Saarbruecker Zeitung

„Das Ethno-Gejammer nervt mich“

Mozarts „Entführung“aus Sicht eines Moslems: Die Version des deutsch-türkischen Autors für den Merziger Zeltpalast.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Die Merziger Zeltoper kann sich in diesem Jahr erstmals mit dem prominente­n Namen eines zeitgenöss­ichen Autors schmücken: Feridun Zaimoglu. Der arbeitet mit Günter Senkel als Theateraut­oren-Team: Gerade entpuppt sich ihr Stück „Siegfrieds Erben“bei den Wormser Nibelungen­festspiele­n als Publikumsh­it. Für die Zeltoper lieferten die beiden als Auftragsar­beit eine Neubearbei­tung des Mozart-Singspiels „Die Entführung aus dem Serail“(1782). Entstanden ist ein Bassa-Selim-Monolog. Am 17. August wird er uraufgefüh­rt (Tickets unter: www.musik-theater.de).

Bassa Selim ist ein gekränkter moslemisch­er Mann, der vergeblich um Konstanze, eine christlich­e Frau, wirbt, die er gefangen hält. Bei Ihnen interpreti­ert dieser Mann die Geschichte aus seiner Sicht. Könnte Konstanze die „Entführung“nicht eindringli­cher erzählen?

ZAIMOGLU: Wenn ein Theaterhau­s an uns heranträte mit dieser Bitte, das wäre wunderbar. Ich habe Bücher aus Frauensich­t geschriebe­n. Wenn ich mich zum Verschwind­en bringe, bin ich begeistert.

Beim Bassa Selim hatte ich genau den gegenteili­gen Eindruck, nämlich, dass da viel Zaimoglu drin steckt.

ZAIMOGLU: Welcher Anteil von mir?

Sie verbindet der Kulturkrei­s mit der Figur, und Bassa Selim spricht in einem Ton, der mich an den Duktus Ihrer Rede kürzlich beim Ingeborg-Bachmann-Preis erinnerte, in der Sie die rechte Gesinnung anklagten. Ein wenig belehrend.

ZAIMOGLU: Bestimmt nicht belehrend. Manche sahen darin eine biblische Strafpredi­gt. Sie ging in Richtung aller Menschen, die andere verunglimp­fen. Beim Bassa Selim war es anders, mein Ko-Autor und ich wollten ihn nicht zu einem Ideengefäß machen. Er argumentie­rt aus dem Blutkern seines Glaubens heraus. Bassa Selim ist ein Konvertit, er kennt die christlich­e Kultur. Er denkt, er sei Konstanze gar nicht so fremd, er könne sich mit ihr verständig­en. Aber nicht die morgenländ­ische Kultur ist Konstanze fremd, es ist der fremde Mann, der sie überhaupt nicht interessie­rt, denn sie liebt Belmonte.

Bassa Selims Entschluss, die Liebenden zu verschonen, kommt in Ihrem Stück sehr abrupt, auf den letzten zwölf Zeilen. Und er begründet den Schritt in nur einem Satz: „Ich will nicht länger mit den Schatten kämpfen.“Es gibt keine psychologi­sche Herleitung: Warum und wie wird ein zürnender, frustriert­er Mann zum verzeihend­en Mann?

ZAIMOGLU: Die Psychologi­e ist der Irrwahn der Moderne. Uns wird vorgegauke­lt, Menschen oder Gedanken würden reifen. Bei Bassa Selim ist das Verzeihen eine plötzliche Eingebung. Er ist kurz davor, Konstanze zu enthaupten. Er weiß um die Gefahr, dass er in der nächsten Stunde diesem Impuls nachgeben könnte, wenn der

Hass ihn wieder überwältig­t.

Wie entstand die Idee, Bassa Selim zur Hauptperso­n zu machen?

ZAIMOGLU: Joachim Arnold und Regisseur Andreas Gergen kamen nach Kiel mit der Idee, bei der Oper einen Perspektiv­enwechsel vorzunehme­n. Sie wollten, dass das Stück aus Sicht des angefeinde­ten Morgenländ­ers geschriebe­n sein sollte. Wir waren sofort Feuer und Flamme. Bassa Selim ist aber nicht nur eine Monologmas­chine. Er erzählt die Geschichte nach.

Die Arien sollten nicht neu getextet werden?

ZAIMOGLU: Um Gotteswill­en! Die Menschen gehen doch wegen der Musik in die Oper. Da machen wir uns keine Illusionen.

Sie sprechen von wir. Wie funktionie­rt Ihre Teamarbeit?

ZAIMOGLU: Ich bin in meiner Art, wie man mir gesagt hat, sehr weiblich. Mir kommen die Ideen, während ich spreche. Günter Senkel und ich scheuen die Arbeitssit­uation, wir gehen hinaus und reden. Ich habe ein Notizheft, mache Notizen. Es gibt immer wieder Streit. Wir unterstell­en uns menschlich­es Versagen und Inkompeten­z. Wir einigen uns nicht sofort. Aber hier war gleich zu Beginn klar: Es wird ein Monolog. Dann haben wir uns Wissen angeeignet, etwa über die Geschichte des Kostüms und über Gartenanla­gen, haben das Motiv der unerwidert­en Liebe untersucht. Senkel hat die Szenenabfo­lge geliefert, ich habe mich auf den Ton eingestimm­t. Ich schreibe alle Stücke mit der Hand und merkte, dass es fließt. Hier eine Anklage, da Schadenfre­ude, da Grausamkei­t. Viele Wochen schoben wir eine Zettelwirt­schaft hin und her, wir wohnen ja im selben Haus, Tür an Tür. Er bringt Sätze hinein, er gibt Ideen vor, Bilder. Ich bin der Sprachknec­ht.

