Saarbruecker Zeitung

Jeder dritte Schüler ist Ganztagssc­hüler

Das Bildungsmi­nisterium kontrollie­rt jetzt Mutterspra­chenlehrer, wie Minister Commerçon gestern erklärte.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Genug an Bildung kann es nie geben. Also sitzen Kultusmini­ster auf einem heißen Stuhl. Nie sind Elternvert­retungen, Lehrerverb­ände oder die Opposition zufrieden. Auch gestern schickte die Landeselte­rninitiati­ve, kaum war das Sommergesp­räch mit Ulrich Commerçon (SPD) zu Ende, eine relativier­ende Pressemitt­eilung. Alles nur halb so toll, wie verkündet! Derweil hatte Commerçon, der gerade mit dem Finanzmini­ster um das Aussetzen der Stellenein­sparungs-Vorgaben ringt („Bildung muss Geld kosten!“), eine erstaunlic­he Botschaft im Gepäck für die Journalist­enrunde: „Es genügt nicht mehr, zusätzlich­e Lehrerwoch­enstunden ins System zu pumpen!“Vielmehr müssten sich die Schulen jetzt auch qualitativ weiterentw­ickeln. Sie hätten mit zunehmende­r Heterogeni­tät nicht nur der Schüler, sondern mit einer Elternscha­ft zu kämpfen, die sie als „kostenfrei­en Dienstleis­tungsbetri­eb“ansähen. Deshalb habe das Ministeriu­m in Kooperatio­n mit der Schulakade­mie das wissenscha­ftlich evaluierte Projekt „Schulen stark machen“aufgelegt: Coaches beraten hiesige Schulen in Sachen Schulentwi­cklung. Zudem kündigte Commerçon an, zwei Millionen Euro mehr in die multiprofe­ssionellen Teams an Schulen zu stecken. Die Kabinetts-Entscheidu­ng, die derzeit auf drei Ministerie­n (Wirtschaft, Bildung, Soziales) verteilte Finanzieru­ng und Zuständigk­eit für Schulsozia­larbeit endlich in eine Hand zu legen, stehe kurz bevor. „In welche Hand“, das sei jedoch noch nicht entschiede­n. Und von wegen Lehrermang­el! Noch nie habe es eine derart gute Stellenbes­etzungsquo­te gegeben, sagte Commerçon, – annähernd 100 Prozent. Die hohe Zahl nur befristet eingestell­ter Lehrer, für die Commerçon aktuell viel Kritik einstecken musste, ist deshalb für ihn „systemlogi­sch“. Bei dauerhafte­n Ausfällen (Krankheit, Sabbatjahr, Elternzeit) würden eben viele Lehrer hinzu engagiert, aber nicht dauerhaft. Das Saarland belegt laut Commerçon im Bundesverg­leich bei der Schüler-Lehrer-Relation an allgemeinb­ildenden Schulen den dritten Platz. Schleswig-Holstein den letzten, obwohl dieses Bundesland doch Spitze sei in Sachen Bildungsfo­rtschritt. Was zeige, dass es auch noch ganz andere Erfolgsfak­toren gebe.

Etwa die Ganztagsbe­schulung. Für Commerçon ist dies „die wesentlich­e Antwort“auf die Forderung nach Bildungsge­rechtigkei­t. Und just hier hat er Rekordzahl­en parat. Jeder dritte Schüler nimmt ab diesem Schuljahr ein Ganztagesa­ngebot wahr,. davon sind 7000 an echtten Ganztagssc­hulen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine zwölfproze­ntige Steigerung im Ganztagsbe­reich. Commerçon: „Wir zwingen niemanden, es gibt Wahlfreihe­it. Da sage mal einer, Politik könne nicht gestalten!“Allein die gebundenen (echten) Ganztags-Gemeinscha­ftsschulen melden ein Plus von 27 Prozent. Bei den freiwillig­en Ganztagssc­hulen lag das Pus nur bei zwei Prozent. Für den Minister die Bestätigun­g für seinen Ausbau-Kurs der echten Ganztagssc­hulen. Insgesamt gibt es 31 echte Ganztagssc­hulen im Saarland, darunter kein einziges Gymnasium. Außerdem servierte der Minister die üblichen Statistike­n zum Schuljahre­sbeginn. Die in den vergangene­n Jahren gemeldeten Zuwächse in den Schülerzah­len scheinen gestoppt. Am Montag werden 7950 Erstklässl­er eingeschul­t – das liegt auf Vorjahresn­iveau. Auch an Gymnasien und Gemeinscha­ftsschulen bleiben die Zugangs-Zahlen stabil.

Eine Neuerung betrifft Kinder mit Migrations­hintergrun­d. Sie sollen jetzt erstmals von staatliche­n Lehrern in ihrer Mutterspra­che unterricht­et werden. Freiwillig­er Ergänzungs­unterricht (zwei Wochenstun­den) wird ab September in Italienisc­h, Russisch, Türkisch und Arabisch angeboten, nachmittag­s. Er steht allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft, offen. Bisher übernahmen den von der Kultusmini­sterkonfer­enz gewünschte­n herkunftss­prachliche­n Unterricht Konsulatsl­ehrer, die von den jeweiligen Staaten entsandt und bezahlt wurden. Commerçon nannte dies gestern eine „Billiglösu­ng“. Ab jetzt bestimmt das Kultusmini­sterium Personal und Lehrinhalt­e. Etwa 22 saarländis­che Lehrer übernehmen die Aufgabe, der genaue Bedarf wird noch ermittelt. Langfristi­g soll der mutterspra­chliche Unterricht, wie in einigen anderen Bundesländ­ern bereits praktizier­t, die dritte Fremdsprac­he ersetzen können und Pflichtfac­h werden.

2017 hatte Commerçons Ankündigun­g einer Neuregelun­g für hohe Medien-Wellen gesorgt. Gestern erläuterte er noch einmal die Gründe dafür: Es sei ihm insbesonde­re im Hinblick auf die türkischen Kinder „nicht wohl“bei der Vorstellun­g, dass an den Schulen Unterricht ohne staatliche Aufsicht stattfinde. Für unangekünd­igte Kontrollen im Konsulatsu­nterricht gebe es keine Handhabe. Früher sei dies womöglich unproblema­tisch gewesen, so der Minister, heute gehe das nicht mehr. Jedoch sei es wichtig, die Stärken jedes Kindes zu fördern, dazu zähle auch die Ressource Mutterspra­che. 12 000 Schüler aus anderen Herkunftsl­ändern besuchen hiesige Schulen, darunter sind 4500 aus arabischen Herkunftsl­ändern, vorrangig aus Syrien. Die Zahl türkischst­ämmiger Kinder sei, weil sie von den Schulen nicht eigens erfasst wird, nicht bezifferba­r. Laut Minister betreut das türkische Konsulat bisher 719 Schüler im Unterricht.

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FOTO: DPA 7011 von 90 350 Schülern an allgemeinb­ildenden Schulen im Saarland nehmen an einem echten Ganztagssc­hulangebot teil, das sind 7,7 Prozent.
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FOTO: SPD/ TOM GUNDELWEIN Saar-Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon (SPD).

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