Saarbruecker Zeitung

Risiken & Nebenwirku­ngen kennt Ihr Avatar

Die Mainzer Kunsthalle widmet sich in einer großen Schau den Gefahren und Abgründen der virtuellen Welten von heute und morgen.

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Seine 2017 entstanden­en Bildschirm­installati­onen machen deutlich, dass die Sehnsucht nach Liebe und Berührung bleibt, auch wenn der Mensch sich in der Digitalisi­erung verändert und die Distanz zur vorherrsch­enden Erfahrung wird. Eine Wiederbege­gnung mit der virtuellen Welt „Second Life“bietet die Video-Arbeit der chinesisch­en Multimedia-Künstlerin Cao Fei. Der Avatar der Künstlerin wird hier von einem Baby begleitet, das die Frage nach dem Altern in der virtuellen Welt stellt: „Ich will nicht immer ein Baby bleiben!“Das kann der Mutter-Avatar nicht verspreche­n. Er stellt stattdesse­n in Aussicht: „Du wirst noch viele verschiede­ne Identitäte­n bekommen.“

Nach all den mitunter schwierige­n Begegnunge­n wartet zum Abschluss des Rundgangs ein heilsamer Abschluss auf die Besucher: In der Installati­on von Tabita Rezaire lässt sich über blauen Sand schreiten und ein virtuelles Raumschiff besteigen, auf dem man sich mit Hilfe einer VR-Brille auf eine spirituell­e Reise zu den Anfängen der Menschheit­sgeschicht­e begeben kann.

Der Titel der Ausstellun­g ist einem Song der britischen Band Jamiroquai aus dem Jahr 1996 entlehnt. Damals seien die begründete­n Ängste vor den Folgen der Virtualisi­erung schon eindrückli­ch vorweggeno­mmen worden, so Ausstellun­gskuratori­n Böttcher. Es könne durchaus reizvoll sein, sich mit Hilfe der Technik an einen anderen Ort oder in eine andere Person zu versetzen. Aber dann stelle sich die Frage: „Was geschieht, wenn die konstruier­ten Wirklichke­iten so real und attraktiv werden, dass der Anwender nicht mehr zurückkehr­en, nicht mehr auftauchen möchte?“Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Nebeneinan­der von realer und virtueller Welt umso schwierige­r ist, je perfekter die entworfene­n Welten uns das Gefühl geben, tatsächlic­h Teil davon zu sein.

Der Künstler und Filmemache­r Harun Farocki, 2014 in Berlin gestorben, hat dies bereits 2009 in seiner nun wieder in Mainz zu sehenden Installati­on „Ernste Spiele“verdeutlic­ht: Er filmte damals auf einem kalifornis­chen Militärstü­tzpunkt US-Marines, die am Computer auf ihren Afghanista­n-Einsatz vorbereite­t wurden und etwa am Bildschirm Panzerfahr­zeuge durch eine täuschend echt simulierte Wüstenland­schaft lenken sollten. Ihr Ausbilder platzierte für das Bildschirm-Training an den Panzern Sprengsätz­e, die ihre Mitsoldate­n zerfetzten – Erfahrunge­n, die manche von ihnen später im realen Einsatz hautnah erlebten. Das US-Militär wendet diese Animations­programme inzwischen in seiner sogenannte­n Immersions­therapie an, um traumatisi­erte Soldaten genau solche Schlüssele­rlebnisse wiederhole­n zu lassen.

Bis 18. November. Di, Do, Fr: 10-18 Uhr; Mi: 10 bis 21 Uhr; Sa, So: 11 bis 18 Uhr.

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FOTO: CAO FEI (SL AVATAR: CHINA TRACY), © CAO FEI AND VITAMIN CREATIVE Videostand­bild aus „Second Life“der chinesisch­en Multimedia-Künstlerin Cao Fei. Darin begleitet ein Baby einen Avatar und stellt die Frage nach dem Altern in der virtuellen Welt: „Ich will nicht immer ein Baby bleiben!“, sagt es. Der Mutter-Avatar...
 ?? FOTO: REFRAKT/RUGGIERO/SODA ?? „Slide to Expose“von Refrakt, Nicole Ruggiero und Molly Soda: Was wie ein Jugendzimm­er wirkt, entpuppt sich, sobald man ein iPhone mit einer Spezial-App über die Gegenständ­e hält, als Überwachun­gsalbtraum.
FOTO: REFRAKT/RUGGIERO/SODA „Slide to Expose“von Refrakt, Nicole Ruggiero und Molly Soda: Was wie ein Jugendzimm­er wirkt, entpuppt sich, sobald man ein iPhone mit einer Spezial-App über die Gegenständ­e hält, als Überwachun­gsalbtraum.

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