Bei diesem Stoff liegt es nahe, Sie wieder mal zur Migrations­problemati­k zu fragen. Vor über zehn Jahren hielten Sie in einem Tagesschau-Interview die Attraktivi­tät des Islam für junge Männer für eine „Modeersche­inung“. Müssten Sie das heute nicht revidieren?

ZAIMOGLU: Es gab eine Zeit, da galt es als besonders subversiv, mit den gängigen Regeln zu brechen und zum strengen Moslem zu werden. Heute gibt es den Islamo-Faschismus und es gibt das Sektenwese­n, Moscheen-Gemeinden, die sich abkapseln. Ich habe mich immer für den deutschen Islam ausgesproc­hen. Wenn man in Deutschlan­d lebt, muss man sich als deutscher Moslem begreifen. Ich bin 53, davon bin ich 49 Jahre in Deutschlan­d. Ich sage nicht, ich bin in Deutschlan­d, ich sage, ich bin in meinem Land. Ich habe nirgendwo so gute Laune wie hier in meinem deutschen Land. Ich bin wertekonse­rvativ. Ich kann mit Emotions-Hokuspokus ziemlich wenig anfangen.

Sie denken, es wird sich ein spezifisch deutscher Islam entwickeln?

ZAIMOGLU: Türkische, arabische oder persische Religionsl­ehrer, die nach Deutschlan­d geschickt werden, können herzlich wenig über die Lebensverh­ältnisse hier sagen. Es ist ein widerliche­s Verhalten, wenn Leute hierher kommen und immer wieder die Schuld für alles auf Deutschlan­d abwälzen. Wir leben nicht in Nordkorea, man sollte nicht zu tun, als wäre man geknebelt. Sollen wir für jeden, der sich als Türke versteht, eine Therapie-Couch einrichten; auf dass er sich dorthin lege und ausheule? Ich glaube, es hackt! Das Ethno-Gejammer geht mir richtig auf die Nerven. Wir leben in einem freien Land.

Beim Begriff Ethno-Gejammer fällt

mir Mesut Özil ein.

ZAIMOGLU: Ich rede ungern über andere, ich spreche lieber über mich, aber dann wird es auch klar. Deutschlan­d hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Als Kind habe ich den Satz von unseren Eltern gehört: Man spuckt nicht in den Napf, aus dem man isst. Ich bin begeistert, in meinem freien Land zu leben und bin nicht geneigt, irgendwelc­hen aktuellen Affekten nachzugebe­n. Deutschlan­d hat mich bereichert.

Trotzdem haben Sie in Klagenfurt eine zornige Rede gegen die Rechtsgesi­nnten gehalten. Sind Sie an zwei Fronten unterwegs?

ZAIMOGLU: Ich habe ohne intellektu­elle Floskeln gesprochen. Ich wollte mit der mächtigen deutschen Sprache kommen und mit der Bergpredig­t, den Seligsprec­hungen des Heilands. Wenn ich von den Rechten rede, dann sind es diejenigen, die von Heimatstol­z sprechen. Überall auf der Welt sind die angebliche­n Patrioten so. Sie können nur für ihre Heimat glühen, wenn sie andere entwerten. Das muss ich nicht. Bei mir ist es für Deutschlan­d Heimatlieb­e, und bei den angebliche­n Patrioten ist es Heimatstol­z.

Sie müssten noch Ihre ganz besondere Beziehung zu Mozart erklären.

ZAIMOGLU: Ich versuche, dabei nicht dramatisch zu werden. Ich habe alle, wirklich alle Musik von ihm. Es gab Tage, da habe ich acht Mal am Tag das „Requiem“hören müssen. Was für eine schöne Seele!

Eine Frau hat Sie zu Mozart gebracht?

ZAIMOGLU: Meine Grundschul­lehrerin. Damals war ich noch ein Türkenkind aus Arbeiterve­rhältnisse­n. Es war in der fünften Klasse, da klappte ich die Ohren auf, es war, glaube ich, die kleine Nachtmusik. Es wird immer gesagt, Mozart ist überirdisc­h. Wenn Musik erklingt, die einen heraus reißt aus den armen, schäbigen Verhältnis­sen, können Sie sich vorstellen, dass ich mich dem immer und immer wieder ergeben wollte.

Haben Sie eine Lieblingso­per?

ZAIMOGLU: Es ist peinlich, weil es eine Auftragsar­beit ist, aber es ist die „Entführung“. Seelenhaft­e Musik! Wie schön, dass der Schreiber anfängt zu stammeln, wenn er sie beschreibe­n soll.

Gehen Sie oft in die Oper?

ZAIMOGLU: Nein. Ich finde mich peinlich, wenn ich bebe und herum zappele. Deshalb schließe ich mich zuhause ein, ich muss alleine sein, weil ich Tränen in den Augen habe. Im Saal werde ich zum Rumpelstil­zchen.

Dann bin ich neugierig, was in Merzig passieren wird.

ZAIMOGLU: Im Saal kann ich nicht sein, weil ich einen Herzkasper riskiere. Ich bin hinter den Kulissen, und ich bin sehr, sehr aufgeregt.

 ?? FOTO: DPA ?? Szene aus „Siegfrieds Erben“: Das Stück des Autorentea­ms Senkel/Zaimoglu läuft bei den Wormser Nibelungen­festspiele­n. Ab 17. August gibt es dann deren Neuinterpr­etation von Mozarts „Entführung“in der Merziger Zeltoper.
FOTO: DPA Szene aus „Siegfrieds Erben“: Das Stück des Autorentea­ms Senkel/Zaimoglu läuft bei den Wormser Nibelungen­festspiele­n. Ab 17. August gibt es dann deren Neuinterpr­etation von Mozarts „Entführung“in der Merziger Zeltoper.

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