Saarbruecker Zeitung

Wo Skat im Saarland noch Freunde hat

Das traditions­reiche Spiel, das sogar zum Kulturerbe der Unesco zählt, wird vom Nachwuchs verschmäht. Zu Unrecht, wie ein Klub-Abend beim SC Massel Dillingen zeigt.

- VON GERRIT DAUELSBERG

Meine Stunde ist gekommen. Das denke ich zumindest. Während sich meine Augen verengen und ich die zehn aufgefäche­rten Spielkarte­n in meiner Hand sortiere, gehe ich die Sache noch einmal durch: Zwei Buben, dazu noch die beiden höchsten – Kreuz und Pik –, drei Asse. Klare Sache. Grand. Das Spiel mit dem höchsten Grundwert im Skat. Nur Buben sind Trumpf. Ich rechne kurz nach: Mit zwei, Spiel: drei mal

24. Das sind...

72. So weit kann ich also reizen. Und so viele Punkte kann ich gewinnen. Mindestens. Das Spiel gehört mir, denke ich und blicke Waldemar Forster an, der mir gegenübers­itzt. „18?“, sagt er. „Jo“, sage ich selbstbewu­sst. „20?“„Ja“. „22?“„Jo“. „Weg“, sagt Waldemar. Und auch Walter Weiler, der dritte am Tisch, winkt ab. Er schiebt mir die beiden verdeckten Karten von der Tischmitte zu, den Skat. Ich nehme die Karten auf und schiebe zwei andere in die Mitte. Ich „drücke“sie, wie es im Fachjargon heißt. „Grand“, sage ich. Es kann losgehen. Ich allein gegen Waldemar und Walter. Vier Jahre Skat-Erfahrung gegen insgesamt 88 Jahre geballte Spielpraxi­s. Aber jetzt hoffe ich auf den großen Wurf.

Ich bin zu Gast beim Klub-Abend des SC Massel Dillingen. Der steigt an jedem ersten und dritten Freitag im Monat. Neben mir haben sich zehn Männer im Vereinshei­m des VfB Dillingen versammelt. Sie alle könnten locker meine Väter sein. Waldemar, mein Kontrahent in der ersten von zwei Runden, ist heute mit 63 Jahren der Jüngste. Das ist bezeichnen­d. Im organisier­ten Skat gibt es massive Nachwuchsp­robleme. Überall, auch im Saarland. Massel-Präsident Reinhard Meyer, der auch Vorstandsm­itglied im Skatverban­d Rheinland-Pfalz/Saarland ist, führt mir das ganze Ausmaß der Sorgen vor Augen: „Wir haben nur noch zwei jugendlich­e Spieler im Saarland“, berichtet er. Die beiden Skat-„Küken“sind 18 und 19 Jahre alt und spielen bei den Skatfreund­en Stennweile­r. „Im Zeitalter von Handy und Computer hat der Skat keine Chance.“Dabei versucht der Verband so viel: Man fördert die Jugend, bietet Seminare an, geht an Schulen und veranstalt­et dort Skat-AGs. Doch das nützt nur wenig. Umso erfreuter sind heute Abend alle über meinen Besuch – auch wenn ich mit meinen 35 Jahren sicher auch nicht mehr als Jugend-Spieler durchgehe. Meine Skat-Fähigkeite­n sind zudem bescheiden. Ich bringe es fertig, meinen Grand zu vergeigen. Das gibt reichlich Minuspunkt­e. Wie mir später wortreich erklärt wird, wird mir zum Verhängnis, dass einer meiner Gegner die beiden übrigen Buben hält. So konnte ich kaum gewinnen. Kurzum: Es war viel zu riskant, in Mittelhand Grand anzusagen. Außerdem: „Du hättest mindestens 14 Punkte drücken müssen“, erklärt mir Walter Weiler. Ich glaube ihm. Der 72-Jährige spielt seit 50 Jahren Skat. Aber er bringt viel Verständni­s auf für Anfänger wie mich – wie alle an diesem Abend. Kein böses Wort fällt, wenn ich mal wieder einen Mitspieler ins Verderben geführt habe.

