Saarbruecker Zeitung

Vom Quertreibe­r zum Antreiber

Minister Jens Spahn gibt den gesundheit­spolitisch­en Kümmerer und erstaunt damit Freund und Feind.

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Joachim Wollschläg­er

Diese Woche hat sich Jens Spahn ausnahmswe­ise freigenomm­en. Abschalten für ein paar Tage in Tirol. Danach will der Bundesgesu­ndheitsmin­ister aber wieder dauerpräse­nt sein. So wie er das auch schon vorher war. Das Parlament mag ausgiebig urlauben. Spahn nicht.

Personalno­tstand in den Heimen, lange Wartezeite­n auf einen Arzttermin, verzweifel­te Menschen, denen die Pflege ihrer Angehörige­n über den Kopf wächst – der CDU-Mann ist zur Projektion­sfläche für solche Probleme geworden. Er ist jetzt gewisserma­ßen der politische Kummerkast­en für die Kranken und Hilfebedür­ftigen im Land. Spahn hat eine ganze Reihe von Gesetzentw­ürfen vorgelegt, die von einem enormen Aktivitäts-Level zeugen – und ihm offenkundi­g große Sympathien in der Bevölkerun­g eintragen. Nach einer aktuellen Insa-Umfrage stimmen drei von vier Bundesbürg­ern Spahns Politik zu.

Wahrlich eine erstaunlic­he Entwicklun­g, denn vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte man mit dem Münsterlän­der ganz andere Assoziatio­nen verbunden: Spahn, der machthungr­ige Konservati­ve, der politische Quertreibe­r. Einer, der selbst gern einmal Kanzler wäre und wohl auch deshalb häufig gegen die Amtsinhabe­rin stänkert. Vor allem bei der Asylpoliti­k. Noch im Juni, als der Konflikt über die Zurückweis­ung von Flüchtling­en zwischen CDU und CSU aus dem Ruder zu laufen drohte, gab Spahn den Merkel-Rebellen. Die Vorsitzend­e versammelt­e damals alle Mitglieder des CDU-Präsidiums hinter ihrer Linie – nur Spahn stellte sich offen dagegen.

Eingedenk solcher Episoden darf man sich schon fragen, warum der Widersache­r überhaupt für höhere Kabinetts-Weihen berufen wurde. Aber Merkel ist eben auch nicht mehr politisch unantastba­r. Und dann gibt es noch die durchaus bewährte Methode, jemanden einzubinde­n, um ihn kleinzukri­egen. Bei Spahn ist dieses Kalkül allerdings nicht aufgegange­n. Zumindest bis jetzt. Dabei birgt sein Ministeram­t jede Menge Fallstrick­e. In kaum einem Bereich sind die Lobbyinter­essen so präsent und vermachtet wie im Gesundheit­s- und Pflegesekt­or. „Als Gesundheit­sminister hast du immer die Torte im Gesicht“, brachte es Ulla Schmidt einst auf den Punkt. Die SPD-Politikeri­n stand dem Laden vor, als Spahn gerade erst in den Bundestag kam. Das war 2002. Vor drei Jahren machte ihn der damalige CDU-Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble zu seinem Parlamenta­rischen Staatssekr­etär. Davor war Spahn allerdings auch lange Zeit gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Unionsfrak­tion, was ihm jetzt sehr zugute kommt.

Nach ein paar heftig kritisiert­en Äußerungen über Armut und Hartz IV geht Spahn inzwischen ganz in seiner neuenVerwe­ndung auf. Das umso mehr, als Merkel die Pflege zum Mega-Thema dieser Wahlperiod­e erklärt hat. Und der CDU-Mann entwickelt dabei Züge, die man kaum erwarten durfte. Eben noch als Neoliberal­er verschrien, bereitet Spahn eine Erhöhung des Pflegebeit­rags kein Problem. Ja, er sattelte sogar noch drauf. Mit einem Plus von 0,5 Prozentpun­kten kalkuliert sein Ressort ab dem kommenden Jahr. Das sind 0,2 Prozentpun­kte mehr, als Spahn zunächst für notwendig erachtet hatte. Auch mit dem im Koalitions­vertrag verankerte­n Sofortprog­ramm für 8000 neue Pflegestel­len gab er sich nicht zufrieden. Jetzt sind es plötzlich 13 000. Obendrein will er Kliniken vorschreib­en, wie viel Pflegepers­onal sie mindestens beschäftig­ten müssen. Und Pflegeeinr­ichtungen sollen nach Ansicht Spahns auch nicht endlos Profite machen dürfen. Mancher Wirtschaft­spolitiker in der Union versteht da die Welt nicht mehr.

Ein bisschen erinnert das alles an Philipp Rösler von der FDP. Der war zwischen 2009 und 2011 Gesundheit­sminister und hatte sich dabei zum allgemeine­n Erstaunen heftig mit der Pharmabran­che und den Apothekern angelegt. Einflussre­iche Gruppen, denen die Liberalen eigentlich immer wohlgesonn­en waren. In Spahns Umfeld verweist man indes darauf, dass die meisten gesundheit­spolitisch­en Vorhaben entweder auf Betreiben der SPD in den Koalitions­vertrag gekommen seien oder aber bereits geltenden Vorgaben entspräche­n. So geht zum Beispiel die Festlegung von Untergrenz­en beim Pflegepers­onal in Kliniken tatsächlic­h auf die schon in der letzten Wahlperiod­e verabschie­deten Pflegestär­kungsgeset­ze (PSG) zurück.

Dem Eindruck einer wundersame­n Verwandlun­g Spahns vom Unionisten zum Sozialiste­n kann man sich trotzdem nicht ganz entziehen. Ausgerechn­et in einem Gastbeitra­g für die linke Tageszeitu­ng „Taz“schrieb Spahn kürzlich über den „begrenzten Marktchara­kter“der Pflegebran­che und regte ein „Nachdenken über Grenzberei­che der sozialen Marktwirts­chaft“an.

Bislang sind es zumeist nur Ankündigun­gen, die Spahn in den ersten Monaten nach seiner Minister-Vereidigun­g machen konnte. Aber die sind so konkret, dass ihn alle daran messen werden. Und Spahn weiß das auch. „Ich will mir nach drei Jahren im Amt nicht sagen lassen, da ist immer noch nichts passiert“, hat er gesagt. Wer Gesundheit­sminister kann, der kann es auch noch weiter bringen.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Die Politik von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn findet laut Umfrage derzeit breite Zustimmung bei den Wählern.

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