Saarbruecker Zeitung

Macron will allgemeine Dienstpfli­cht einführen

Immer mehr Ausländer erhalten Kindergeld – meistens zu Recht. Allerdings klagen die Kommunen in Deutschlan­d auch über zahlreiche Betrugsfäl­le.

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Frankreich­s Präsident Macron plant einen verpflicht­enden Staatsbürg­erdienst. Er soll für alle 16-Jährigen gelten und einen Monat dauern. Es gibt jedoch auch Kritik an dem Vorhaben.

VON GEORG ISMAR

DUISBURG/BERLIN

(dpa) Sören Link platzt der Kragen, wenn er die vermüllten Vorgärten in einigen Stadtviert­eln Duisburgs sieht. „Wir haben rund 19 000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg, Sinti und Roma. 2012 hatten wir erst 6000“, sagt der SPD-Oberbürger­meister der Ruhrgebiet­sstadt. Die Nachbarn fühlten sich „nachhaltig gestört durch Müllberge, Lärm und Rattenbefa­ll“.

Es ist ein heikles Thema. Link sagt, Pauschalis­ierungen helfen nicht weiter, Wegsehen aber auch nicht. Er sei ein großer Freund der europäisch­en Freizügigk­eit. Aber die Idee, in einem anderen EU-Staat zu arbeiten und Geld zu verdienen, werde ad absurdum geführt, wenn im Windschatt­en eine Migration stattfinde­t, um üppige Sozialleis­tungen abzukassie­ren. Und neue Zahlen sind brisant. Link sagt, das Problem bringe die Bürger in Rage, die Bundesregi­erung müsse endlich auf EU-Ebene Reformen durchsetze­n – er sieht Betrug in großem Stil.

Im Juni 2018 wurde für 268 336 Kinder, die außerhalb von Deutschlan­d in der EU oder im europäisch­en Wirtschaft­sraum leben, Kindergeld gezahlt, wie ein Sprecher von Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagt. Ein Empfängerk­reis, der der Einwohnerz­ahl Gelsenkirc­hens entspricht – und ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zum Stand Ende 2017 (243 234 Empfänger). Die meisten ausländisc­hen Kindergeld­bezieher sind demnach polnischer Herkunft, gefolgt von Tschechien, Kroatien und Rumänien.

Das ist ein Rekord. Betrügerei­en, die aus einigen Städten verstärkt gemeldet werden, beziehen sich zum einen auf Kinder, die möglicherw­eise im Ausland gar nicht existieren, und zum anderen auf Fälle im Inland, wo derzeit rund 2,7 Millionen Kinder ausländisc­her Herkunft Kindergeld beziehen. Einige der Neu-Duisburger kommen nicht, weil sie die Stadt so reizt, sondern weil sie das deutsche Kindergeld lockt. 194 Euro für die ersten zwei, 200 Euro für das dritte Kind, für jedes weitere Kind 225 Euro im Monat. Nach EU-Angaben beträgt das Durchschni­ttsgehalt in Rumänien 715 Euro brutto, das Kindergeld zwischen 18 und 43 Euro. Einen Kindergeld­anspruch haben EU-Bürger grundsätzl­ich in dem Mitgliedst­aat, in dem sie arbeiten.

Man meldet sich dafür in Deutschlan­d mit einem Wohnsitz an und weist eine Beschäftig­ung nach. Dann geht die Meldung an die Familienka­sse, die überprüft das Vorliegen von Kindern und zahlt das Geld aus. „Ob die Kinder in Deutschlan­d leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage“, sagt Link. Er spricht von oft gefälschte­n Geburtsurk­unden oder Schulbesch­einigungen. „Wir müssen den kriminelle­n Sumpf der Schlepper austrockne­n, die Menschen in Rumänien und Bulgarien anwerben und hierhin bringen in Wohnungen, in denen wir selbst alle nicht leben wollen.“

Es sei zudem ganz oft so, dass der Vermieter auch der Arbeitgebe­r oder Scheinarbe­itgeber sei. „Die haben das als Geschäftsm­odell erkannt: Sie vermieten zu horrenden Mieten Schrottimm­obilien, die eigentlich nicht mehr bewohnbar sind, und der Staat zahlt Kindergeld und Sozialleis­tungen.“

