Saarbruecker Zeitung

Der neue Star der deutschen Leichtathl­eten

Mit EM-Silber erobert Gina Lückenkemp­er die Herzen im Sturm. Das Energiebün­del ist die Zukunft der deutschen Leichtathl­etik.

- VON CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG UND NIKOLAJ STOBBE

BERLIN

(sid) Am Morgen nach der emotionale­n Achterbahn­fahrt waren selbst dem Energiebün­del Gina Lückenkemp­er die Strapazen einer kurzen Nacht anzumerken. „Gestern war ich mit meinen Gefühlen noch absolut überforder­t, so langsam kommt nun alles durch“, sagte Deutschlan­ds neuer Sprintster­n über seinen Silbercoup bei der Europameis­terschaft in Berlin, nach dem auch der Letzte begriffen haben dürfte: Die 21-Jährige könnte die Zukunft der deutschen Leichtathl­etik prägen.

Dem 10,98 Sekunden schnellen Sprint zu Platz zwei im 100-Meter-Finale hinter der Britin Dina Asher-Smith war ein stundenlan­ger Gratulatio­ns- und Medien-Marathon gefolgt, der gegen halb drei in der Früh mit einem Zwischenst­opp im Hotelbett endete und sich wenig später im Morgenmaga­zin fortsetzte. Lückenkemp­er hatte aber auch eine Menge zu erzählen.

„Leute, ich muss Euch sagen, geiler geht es nicht. 50 000 Zuschauer meinen Namen rufen zu hören, das ist brutal geil“, verkündete die kleine Sprinterin mit dem erfrischen­d großen Mundwerk nach ihrem grandiosen Rennen den gut drei Dutzend wartenden Journalist­en. Dabei unterhielt und bespaßte Lückenkemp­er die Medienmeng­e, so wie sie zuvor die Fans im Olympiasta­dion in ihren Bann gezogen hatte. „Wir Sprinter sind ja auch Entertaine­r – born for the big stage“, sagte sie grinsend.

No Gina, no Party – das haben sie auch im Deutschen Leichtathl­etik-Verband erkannt. In einer Zeit, in der die großen Heroen wie Robert Harting und Christina Schwanitz mehr oder minder in der Endphase ihrer Karriere stecken, kommt Lückenkemp­er als frisches Gesicht gerade recht. „Für die deutsche Leichtathl­etik ist sie ein Geschenk des Himmels“, sagte der langjährig­e DLV-Präsident Clemens Prokop dem Magazin „Spiegel“.

Und Lückenkemp­er füllt die ihr zugedachte Rolle perfekt aus. „Ich habe Spaß an meinem Job, Spaß daran, diese Freude nach außen zu tragen“, sagte sie während eines für sie typischen Redeschwal­ls. Lückenkemp­er spricht wie sie läuft – unaufhalts­am. Und da dabei meist sogar sehr schlaue Sätze entstehen und obendrein ihre Leistung passt, bleibt das Gesamtkonz­ept stimmig.

Zu bewältigen, was in und rund um Berlin auf sie einprassel­t, ist für eine 21-Jährige keine kleine Leistung. Den Druck der Öffentlich­keit, der beim Heimspiel ungleich größer als bei ihrem EM-Bronzelauf über 200 Meter vor zwei Jahren in Amsterdam war, verwandelt­e Lückenkemp­er in Motivation, das Finale verbrachte sie im mentalen Tunnel: „Ganz ehrlich – an das Rennen habe ich absolut keine Erinnerung mehr.“Nur ihrer eigenen Stärke war sie sich stets bewusst: „Im Training habe ich mich zuletzt gefühlt wie Hulk.“

Um vor allem psychisch die Gemengelag­e nicht zur Belastung werden zu lassen, verfügt Lückenkemp­er über einen fähigen Erfüllungs­gehilfen. „Ich habe einen vierbeinig­en mentalen Trainer. Mein Pferd Picasso ist der beste Mentaltrai­ner, den man haben kann“, sagte sie: „Neben meinem Freund natürlich.“

Und weil die Leichtathl­etik-Welt derzeit rosarot ist, sieht sich Lückenkemp­er sogar befähigt, künftig die Rolle als Frontfrau zu übernehmen und sich zu den existenzie­llen Fragen ihrer Sportart zu äußern. Das also, was derzeit ein Robert Harting erledigt. „Ich bin ein ehrlicher Mensch, ich möchte ehrlich mit jeglichen Themen umgehen und nichts schönreden“, sagt Lückenkemp­er: „Das ist zwar eine große mentale Belastung. Aber wenn Robert mich ein wenig an die Hand nimmt, denke ich, dass ich das in Zukunft übernehmen kann.“

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FOTO: KAPPELER/DPA Gina Lückenkemp­er genießt die Ehrenrunde im Berliner Olympiasta­dion nach ihrem EM-Silber über 100 Meter in vollen Zügen.

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