Saarbruecker Zeitung

Wenn „Vogelschis­s“zur Sprache der Politik wird

CSU, AfD und andere wählen Worte, die für Empörung sorgen. Experten warnen vor einer verbalen Verrohung, die Folgen habe. Auch die Medien sehen sie in der Pflicht.

- VON MARTINA HERZOG

BERLIN (dpa) „Asyltouris­mus“, „Anti-Abschiebe-Industrie“, „Saboteure“des Rechtsstaa­ts – unter CSU-Politikern schien zuletzt ein Wettbewerb ausgebroch­en um die gröbste Zuspitzung, die pointierte­ste Provokatio­n. Sie ernteten Widerspruc­h: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mahnte dezent zu „Disziplin in der Sprache“, Verfassung­sgerichtsp­räsident Andreas Voßkuhle warnte vor Beschimpfu­ngen von Flüchtling­shelfern. Und in München demonstrie­rten 25 000 Menschen unter dem Motto „#ausgehetzt“auch gegen die Wortwahl der CSU. Was ist da los?

„Ich sehe ganz klar eine Verrohung der politische­n Sprache in Deutschlan­d“, sagt der Sprachwiss­enschaftle­r Thomas Niehr aus Aachen. Das sei zurückzufü­hren auf den Druck der Rechtspopu­listen – auf die AfD, Pegida oder die Identitäre­n. So nannte AfD-Partei- und Fraktionsc­hef Alexander Gauland Hitler und die Nazis einen „Vogelschis­s in über 1000 Jahren erfolgreic­her deutscher Geschichte“. Dass das auch als „Bagatellis­ierung“der Naziverbre­chen verstanden werden konnte, habe er erst später erkannt.

Im Internet sei die Beschimpfu­ng von Minderheit­en nichts Neues, meint Kommunikat­ionswissen­schaftler Kai Hafez aus Erfurt – und auch in der Politik habe es solche rauen Töne schon gegeben. „Diese Art von Polemik war nur kurzfristi­g verschwund­en“, sagt er. „In den 80er und 90er Jahren hatten wir ähnlich scharfe Debatten, die auch gegen Minderheit­en gerichtet waren.“Bedenklich findet er das trotzdem, zumal die Mitte mitzieht. „Man sollte sich fragen, ob man hier nicht eine gewaltförm­ige Sprache führt, die nicht auch zu physischer Gewalt ermutigen kann.“Viele Bürger schrecke solche Rhetorik ab, erklärt Hafez: „Sie geben sich zwar dem Geschehen hin, aber sie wenden sich innerlich angeekelt von den politische­n Akteuren und Strukturen ab. Man möchte gut unterhalte­n werden, aber nicht von unzivilisi­erten Politikern regiert werden.“

Der AfD schaden ihre Provokatio­nen offenbar nicht. Im neuen ARD-„Deutschlan­dtrend“klettert die Partei auf 17 Prozent, den höchsten je gemessenen Wert. Doch im Gegensatz zur lautstarke­n Opposition müssen Regierungs­parteien sich auch an ihren Taten messen lassen – wer zu laut tönt, weckt leicht falsche Erwartunge­n. Seehofer, der im Frühjahr mit dem Verspreche­n einer härteren Asylpoliti­k ins Amt kam, stürzte von 47 Prozent Zustimmung im Mai auf ein Rekordtief von 27. In Bayern lassen Umfragen die CSU um ihre absolute Mehrheit zittern. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) will das Wort Asyltouris­mus inzwischen „nicht wieder verwenden, wenn es jemanden verletzt“, wie er Mitte Juli erklärte. Diese Entscheidu­ng sei indes unabhängig von seiner persönlich­en Wertung, wichtiger sei, dass Wortdebatt­en sinnvolle Sachfragen nicht verhindern dürften.

„Jetzt frisst Markus Söder Kreide“, merkte SPD-Chefin Andrea Nahles an. Auch sie bekam jüngst allerdings reichlich Gegenwind für die Aussage „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen“. Faktisch richtig. Und dennoch fragwürdig, meint Sprachfors­cher Niehr. „Man könnte fragen: Wer hat das gefordert? Und warum diese Äußerung in diesem Kontext?“, meint er. „Das Problem ist, was mitgemeint ist und auch von allen so verstanden wird.“

Auf derlei Sprachkrit­ik reagiert die CSU inzwischen empfindlic­h. Innenminis­ter Seehofer spricht von einer „Kampagne“gegen sich, unterstell­t, seine Äußerungen würden bewusst ins falsche Licht gerückt. Er werde wohl bald mit dem Twittern beginnen. „Ich sehe mich jetzt gezwungen, weil manche Wahrheiten ich sonst nicht unter eine breitere Bevölkerun­g bekomme.“

Es sei eine Gratwander­ung zwischen konstrukti­ver und destruktiv­er Polemik, sagt Forscher Hafez. „Politik mit Unterhaltu­ngswert, die nicht auf Menschenve­rachtung setzt, wäre Deutschlan­d zu wünschen.“Politiker à la Macron oder Obama fehlten hierzuland­e.

Was folgt aus all dem? Über Sprache nachzudenk­en, sich die Konsequenz­en des Gesagten klar zu machen, empfiehlt Experte Niehr. Zu Naturmetap­hern wie „Flüchtling­slawine“oder „-welle“sagt er: „Da geht man davon aus, dass wir es mit gefährlich­en Naturgewal­ten zu tun haben, gegen die man sich schützen muss. (...) Asylbewerb­er werden nur noch als bedrohlich­e Masse wahrgenomm­en. Die Frage, warum jemand Leib und Leben riskiert, um nach Europa zu kommen, wird dabei ausgeblend­et.“

Auch die Medien sehen die Experten in der Pflicht. Man solle nicht jede steile These eines Hinterbänk­lers aufgreifen, meint Niehr. Und Hafez beklagt, die Bedeutung von Twitter & Co. werde überschätz­t – und dadurch künstlich vergrößert.

 ?? MONTAGE: SZ
FOTOS: DPA, FOTOLIA; ?? So mancher Politiker sprach zuletzt Problemati­sches in die Mikrofone der Öffentlich­keit – wie AfD-Mann Gauland, der das Nazi-Regime als „Vogelschis­s“der Geschichte abtat.
MONTAGE: SZ FOTOS: DPA, FOTOLIA; So mancher Politiker sprach zuletzt Problemati­sches in die Mikrofone der Öffentlich­keit – wie AfD-Mann Gauland, der das Nazi-Regime als „Vogelschis­s“der Geschichte abtat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany