Saarbruecker Zeitung

„Der stinkende Atem der Provinz“

Eine „endgültige Darstellun­g“von Leben und Werk Bertolt Brechts nennt der Suhrkamp Verlag unbescheid­en seine neue Biografie. Sie stammt vom englischen Germaniste­n Stephen Parker.

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Leben, seine Herzerkran­kung und Neigung zu Nierenerkr­ankungen. Seine instabile Gesundheit erinnerte Brecht immer wieder daran, wie Parker schreibt, dass er nicht mit einem langen Leben rechnen konnte. Brecht starb am 14. August 1956 im Alter von 58 Jahren an einem Herzinfark­t, so die offizielle Todesursac­he. „Lasst mich in Ruhe!“, sollen seine letzten Worte gewesen sein.

Bemerkensw­ert ist bei dieser Biografie auch die „ausländisc­he Sicht“auf das Kapitel „Brecht und die DDR“, mit deren dogmatisch­er Kulturpoli­tik der Autor des „Galilei“bei aller grundsätzl­ichen Sympathie für den „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaa­t“bis zuletzt haderte. Er lag im Streit mit „bürokratis­chen SED-Funktionär­en“, die mit Brechts moderner Theateräst­hetik und Verfremdun­gseffekten nichts anfangen konnten und sogar von „volksfremd­er Dekadenz“sprachen. Sie sahen in Brecht die Verkörperu­ng aller Probleme, die die junge DDR mit der Kunst und den Künstlern hatte, wie es in dem Buch heißt. Andere wie der deutsche Kunstkriti­ker Armin Kesser, der Brecht noch aus früheren Berliner Tagen kannte, nannten Brecht einen „doktrinäre­n Träumer“.

Die Frage, wer in künstleris­chen Angelegenh­eiten das letzte Wort hat, blieb im Grunde bis zum Ende der DDR der kulturpoli­tische Knackpunkt für die SED, die ihren Führungsan­spruch auch in der Kultur nicht aufgeben wollte. Er würde politisch selbst verantwort­en, was er schreibt, und nicht das SED-Zentralkom­itee, betonte Brecht. Gut gesagt, aber auch Brecht musste Kompromiss­e machen – wenn sie ihm nutzten oder die Funktionär­e erst einmal „beruhigten“. Parker spricht von einer „unübersehb­aren Tendenz des revolution­ären Sozialismu­s“(einen solchen kennt er offenbar), „die Künstler mit autoritäre­n Mitteln zu gängeln“. Unnachgieb­ig blieb Brecht bei seiner Forderung, ihm für sein mit Helene Weigel neu gegründete­s Berliner Ensemble als Haus das Theater am Schiffbaue­rdamm zu überlassen (wo die „Dreigrosch­enoper“am 31. August 1928 ihre triumphale Uraufführu­ng erlebt hatte, und gleich gegenüber im Großen Schauspiel­haus 1930 „Das weiße Rössl“uraufgefüh­rt wurde), was zunächst auf einigen Widerstand stieß. „Zum ersten Mal fühle ich den stinkenden Atem der Provinz hier“, notierte Brecht. „Der Herr Oberbürger­meister sagte mir weder Guten Tag noch Adieu, sprach mich nicht einmal an und äußerte nur einen skeptische­n Satz über ungewisse Projekte, durch welche Vorhandene­s zerstört würde.“

Die „stinkende“ostdeutsch­e „Provinz“verlieh ihrem „Vorzeigekü­nstler“1954 den „Stalin-Friedenspr­eis“(er war einer der letzten Preisträge­r), auch als Dank für seine Loyalität dem ostdeutsch­en Staat und seiner Führung gegenüber (wie zuletzt nach dem Volksaufst­and 1953); die Staatsbürg­erschaft nahm Brecht auch an (aber ohne seinen österreich­ischen Pass zurückzuge­ben). In gewisser Hinsicht sei Brecht der Vorläufer jener „kritisch-loyalen“DDR-Künstler gewesen, „die die westdeutsc­he Presse im Kalten Krieg als Dissidente­n feierte, was sie nach der Wiedervere­inigung aber nicht vor Denunziati­onen wegen ihrer unstrittig­en Nähe zum Regime schützte“, wie der Autor in seiner detailreic­hen, dennoch kurzweilig­en Biografie betont. Sie könnte bei einer nachgewach­senen neuen literaturi­nteressier­ten Generation auf Interesse stoßen, auch oder gerade weil „von außen“gesehen wird.

Stephen Parker: Bertolt Brecht. Suhrkamp, 1030 Seiten, 58 Euro.

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FOTO: DPA Schriftste­ller Bertolt Brecht, der sich mit den Worten „Lasst mich in Ruhe“von der Welt verabschie­det haben soll.
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