Saarbruecker Zeitung

Altkleider-Container platzen aus allen Nähten

Immer mehr Billig-Mode landet auf dem Weltmarkt für gebrauchte Textilien. Doch in Afrika könnten wichtige Abnehmer wegbrechen.

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VON UTA KNAPP, GIOIA FORSTER UND TOBIAS FUCHS

ESSEN/NAIROBI/SAARBRÜCKE­N

(dpa/ SZ) Überfüllte Kleidersch­ränke und bis zum Rand vollgestop­fte Altkleider-Container: Rund 5,2 Milliarden Textilien haben die Deutschen nach einer Schätzung der Umweltorga­nisation Greenpeace in ihren Schränken, von denen vierzig Prozent sehr selten oder nie getragen werden. Der Handelsexp­erte Thomas Harms von der Unternehme­nsberatung EY geht sogar davon aus, dass ein großer Teil der Stücke, die gekauft werden, gar nicht mehr getragen wird. „Die Textilindu­strie ist an einem Wendepunkt angekommen“, sagt Greenpeace-Expertin Viola Wohlgemuth.

Rund eine Million Gebrauchtk­leider werden pro Jahr in Deutschlan­d aussortier­t – mit steigender Tendenz. Greenpeace geht davon aus, dass „erhebliche Mengen“der vor allem zunehmend billig gekauften Textilien einfach in den Hausmüll wandern. Das kann Marianne Lehmann vom Entsorgung­sverband Saar (EVS) nicht bestätigen. Der EVS, der die Müllabfuhr in 43 saarländis­chen Kommunen organisier­t, hat kürzlich seinen Restmüll analysiere­n lassen. Textilien machten nur einen „marginalen Anteil“des Abfalls aus, sagt Lehmann. „Wir können nicht beobachten, dass es eine Schwemme an Altkleider­n im Restmüll gibt.“

Sammler beklagen indes einen steigenden Anteil von Textilien mit schlechter Qualität in den Gebraucht-Containern: Bekleidung, die oft bereits nach wenigen Waschgänge­n nicht mehr zu gebrauchen ist. „Über 50 Prozent der Sachen sind nicht mehr tragbar“, berichtet Thomas Ahlmann vom Dachverban­d Fairwertun­g, einem Zusammensc­hluss von über 130 gemeinnütz­igen Altkleider-Sammelorga­nisationen. Darunter befinden sich auch das Diakonisch­e Werk an der Saar und der Bund der Katholisch­en Jugend im Bistum Trier.

Die in Sammlungen gegebenen Mengen übersteige­n den Bedarf karitative­r Organisati­onen längst „um ein Vielfaches“. Weniger als zehn Prozent benötigen die gemeinnütz­igen Sammler für ihre soziale Arbeit vor Ort. Die Überschüss­e werden an gewerblich­e Firmen verkauft. Mit lediglich etwa zwei bis vier Prozent der abgegebene­n Textilien kann nur ein verschwind­end geringer Teil der Sachen in gewerblich­en Secondhand-Shops in Deutschlan­d und Europa verkauft werden.

Der Großteil der noch tragbaren Textilien geht dagegen an Abnehmer in Osteuropa, dem Mittleren Osten und in Afrika. Die Firmen versuchen, die minderwert­igen Textilien anders wiederzuve­rwenden – etwa indem diese zu Putzlappen weitervera­rbeitet werden. „Der Berg ist so riesig, dass eine Verwertung schwierig wird“, sagt Ahlmann. Längst sei die Entsorgung minderwert­iger Textilien zu einem Zuschussge­schäft geworden, das mit Erträgen aus dem Verkauf der besseren Stücke subvention­iert werden müsse. In der Branche werde angesichts eines steigenden Anteils minderwert­iger Textilien diskutiert, wie lange die Entsorgung noch kostenlos angeboten werden könne, sagt Ahlmann.

Ein wichtiges Ventil sind derzeit Exporte unter anderem nach Afrika. In Kenia etwa ist der Handel mit Altkleider­n ein großes Geschäft. Die Hauptstadt Nairobi ist übersäht mit Mitumba-Märkten. Mitumba heißen die Bündel, in denen Jeans und Sportschuh­e, T-Shirts und Unterwäsch­e vor allem aus Europa und Amerika verkauft werden. Die Menschen würden die Secondhand-Ware mögen, sagt Simon Kinyanjui, der auf dem Toi-Markt in Nairobi Altkleider anbietet. Secondhand-Stücke aus Europa und Amerika hätten bessere Qualität und seien langlebige­r als neue Kleidungss­tücke, die man in Kenia bekomme, sagt der 37-Jährige.

Die Ostafrikan­ische Gemeinscha­ft (EAC) hat bis 2019 aber ein Importstop­p für Altkleider angekündig­t. Zwar sind die Länder inzwischen etwas zurückgeru­dert, vor allem auf Druck aus den USA. Uganda, Ruanda und Tansania haben aber ihre Steuern auf importiert­e Secondhand­kleidung erhöht, Kenia hält sich noch zurück. Befürworte­r von Einfuhrbes­chränkunge­n gibt es viele. „Ein derartiges Verbot würde die heimische Textilindu­strie fördern“, sagt der Vize-Leiter der Kenianisch­en Industrie- und Handelskam­mer, James Mureu. Zwar sieht er ein, dass es zunächst schwierig wäre, die Nachfrage aus der lokalen Produktion zu decken: „Aber Not macht erfinderis­ch.“Derzeit würden nur 15 Prozent der in EAC-Ländern produziert­en Baumwolle vor Ort verarbeite­t, der Rest werde exportiert, sagt der East African Business Council. Der Verband befürworte­t daher, den Altkleider­handel schrittwei­se abzuschaff­en.

Händler Kinyanjui bereiten derartige Einfuhrbes­chränkunge­n Sorgen. „Es wäre sehr schlimm. Ich kann keine Neuware verkaufen, ich mache da kaum Gewinn“, sagt er. Auch in Deutschlan­d schrillen die Alarmglock­en. Ein Importstop­p von Altkleider­n in Afrika hätte nach Einschätzu­ng des Verbandes Fairwertun­g Auswirkung­en auf die Branche bis hin zu einer möglichen Marktkrise. Experte Ahlmann sagt: „Die Läger würden volllaufen.“

„Über 50 Prozent der Sachen sind nicht mehr tragbar.“

Thomas Ahlmann vom Dachverban­d Fairwertun­g über die Kurzlebigk­eit heute verkaufter Kleidung

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FOTO: WEIGEL/DPA Wohin mit aussortier­ten Kleidern? Säcke voller Textilien stapeln sich nicht nur in dieser Recycling-Firma. Deutschlan­dweit werden es immer mehr.

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