Nun bin ich dran mit Geben. Sorgfältig mische ich die Karten. Zu sorgfältig. „In Burbach hat sich schonmal jemand totgemisch­t“, sagt Walter spöttisch. Übersetzt: Ich soll endlich die Karten verteilen. Im Skat geht es fix zu. „Das ist das zweitschne­llste Spiel nach Eishockey“, erklärt mir Walter und nimmt seine Karten auf. „18“, sagt er. Waldemar ist weg. „Du passt zu schnell“, sagt Walter. „Hast du Maurer gelernt?“, fragt er ihn. Solche Sprüche gehören dazu. „Mauern“ beschreibt eine extrem defensive Spielweise, bei der man den Gegnern die allermeist­en Alleinspie­le überlässt und lieber mit dem dritten Mann am Tisch im Team spielt. Skat – das ist immer zwei gegen einen. Auch ich verzichte jetzt weitgehend auf Solo-Spiele. Meine Karten sind mies, und das Grand-Fiasko hat seine Spuren hinterlass­en. Doch meine vorsichtig­e Spielweise nützt mir nichts. Schnell liege ich weit hinten und beschließe Runde eins auf Platz drei von drei. Walter macht mir Mut: „Schön gespielt, hast wenig Fehler gemacht“, sagt er, als er vom Tisch aufsteht. Und ein letzter Tipp: „Wichtig ist, beim Solospiel immer schön Trumpf anspielen.“

Fallstrick­e bietet das Spiel genug. Skat ist komplex. Massel-Spieler Rei- ner Junghans, Saarlandme­ister von 2017, veranschau­licht das wie folgt: Statistisc­h gesehen müsste man 1000 Jahre ununterbro­chen spielen, um alle Konstellat­ionen einmal zu erleben. Es gibt 2 753 294 408 504 640 mögliche Kartenvert­eilungen, also mehr als 2,75 Billiarden. Die Kunst ist es, den Überblick zu behalten: Wer hat wie gereizt? Welche Karten wurden schon gespielt? Was hat mein Partner noch auf der Hand? Welche Karte muss ich also ausspielen? Könnern fällt das leicht, mir raucht nach wenigen Stunden der Kopf. Doch gerade diese Komplexitä­t ist es, die Skat ausmacht: „Es ist ein fasziniere­ndes Spiel mit vielen Möglichkei­ten“, sagt Meyer.

Der Präsident sitzt in Runde zwei mit mir an einem Tisch. Der 72-Jäh- rige spielt seit 55 Jahren Skat. Der dritte Mann ist Jürgen Seger. Der 75-Jährige ist sogar schon seit 62 Jahren aktiv. „Und ich kann es immer noch nicht richtig“, scherzt er. Das stimmt natürlich nicht. Mit dem traditione­llen „Gut Blatt“beginnt die Runde. Die Karten fliegen in die Mitte. Es geht rasant zu – eben fast wie beim Eishockey. Für mich manchmal zu schnell. Gerade habe ich ein gemeinsame­s Spiel mit Jürgen gegen Reinhard verloren. Wir sind „Schneider“, haben also 30 Punkte oder weniger von 120 gewonnen. Jürgen erklärt mir, warum: Beim dritten Stich hätte ich mit der Kreuz 10 „schmieren“müssen. Ich kann mich an den Stich schon gar nicht mehr erinnern. Die Serie endet für mich wie die vorherige: abgeschlag­en auf Platz drei.

Es ist inzwischen fast Mitternach­t. Gut viereinhal­b Stunden Skat liegen hinter uns. Zeit, in die Zukunft zu blicken: Wird es Skat in 30 Jahren noch geben? Reinhard Meyer überlegt. „Es wird das Spiel dann schon noch geben“, sagt er. Immerhin habe die Unesco Skat als immateriel­les Kulturerbe anerkannt. Eine andere Frage sei, ob das Spiel künftig noch in der organisier­ten Form wie heute existieren wird. Denn noch gibt es Skatverein­e, einen Ligabetrie­b und Meistersch­aften. Doch der Trend sei klar, sagt Reinhard Meyer: „Vereine lösen sich auf, Mitglieder­zahlen sinken.“Im Saarland gebe es nur noch etwa 160 aktive Spieler. „Auch wir werden irgendwann den Betrieb einstellen müssen“, sagt er mit Blick auf Massel Dillingen, mit acht Saarlandme­isterschaf­ten der erfolgreic­hste Klub im Land. 19 Mitglieder sind dem Verein noch geblieben. Und so lange es geht, werden diese weiter reizen, schmieren und stechen. In der Liga, bei Meistersch­aften oder auch beim KlubAbend an jedem ersten und dritten Freitag im Monat.

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 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? SZ-Redakteur Gerrit Dauelsberg zog beim Skat-Abend nicht nur gegen Walter Weiler (li.) den Kürzeren.
FOTO: OLIVER DIETZE SZ-Redakteur Gerrit Dauelsberg zog beim Skat-Abend nicht nur gegen Walter Weiler (li.) den Kürzeren.

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