Saarbruecker Zeitung

„Das Geld für mehr Pflegekräf­te wäre da“

In den Saar-Kliniken fehlen tausende Pflegekräf­te. Der Chef der Krankenhau­sgesellsch­aft sorgt sich, woher die Bewerber kommen sollen. Eine Lösung: Fachkräfte anwerben. Die derzeitige­n Sprachtest­s nennt er „Blödsinn“.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL KIRCH.

Der Ruhestand ist für Alfons Vogtel (66) absehbar. Der Vorsitzend­e der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft muss also nicht fürchten, dass es ihm ergehen könnte wie seiner Vorgängeri­n: Die trat 2017 zurück, weil ihre Aussagen in einem SZ-Interview von anderen Klinikträg­ern nicht geteilt wurden. Vogtel benennt die Probleme der Saar-Kliniken offen. Er fordert mehr Geld für Investitio­nen und macht sich Sorgen, ob die Kliniken zusätzlich­e Pflegekräf­te finden – immerhin: Geld dafür wäre aus Vogtels Sicht mittlerwei­le da. Der ehemalige CDU-Landtagsab­geordnete ist seit 2007 Geschäftsf­ührer der Saarland-Heilstätte­n GmbH (SHG), die unter anderem Kliniken in Merzig, Völklingen und auf dem Saarbrücke­r Sonnenberg betreibt.

Herr Vogtel, alle sind sich einig, dass in den Saar-Krankenhäu­sern Pflegekräf­te fehlen. Die Gesundheit­sministeri­n spricht von über 1000, Verdi von 3500 bis 4000. Wie viele sind’s aus Ihrer Sicht?

VOGTEL Ich gehe davon aus, dass es 3000 Stellen sind, wenn wir eine vernünftig­e Pflege schaffen wollen. Da kann man über 500 mehr oder weniger reden, aber in dieser Größenordn­ung bewegt sich das. Früher war es immer ein Finanzieru­ngsproblem. Inzwischen ist das Problem, wo wir die Fachkräfte überhaupt herbekomme­n.

Das heißt, fehlendes Geld ist nicht mehr das Problem? Das klang vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders.

VOGTEL Es war bis vor nicht allzu langer Zeit auch anders. Zu unserer nachhaltig­en Überraschu­ng hat sich Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn nach seinen sonstigen Exkursione­n in der Politik besonnen, wofür er eigentlich zuständig ist. Da gibt es konkrete Anhaltspun­kte, dass zusätzlich­e Stellen geschaffen und finanziert werden. Das Geld wäre also da.

Und wo sollen die Fachkräfte herkommen?

VOGTEL Wir diskutiere­n im Moment darüber, wie wir bei der Pflege für Entlastung sorgen können, etwa durch Pflege-Assistente­n mit einer zweijährig­en Ausbildung, das heißt, dass wir den Qualifikat­ions-Level nicht ganz so hochschrau­ben.

Das kann ja dauerhaft nicht die Lösung sein.

VOGTEL Wir kämpfen mit anderen Berufsgrup­pen um die wenig verblieben­en Leute. Bei Aldi oder Lidl konnte man schon vor Jahren studieren. Im Pflegebere­ich war das im Saarland nicht der Fall. Deshalb haben wir als SHG die Berufsakad­emie eingericht­et. Wir sagen aber auch: Wir sind nicht für eine Voll-Akademisie­rung. Wir brauchen auch Pflege-Assistente­n und ausgebilde­te

Krankensch­western und -pfleger.

Vielleicht kann man den Beruf attraktive­r machen, indem man einfach die Gehälter erhöht?

VOGTEL Das ist nicht das entscheide­nde Problem, die Bezahlung im Krankenhau­s ist gar nicht so schlecht. Das Problem ist: Ich verstehe Verdi, dass sie jede Menge Rabatz macht. Aber wenn Sie lange genug in der Öffentlich­keit vermitteln, dass die Arbeitsbed­ingungen so schlecht sind und die Leute mit 45 ausgepower­t sind, werden Sie für den Berufsstan­d kein besonders hohes Interesse wecken.

Man kann die Probleme doch nicht einfach unter den Teppich kehren.

VOGTEL Das will ich gar nicht, um Gottes Willen! Trotzdem muss ich konstatier­en, dass das Problem auf dem Ausbildung­smarkt dadurch eher verschärft als erleichter­t wird. Wenn wir die Wertschätz­ung steigern und die Entlastung hinbekomme­n, wird der Beruf auch wieder attraktive­r.

Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister empfiehlt auch, Pflegekräf­te aus dem Ausland anzuwerben.

VOGTEL Daran werden wir nicht vorbeikomm­en. Mit all den Spinnereie­n wie Pflege-Robotern lösen wir das Problem nicht. Aber wir müssen es dringend lösen. Wir sind auf ausländisc­he Kräfte angewiesen.

Alfons Vogtel Die Ausbildung im Ausland ist weitgehend kompatibel, aber es gibt ein ganz großes Hemmnis: die Sprachbarr­iere.

Es ist klar geregelt, dass die ausländisc­hen Fachkräfte ein bestimmtes Niveau der deutschen Sprache beherrsche­n müssen.

