Saarbruecker Zeitung

Literarisc­her Meister äußerster Verknappun­g

Emmanuel Bove war einer der interessan­testen französisc­hen Romanciers der 1920er und 30er Jahre. Nur wenige vermochten zwischen den Zeilen mehr zu sagen als Bove. Ein Teil seines Spätwerks ist nun neu erschienen.

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Er handelte von zwei ungesühnte­n Morden, deren Täter sich zwischen einer zeitlich begrenzten Gefängniss­trafe und ewiger Verfolgung durch die Erinnyen für ihre lebensläng­liche Schuldgefü­hle zu entscheide­n hatten. Die Feuilleton­s feierten die Helden des im 1931 erschienen­en Original „Un Raskolinko­ff“genannten Romans als zeittypisc­he Verkörperu­ng von Menschen zwischen Größenwahn und einem Gefühl von Nichtigkei­t.

Sie rückten Boves Roman nicht nur in die Nähe von Dostojewsk­ij sondern auch von Kafka und Camus. Letzteren lernte Bove 1942 in Algier kennen, wohin er aus Furcht vor rassistisc­her Verfolgung aus dem von Deutschen besetzten Frankreich geflohen war. Bove war 1898 unter dem Namen Bobovnikof­f als Sohn eines jüdischen Einwandere­rs aus Kiew und einer deutschspr­achigen Luxemburge­rin in Paris geboren worden. Zeitlebens kämpfte er mit prekären wirtschaft­lichen Verhältnis­sen und schrieb immer wie gehetzt um seinen Lebensunte­rhalt. Der Düsseldorf­er Lilienfeld Verlag hat jetzt eine um neun kurze Erzählunge­n erweiterte, schön gestaltete Neuausgabe seines „Schuld“-Romans vorgelegt, die den nicht wenigen, hiesigen Anhängern Boves und auch allen Neugierige­n ans Herz gelegt sei.

Fünf der neu aufgenomme­en und erstmals auf deutsch erscheinen­den Erzählunge­n hatte Bove vor dem Krieg in der Tageszeitu­ng „Paris-soir“veröffentl­icht, die anderen vier 1944 in der de Gaulle nahestehen­den, in Algier erscheinen­den Zeitung „La Marseillai­se“. Sie haben einen zunächst leichten, die späteren einen resolut-patriotisc­hen Grundton. Boves vor 1939 entstanden­e Kurzgeschi­chten wenden sich gegen eine Vernachläs­sigung der Verteidigu­ngsbereits­chaft, bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Die vier letzten, erst kürzlich aus dem Nachlass publiziert­en, thematisie­ren das 1944 noch hochaktuel­le Verhalten einzelner Franzosen gegenüber den deutschen Besatzern oder deren vermeintli­ch „patriotisc­he Pflichten“. In „Eine offene Rechnung“, einem der in Algier entstanden­en kurzen Texte, prangert Bove einen im Krieg nicht Eingezogen­en an, der der Ehefrau eines vermissten Soldaten den Hof macht, sie bedrängt. Man kennt das aus allen Kriegen und auf allen Seiten. Der Ehemann kehrt zuletzt glücklich aus der Gefangensc­haft zu seiner standhafte­n Frau zurück: „,Ich vertraue dir’, sagte er mit einem Lächeln. ,Lass ihn machen. Wenn der Krieg vorbei ist, finde ich ihn in Paris, und wir werden die kleine offene Rechnung gemeinsam regeln, denn es wird auch offene Rechnungen dieser Art geben, die geregelt werden müssen.’“ Eine Passage, die unseren Blick auf eine offene Wunde Frankreich­s lenkt, die zwischen Résistance und oft nur stiller Kollaborat­ion klafft. Und doch: Der zeitgeschi­chtliche Hintergrun­d verdeckt die literarisc­he Qualität dieser Miniaturen keineswegs. In der für Bove typischen äußersten Verknappun­g und sprachlich­en Genauigkei­t formen sich dramaturgi­sch fesselnde Zeitbilder. Ihre Personen gewinnen in kurzen Strichen scharfe Kontur, der moralische Appell dürfte damals nicht ungehört verhallt sein. Heute schärft er das Gehör für das Unerhörte.

Emmanuel Bove: Schuld und Gewissensb­iss. Ein Roman und neun Erzählunge­n. A. d. Frz. und mit einem Nachwort von Thomas Laux. Lilienfeld, 176 S, 20 €.

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FOTO: LILIENFELD Emmanuel Bove (1898-1945), seine großen Romane „Meine Freunde“und „Armand“übertrug Peter Handke.

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