Saarbruecker Zeitung

Ein Abgeordnet­er mit zwei Gesichtern

In einer Serie stellt die SZ die Bundestags­abgeordnet­en aus dem Saarland vor. Heute Teil 4: Christian Wirth von der AfD.

- VON DANIEL KIRCH

Als Christian Wirth am 1. Februar 2018 erstmals ans Rednerpult des Deutschen Bundestage­s trat, spürte er „ein erhebendes Gefühl“. Es sei ein Gefühl, „als ob man auf ein Zehn-Meter-Brett steigt und es ist kein Wasser im Becken“, sagt der 55-Jährige. Er gehört dem Innenaussc­huss des Bundestags an und bearbeitet dort das Kernthemen der Partei: Zuwanderun­g.

Es fällt schwer, Wirth in der AfD eindeutig zu verorten. Der Gegenspiel­er von AfD-Landeschef Josef Dörr hat zwei Gesichter. Das eine ist das moderate: Wirth geht auf Distanz zu den Entgleisun­gen der AfD-Spitzenleu­te. Über die Worte von AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel, die über „Kopftuchmä­dchen und alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se“gespottet hatte, sagt Wirth: „Das ist nicht meine Sprache.“Und was sollte es, dass Alexander Gauland die NS-Diktatur als „Vogelschis­s“kleinredet­e? „Das frage ich mich auch“, sagt Wirth. „Gauland macht nichts aus Versehen. Ich brauche das nicht, in Westdeutsc­hland braucht es kein Mensch.“Einige Sätze bedienten „die Fankurve in Ostdeutsch­land“, er plädiere aber für weniger solcher Reden. Zu diesem moderaten Wirth passt, dass der Rechtsanwa­lt mit Kanzlei am Niederwürz­bacher Weiher von seinem offenbar ordentlich­en Verhältnis zu Abgeordnet­en anderer Fraktionen, etwa Oliver Luksic (FDP), berichtet.

Anderersei­ts gibt es jenen Wirth, dem die konservati­ve „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“kürzlich „geistige

Christian Wirth Brandstift­ung“bescheinig­te, unter anderem wegen der Aussage, es gebe viele Kulturen auf der Welt, aber nur eine Zivilisati­on: die europäisch­e. Dieser Wirth sieht in Brüssel und Berlin Politiker am Werk, die den „Nationalst­aat schreddern“und „die Bevölkerun­g austausche­n“wollen. „Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Millionen aufzunehme­n“, sagt Wirth. Seine Rechnung: Die zwei Millionen Migranten der vergangene­n Jahre dürfe man nicht in Relation zu den 80 Millionen Einwohnern setzen, sondern zu den vier Millionen Männern unter 40. Abgesehen davon, dass nicht alle Flüchtling­e Männer zwischen 18 und 40 sind, gibt es in Deutschlan­d laut Statistisc­hem Bundesamt nicht vier, sondern mehr als neun Millionen deutsche Männer unter 40. Auf Nachfrage räumt Wirth einen „kleinen Fehler“ein und verweist auf einen Beitrag auf der Internetse­ite www.wissensman­ufaktur.de, der den „importiert­en Männerüber­schuss“problemati­siert.

Dass es sich bei den Migranten überwiegen­d um Verfolgte handelt, bestreitet Wirth. „Syrien ist weitgehend befriedet“, sagt er. Die Menschen kämen der „Kohle“wegen nach Deutschlan­d. Viele Flüchtling­e machten ja auch in Damaskus Urlaub. Woher er das alles weiß? „Aus ausländisc­hen Zeitungen“, sagt Wirth. Die deutschen Medien berichtete­n nicht darüber. Über die Flüchtling­e sagt er: „Die holen sich, was sie wollen.“Es sei nun einmal das Wesen des Islams, „die Welt zu erobern“. Wenn er durch Städte gehe, bekomme er Angst, auch in Saarbrücke­n, seine Töchter seien schon „angemacht und angepöbelt“worden. Wirth sagt auch, er glaube nicht an die Integrierb­arkeit der Menschen aus dem Nahen Osten.

Apropos Glauben: Aus der evangelisc­hen Kirche ist Wirth ausgetrete­n („Ich glaube nicht“). Auch die FDP hat er 2004 verlassen, weil ihm die Liberalen zu wenig patriotisc­h wurden, wie er sagt. Inzwischen ist Wirth auch für einen stärkeren Sozialstaa­t. Deutschlan­d sei ein reiches Land: „Wenn ich sehe, was unten beim Volk ankommt, ist das beschämend.“

Die AfD sieht er als Partei, die mehreren Flügeln Platz bietet, weshalb Wirth auch dagegen ist, den Thüringer Rechtsauße­n Björn Höcke aus der Partei auszuschli­eßen. Höcke sei „sehr national ausgericht­et“, aber ein Demokrat. „Wir sind immer noch eine Bürgerbewe­gung und repräsenti­eren zum Teil auch die Straße“, sagt Wirth.

Für seine Partei wünscht sich der Abgeordnet­e, dass sie den Weg der FPÖ in Österreich geht, also Regierungs­verantwort­ung anstrebt. Aber nicht als Kleinparte­i. Wenn die Union im Bund bei „Mitte 30 Prozent“und die AfD bei „Mitte 20 Prozent“stehe, dann könne er sich das vorstellen. Für eine Koalition müsse die CDU aber erst „von den Merkeliane­rn gereinigt“werden. Aber ein Politiker aus der CDU, der für die AfD als Bundeskanz­ler akzeptabel wäre, fällt Wirth auch bei längerem Nachdenken nicht ein.

„Wir sind immer noch eine Bürgerbewe­gung und repräsenti­eren zum

Teil auch die Straße.“

auf die Frage, warum er gegen einen Parteiauss­chluss von Björn Höcke ist

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FOTO: ACHIM MELDE Christian Wirth bei einer seiner bislang drei Reden im Bundestag. Im Hintergrun­d Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU).

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