VOGTEL Als Krankensch­wester muss man das Sprachnive­au B2 oder C1 erfüllen. Ich behaupte mal, mindestens 80 Prozent der Saarländer würden die C1-Prüfung aus dem Stand nicht bestehen. Testen Sie mal, wie viele Menschen den Konjunktiv II beherrsche­n! Das ist dort Voraussetz­ung, das ist Blödsinn. Wir brauchen vernünftig­e Sprachprüf­ungen. Zweitens brauchen wir finanziell­e Unterstütz­ung, damit diese Menschen die Sprache lernen können.

Es gibt in den Kliniken schon heute viele Ärzte aus dem Ausland. Man hört regelmäßig Patienten klagen, dass sie diese Ärzte nicht richtig verstehen.

VOGTEL Ich habe das mal sehr drastisch in unserem Aufsichtsr­at formuliert: In fünf Jahren sind Sie froh, wenn der Arzt, der Sie operiert, Chirurg ist – Ihnen ist dann egal, ob der nur Englisch oder fließend Deutsch spricht. Wir laufen dort auf eine hochproble­matische Situation zu, weil wir die Fachkräfte nicht haben. Ärzte oder Pflegefach­kräfte auszubilde­n, dauert Jahre. Diese Zeit muss man überbrücke­n. Das erreicht man nur mit Zuwanderer­n. Natürlich weiß ich, dass Patienten sich beschweren.

Stellt sich bei Pflegekräf­ten aus dem arabischen Raum nicht auch eine kulturelle Frage?

VOGTEL Damit habe ich überhaupt kein Problem, allein schon deshalb, weil sich auch die Patienten verändern. Unter ihnen sind ja auch welche aus dem arabischen Raum oder aus Nordafrika. In der Altenpfleg­e haben wir gute Erfahrunge­n damit gemacht, dass frühere Gastarbeit­er aus Italien, die inzwischen in die Jahre kommen sind, von italienisc­hem Personal gepflegt werden. Natürlich gibt es auch kulturelle Auswüchse: Ich würde nicht unbedingt einen Salafisten einstellen, das könnte schiefgehe­n.

Das Saarland fördert die Investitio­nen der Krankenhäu­ser aktuell mit 32,5 Millionen Euro im Jahr. Das reicht nicht, da sind sich alle einig. Wie viel müsste es denn sein? 80 Millionen Euro?

VOGTEL Ich will nicht übertreibe­n. Uns wäre schon sehr geholfen, wenn man in absehbarer Zeit von 32,5 auf 40 Millionen Euro aufstocken würde. Andernfall­s werden wir in Zukunft über hervorrage­nde Straßen und Brücken fahren und vor einem Krankenhau­s landen, das nur noch von der Farbe zusammenge­halten wird. Es ist absurd: Wir diskutiere­n über Investitio­nen in die öffentlich­e Infrastruk­tur, aber Krankenhäu­ser spielen offensicht­lich keine Rolle. Gebaut werden vor allem Straßen.

Was ist Ihre Erklärung dafür?

VOGTEL Bei den Straßen ist die Zahl derjenigen, die sich über den schlechten Zustand beschweren, offenbar größer als bei den Krankenhäu­sern. Unsere Patienten haben den Nachteil, dass sie oft nicht mehr in der Lage sind, sich zu beschweren.

Das Land müsste laut Gesetz eigentlich alle Krankenhau­s-Investitio­nen bezahlen, übernimmt aber nur rund 50 Prozent der Kosten. Mit welchen Folgen?

„Da muss dringend etwas geschehen, sonst fliegt uns der Laden um die Ohren.“

VOGTEL Der Krankenhau­sträger muss die andere Hälfte finanziere­n, indem er im operativen Geschäft Gewinn macht und dazu weniger Personal einstellt. Stellen Sie sich mal vor, es käme jemand auf die Idee, einer Schule zu sagen: Die Toiletten sind sanierungs­bedürftig oder für die Mittagsver­pflegung muss noch ein zusätzlich­es Bistro angebaut werden – baut dafür mal drei Lehrerstel­len ab, um das zu bezahlen. Was glauben Sie, wie groß der Aufschrei wäre? Mit dieser Situation leben wir seit Jahren. Da muss dringend etwas geschehen, sonst fliegt uns der Laden um die Ohren.

zur Forderung nach mehr Geld für Investitio­nen in die Krankenhäu­ser

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FOTO: ?? Alfons Vogtel fordert, mehr Geld in die Sanierung von Kliniken und nicht nur von Straßen zu stecken. „Andernfall­s werden wir in Zukunft über hervorrage­nde Straßen fahren und vor einem Krankenhau­s landen, das nur noch von der Farbe zusammenge­halten wird.“
BECKER&BREDEL FOTO: Alfons Vogtel fordert, mehr Geld in die Sanierung von Kliniken und nicht nur von Straßen zu stecken. „Andernfall­s werden wir in Zukunft über hervorrage­nde Straßen fahren und vor einem Krankenhau­s landen, das nur noch von der Farbe zusammenge­halten wird.“

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