nicht so, als sei Albanien auf einem guten Weg.

LÖBEL In der deutschen Botschaft in Tirana werden pro Monat 350 Visaanträg­e gestellt. Davon werden etwa zwei Drittel genehmigt. Das zeigt, dass die Menschen ihre Zukunft in Europa sehen. Gerade deshalb ist es so wichtig, Albanien eine Perspektiv­e in Europa und damit den Menschen in Albanien eine Perspektiv­e in ihrem Land zu geben.

Wann kann es zu einem EU-Beitritt Albaniens kommen?

LÖBEL Es darf auf dem Westbalkan keine Beitrittsp­erspektive erster und zweiter Klasse geben. Für Serbien und Montenegro hat die EU das Jahr 2025 in den Raum gestellt. Mit diesen zwei Staaten gibt es auch schon offizielle Beitrittsv­erhandlung­en. Ich sehe keine Unterschie­de zwischen Serbien und Montenegro einerseits und Albanien sowie Mazedonien anderersei­ts. Wenn Albanien weiter auf dem Reformweg bleibt, spricht nichts gegen einen baldigen Beginn von Beitrittsv­erhandlung­en.

 ?? FOTO: JULIA NOWAK/
BUNDESTAG ?? Der CDUBundest­agsabgeord­nete Nikolas Löbel
FOTO: JULIA NOWAK/ BUNDESTAG Der CDUBundest­agsabgeord­nete Nikolas Löbel

Newspapers in German

Newspapers from Germany