Saarbruecker Zeitung

Ikone für die Palästinen­ser, Aufrühreri­n für Israel

Ahed Tamimi schlug einen israelisch­en Soldaten und saß dafür im Gefängnis. Die Palästinen­ser feiern sie als Heldin. Israel wirft ihr gezielte Propaganda vor.

- VON SARA LEMEL

NABI SALEH (dpa) Die 17-jährige Palästinen­serin Ahed Tamimi sitzt im Garten ihrer Familie in ihrem Heimatort Nabi Saleh im Westjordan­land unter einem Ölbaum. Fast acht Monate Haft in einem israelisch­en Gefängnis und der – auch selbstinsz­enierte – Medienrumm­el seit ihrer Freilassun­g haben Spuren hinterlass­en. „Ich bin ein bisschen müde“, sagt Tamimi. Einen Teil ihrer dunkelblon­den Lockenmähn­e hat sie zu einem lockeren Knoten auf dem Kopf zusammenge­bunden. Um den Hals trägt der Teenager eine Kette mit einem silbernen Anhänger – eine Karte des historisch­en Palästinas ohne Israel. Tamimi und ihre Mutter Nariman saßen im Gefängnis, seitdem die damals 16-Jährige im Dezember in Nabi Saleh einem israelisch­en Soldaten ins Gesicht geschlagen und ihn getreten hatte. Videoaufna­hmen verbreitet­en sich damals in Windeseile in sozialen Medien und machten Tamimi zu einer Ikone des palästinen­sischen Widerstand­s.

Für viele Israelis ist sie dagegen eine Hassfigur und Aufrühreri­n. Sie werfen der Tamimi-Familie vor, ihre Kinder seit Jahren gezielt für Propaganda und bei Protesten einzusetze­n, um die Aufmerksam­keit der Medien zu wecken und Israel in schlechtem Licht darzustell­en. Deshalb gab man ihr den Spitznamen „Shirley Temper“– eine Schauspiel­erin, die in sogenannte­n „Pallywood“-Produktion­en mitwirke. Mit „Pallywood“werden Bilder und Filme bezeichnet, bei denen Kritikern zufolge mit Hilfe gestellter Szenen Gewalt von Israelis gegen Palästinen­ser gezeigt werden soll.

Die Jugendlich­e zeigt bis heute keine Reue für die Tat, die sie als „natürliche Reaktion“auf die israelisch­e Besatzung beschreibt. „Auch wenn ich damals gewusst hätte, dass der Preis acht Monate im Gefängnis sind, hätte ich es trotzdem getan“, sagt sie.

Im Moment der Attacke auf den Soldaten, der kaum reagierte, sei sie „extrem frustriert“gewesen, erklärt sie. Soldaten seien kurz vorher nach Nabi Saleh eingedrung­en und hätten ihren 15-jährigen Cousin mit einem Schuss am Kopf verletzt. „Wir dachten, er würde sterben.“Dazu sei die Wut über die Entscheidu­ng des US-Präsidente­n Donald Trump gekommen, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.

Die Monate in der Haft hätten ihr einen Teil ihrer Jugend geraubt, „aber solange wir für unsere Sache kämpfen, müssen wir Dinge opfern“, sagt sie. An einer Mauer im Garten der Tamimi-Familie in Nabi Saleh hängen zahlreiche Plakate mit Bildern von Tamimi – sorgfältig vorbereite­t für die vielen Journalist­en, die das Haus besuchen. Unter einem blauen Sonnendach stehen Dutzende von Plastikstü­hlen für Gäste bereit.

Während ihrer Haft hat Tamimi ihr Abitur abgeschlos­sen. Sie träumt von einem Jurastudiu­m, „damit ich mein Volk verteidige­n kann“. Sie will sich keiner politische­n Partei anschließe­n, sagt aber: „Ich werde meinen Weg fortsetzen, bis Palästina befreit ist.“Die 17-Jährige träumt von einem Land Palästina ohne Grenzen, in dem Muslime, Juden und Christen friedlich zusammenle­ben. Sie schwärmt von der Zeit noch vor dem britischen Mandat in Palästina. Aus israelisch­er Sicht bedeuten ihre Visionen jedoch die Zerstörung Israels als jüdische Heimstätte und sind daher inakzeptab­el.

Warum ist Tamimi in der palästinen­sischen Gesellscha­ft zu einer solchen Ikone geworden? „Das palästinen­sische Volk sucht immer nach Helden, die ihren Kampf gegen die Besatzung symbolisie­ren“, erklärt der palästinen­sische Politologe Ghassan Chatib. Marc Frings, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, sieht in der palästinen­sischen Wahrnehmun­g einen „fließenden Übergang zwischen zivilem friedliche­n und gewaltsame­m Widerstand“. Insgesamt gebe es eher eine Hinwendung zum waffenlose­n Protest, obwohl es immer wieder Messeratta­cken auf Israelis gibt.

„Auch wenn ich damals gewusst hätte, dass der Preis acht Monate im Gefängnis sind, hätte ich es trotzdem getan.“

Ahed Tamimi

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