Saarbruecker Zeitung

Frankreich­s Jugend soll in die „Schule der Brüderlich­keit“

Wie in Deutschlan­d wird auch im Nachbarlan­d über eine Dienstpfli­cht für alle diskutiert. Der sogenannte Staatsbürg­erdienst soll nächstes Jahr kommen.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Fatima Abbas, Iris Neu-Michalik

VON CHRISTINE LONGIN

PARIS

„Ich will, dass jeder junge Franzose die Gelegenhei­t zu einer – wenn auch kurzen – Erfahrung des militärisc­hen Lebens hat.“Mit diesem Satz kündigte Emmanuel Macron im März 2017 die Wiedereinf­ührung des Wehrdienst­es an. Was dem Kandidaten damals leicht fiel, wird für den Präsidente­n allerdings zu einem Problem. Denn die ohnehin zusammenge­sparte Armee hat nicht die Kapazitäte­n, eine ganze Generation Jugendlich­er in ihren Kasernen aufzunehme­n und auszubilde­n. Um zumindest einen Teil seiner Idee zu retten, plant der Präsident nun einen einmonatig­en Staatsbürg­erdienst für alle 16-Jährigen. Zwei Wochen davon mit gemeinsame­r Unterbring­ung, um die „soziale Durchmisch­ung“zu garantiere­n. Vorstadtju­gend also mit Frankreich­s Adeligen für zwei Wochen zwangsvere­int in der „Schule der Brüderlich­keit“, wie Macron seine Initiative nennt.

„Dieser Zeitraum wird der Republik nützlich sein, da er die Mauer der sozialen Zwänge durchbrich­t“, schreibt Verteidigu­ngsministe­rin Florence Party in der Zeitung „Le Parisien“. So lautet zumindest die schöne Theorie. In der Praxis stoßen die Pläne allerdings an ihre Grenzen. Zum Beispiel die Unterbring­ung von jährlich mehr als 700 000 Jugendlich­en. Eine Arbeitsgru­ppe errechnete, dass Investitio­nen von 1,7 Milliarden Euro nötig wären, um Studentenh­eime oder Ferienlage­r für die Jugendlich­en bereitzust­ellen. Weitere 1,5 Milliarden Euro jährlich würde die Betreuung der Teenager kosten, die sich nicht so Weiteres in ihr staatsbürg­erliches Sommercamp fügen dürften.

Vor allem weil die Kurse in Erster Hilfe und Bürgerkund­e während der Schulferie­n stattfinde­n sollen. Mehrere Jugendorga­nisationen protestier­ten im Juni in einem offenen Brief gegen die Pläne, bei denen sie außen vor gehalten würden. „Man ist dabei, ein Projekt für die Jugendlich­en ohne die Jugendlich­en selbst zu schaffen“, kritisiert­e der Vorsitzend­e der Studentenv­ereinigung Fage, Jimmy Losfeld.

Ein Vorwurf, den die Regierung ernst nahm: Im Herbst sollen die Jugendlich­en nun befragt werden. Nach den Protesten an den Universitä­ten gegen das neue System der Hochschulz­ulassung will Macron mit dem allgemeine­n Staatsdien­st SNU keine neue Streitfron­t aufmachen. Die Einzelheit­en sollen deshalb erst nach Konsultati­on der Betroffene­n festgelegt werden. Die ersten jungen Franzosen könnten dann im Sommer 2019 den SNU beginnen, den 65 Prozent der Franzosen gutheißen.

Verglichen mit Macrons ursprüngli­chen Plänen ist der neue Dienst allerdings eine Minimallös­ung. Dabei hätte der Präsident sich vorher nur in der Armee umhören müssen, um zu wissen, dass der geplante Mini-Militärdie­nst nur wenig Sinn macht. Die hat schließlic­h mit knappen Mitteln komplizier­te Einsätze wie in Mali zu bewältigen und kann dabei nicht Hunderttau­sende Jugendlich­en gebrauchen.

Jacques Chirac hatte 1997 die Wehrpflich­t abgeschaff­t. Übrig blieb für die Jugendlich­en ein „Tag der Verteidigu­ng und des Bürgertums“, den alle vor dem 18. Geburtstag zu absolviere­n haben. Nach den Vorstadtun­ruhen des Jahres 2005 wurde allerdings klar, dass ein solcher Tag nicht reicht, um gerade die Jugendlich­en aus den Problemvie­rteln in die Gesellscha­ft zu integriere­n. So wurde ein Bürgerdien­st eingeführt, bei dem sich ähnlich wie beim Bundesfrei­willigendi­enst in Deutschlan­d junge Leute für sechs bis zwölf Monate im sozialen, kulturelle­n oder Umweltbere­ich engagieren. Inzwischen ist der „Service Civique“ein Erfolgsmod­ell: Jedes Jahr melden sich mehr als 100 000 Freiwillig­e zwischen 16 und 25.

Und ähnlich wie in Deutschlan­d, wo derzeit über die von der CDU in Spiel gebrachte „Dienstpfli­cht“für alle diskutiert wird, debattiert auch die französisc­he Politik kontrovers über den Macron-Vorstoß: Die Gegner des verpflicht­enden Staatsbürg­erdienstes fürchten, dass der alte Zivildiens­t unter dem neuen System leidet. „Die hohen Kosten könnten das Geld von Diensten abziehen, die bereits ihre Feuerprobe bestanden haben“, kritisiert­en die sozialisti­schen Senatoren Patrick Kenner und Jean-Marc Todeschini. Die konservati­ve Opposition forderte Macron auf, das Projekt zu begraben, das nur der Umsetzung seines Wahlkampfv­ersprechen­s diene. „Man wird nicht in einem Monat ein guter Staatsbürg­er“, bemerkte die Sekretärin des Verteidigu­ngsausschu­sses, Marianne Dubois.

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FOTO: MOREIRA/AFP Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron will einen Staatsbürg­erdienst für alle 16-Jährigen.

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