Wie viel Geld am Ende davon die Banden dahinter einkassier­en, das ist ein Dunkelfeld. Link muss sich für seine Aussagen vom Zentralrat der Sinti und Roma vorhalten lassen, rassistisc­he Bilder zu benutzen. Das berge „die Gefahr von Gewalt gegen Sinti und Roma“, kritisiert der Vorsitzend­e Romani Rose. SPD-Chefin Andrea Nahles will jetzt mit den Oberbürger­meistern betroffene­r Kommunen bei einem „Kindergeld-Gipfel“am 27. September in Berlin Lösungen suchen.

Neben dem Vorgehen gegen Betrugsfäl­le will die Bundesregi­erung vor allem die Kosten von mehreren hundert Millionen Euro im Jahr für Kinder im EU-Ausland verringern. Durch Zahlungen, die sich an den Lebenshalt­ungskosten im Land orientiere­n, wo das Kind lebt. Doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) konnte das auf EU-Ebene bisher nicht durchsetze­n. Österreich­s Regierung von Kanzler Sebastian Kurz hat die sogenannte Indexierun­g im nationalen Alleingang beschlosse­n, um die heimischen Steuerzahl­er bei den Kindergeld­kosten etwas zu entlasten.

„Bei dem Großteil läuft alles absolut korrekt“, betont der Leiter der bei der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) angesiedel­ten Familienka­sse, Karsten Bunk. Bei 100 Verdachtsp­rüfungen wurden aber zuletzt in NRW in 40 Fällen fehlerhaft­e Angaben festgestel­lt. Für die einen die Spitze des

Sören Link

Eisberges, für die anderen eine Ausnahme. Valide Zahlen zum Missbrauch gibt es kaum. „Vor allem der elektronis­che Datenausta­usch innerhalb Deutschlan­ds und auch den europäisch­en Ländern muss verbessert werden“, sagt Bunk. Aber der Kindergeld­export sei nun einmal eine Folge der EU-Freizügigk­eit. Da sind zum Beispiel Pflegekräf­te aus Polen, ohne die in vielen Pflegeheim­en nichts mehr laufen würde, die alleine hier leben, Steuern und Sozialabga­ben zahlen und Kindergeld bekommen für ihre Kinder, die in der alten Heimat leben.

Mit Ausweitung der EU-Freizügigk­eit auf Osteuropa hat sich die Zahl von Kindergeld­beziehern stark erhöht. Im Juni bezogen zum Beispiel rund 119 362 rumänische Kinder in Deutschlan­d Kindergeld und 18 855 in Rumänien. Spitzenrei­ter unter den EU-Staaten sind Empfänger aus Polen: 160 080 in Deutschlan­d, 117 471 in Polen. Im Vorjahr wurden 343 Millionen Euro auf Konten im Ausland überwiesen. Wobei auch deutsche Empfänger, die für deutsche Arbeitgebe­r im Ausland arbeiten, Konten im Ausland haben können. Zu den Beziehern im EU-Ausland gehören auch rund 31 000 Kinder mit deutscher Staatsbürg­erschaft.

In Sachen Kindergeld räumte die Bundesregi­erung auf eine AfD-Anfrage ein, dass eine Bundesstat­istik über Missbrauch­sfälle bisher nicht existiert. Das bedeutet auch: Die Zahl der Deutschen, die beim Kindergeld betrügen, liegt ebenfalls im Dunkeln.

In betroffene­n Städten droht laut Fink das Fundament des Miteinande­rs wegzubrech­en. „Ich gebe es ständig in Düsseldorf und Berlin zu Protokoll und bitte um Abhilfe“, sagt Link frustriert. Er hofft, dass nun etwas in Berlin passiert. „Hier geht es auch um das Vertrauen der Menschen vor Ort, die das Tag für Tag mitbekomme­n.“

„Hier geht es auch um das Vertrauen der Menschen vor Ort, die das Tag für Tag mitbekomme­n.“

Oberbürger­meister von Duisburg

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Wer Kinder hat und in Deutschlan­d Einkommens­teuer zahlen muss, bekommt Kindergeld – auch für den Nachwuchs, der im EU-Ausland lebt.
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