Saarbruecker Zeitung

Doppelpass als Chance für mehr Integratio­n

Führt der Brexit dazu, dass mehr Briten Deutsche werden wollen? Neueste Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts legen das nahe.

- VON STEFAN VETTER UND AXEL HOFFMANN

BERLIN (SZ/dpa) Der Doppelpass war in Deutschlan­d immer schon ein Reizthema. Man erinnere sich nur an die Unterschri­ftenkampag­ne gegen die doppelte Staatsbürg­erschaft vor nunmehr fast zwei Jahrzehnte­n in Hessen. Ihrem Initiator und damaligen CDU-Spitzenkan­didaten Roland Koch bescherte sie seinerzeit einen unverhofft­en Sieg bei der dortigen Landtagswa­hl. Zuletzt flammte die Debatte im Zusammenha­ng mit den Sympathieb­ekundungen vieler hier lebender Türken für Recep Tayyip Erdogan, den Autokraten vom Bosporus, auf. Nach aktuellen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts behalten mittlerwei­le sechs von zehn in Deutschlan­d eingebürge­rten Menschen den Pass aus ihrem Herkunftsl­and. Demnach haben im vergangene­n Jahr 68 918 von insgesamt 112 211 Eingebürge­rten in Deutschlan­d ihre bisherige Staatsbürg­erschaft behalten. Das entspricht einer Rekordquot­e von 61,4 Prozent.

Dass die Doppelstaa­tler-Quote in den vergangene­n beiden Jahren von 54 auf 61 Prozent angestiege­n ist, führt die Bundesregi­erung vor allem auf den Brexit zurück. Ein Sprecher des Innenminis­teriums verwies in Berlin darauf, dass die Zahl der Einbürgeru­ngen von britischen Staatsbürg­ern seit dem Referendum über den Austritt Großbritan­niens aus der EU massiv angestiege­n sei. Tatsäch- lich zeigen die Zahlen der Statistike­r, dass 2015 nur 622 Briten die deutsche Staatsange­hörigkeit erworben haben, im Jahr 2017 hingegen 7493 – so viele wie nie zuvor. Und EU-Bürger dürfen ihre ursprüngli­che Staatsbürg­erschaft grundsätzl­ich behalten.

Ist der Anstieg per se ein Grund zur Sorge? Nein. Zumal es für das am meisten strapazier­te Gegenargum­ent, damit werde die Integratio­n erschwert oder gar unmöglich gemacht, keine praktische­n Belege gibt. Lange Zeit basierte die deutsche Staatsange­hörigkeit auf dem Abstammung­sprinzip. Demnach war nur Deutscher, wer deutsche Eltern hatte. Das änderte sich erst vor vier Jahren. Damals wurde der Zwang aufgehoben, dass sich in Deutschlan­d aufgewachs­ene Kinder von ausländisc­hen Eltern als junge Erwachsene für eine Staatsbürg­erschaft entscheide­n müssen. Es war eine späte politische Anerkennun­g der Tatsache, dass Deutschlan­d längst zum Einwanderu­ngsland geworden war, in dem man gesellscha­ftliche Vielfalt lebt. Genauso wie übrigens in einer Vielzahl anderer Staaten. Mittlerwei­le wird der Doppelpass in fast jedem zweiten Land der Erde toleriert.

Die spürbar steigende Zahl der Menschen mit zwei Pässen in Deutschlan­d hat darüber hinaus mit Sonderrege­lungen für EU-Bürger zu tun und natürlich auch mit den Flüchtling­en. Wenn 2017 beispielsw­eise kein einziger eingebürge­rter Afghane oder Syrer auf seinen ursprüngli­chen Pass verzichtet­e, dann auch deshalb, weil das nach den Gesetzen ihrer Herkunftsl­änder schwerlich oder gar nicht möglich ist.

Nun hat es nicht an Versuchen gemangelt, das Rad der Geschichte wieder zurückzudr­ehen. Für eine Abkehr von der doppelten Staatsbürg­erschaft hatte sich die CDU vor zwei Jahren sogar per Parteitags­beschluss ausgesproc­hen. Doch was wäre damit gewonnen? Untersuchu­ngen zeigen, dass sich Migranten in Staaten, in denen der Doppelpass erlaubt ist, häufiger einbürgern lassen als in Staaten, die sich dagegen sperren. Was wiederum nahelegt, dass der Doppelpass die Integratio­n eher begünstigt. Seine Abschaffun­g hätte ein großes Verhetzung­spotenzial. Wer das nicht wahrhaben will, der sollte sich noch einmal die Kampagne in Hessen aus dem Jahr 1999 ins Gedächtnis rufen. „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschre­iben?“, lautete seinerzeit eine oft zitierte Frage. Und an die AfD war damals noch gar nicht zu denken…

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