Saarbruecker Zeitung

Ein entwurzelt­er Weltbürger

Im Alter von 85 Jahren ist V.S.Naipaul, der aus Trinidad stammte und seit 1950 in England lebte, gestorben. 2001 hatte er den Literaturn­obelpreis erhalten.

-

in Chaguanas zu lösen und ein Haus in Port of Spain zu kaufen. Ein eigenes Haus – das hieß für den Vater, „einen Anspruch auf seinen Teil der Erde geltend zu machen.“

Den Sohn trieb es in die Ferne. Ein

V.S.Naipaul Stipendium ermöglicht­e ihm 1950 ein Studium in Oxford. Obwohl er unter Heimweh und englischem Essen litt, war Naipaul fest entschloss­en, nicht auf sein tropisches Eiland zurückzuke­hren. „Ich würde geistig völlig verkümmern“, schrieb er seinem Vater. Trinidad, das waren für ihn Unterentwi­cklung und Perspektiv­losigkeit, Großbritan­nien dagegen Bildung und Zivilisati­on. Nach einigen Jahren als Journalist für britische Medien begann Naipaul, Romane zu schreiben. Die ersten spielten noch auf Trinidad. Später erkundete er Afrika, Asien und Lateinamer­ika und verarbeite­te seine Eindrücke in Romanen, Reportagen und Essays. In „Land der Finsternis“(1964, dt. 1997) analysiert­e er kritisch die Verhältnis­se in Indien, Land seiner Vorfahren. In „Eine Islamische Reise“(1981, dt. 1982) wurde er zum Islamkriti­ker. In „An der Biegung des großen Flusses“(1979, dt. 1980) beschrieb er Chaos und Gewaltherr­schaft in den unabhängig gewordenen Staaten Afrikas und in seiner Romanbiogr­afie „Das Rätsel der Ankunft“(1987) sein Leben zwischen den Kontinente­n. Naipauls Stärken waren seine klare, schnörkell­ose Sprache, sein Recherchef­leiß und seine Fähigkeit, genau zu beobachten. Er wurde von Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen, 2001 erhielt er den Literaturn­obelpreis. Kritiker warfen ihm neben Arroganz und Ruppigkeit vor, die Welt vor allem aus dem Blickwinke­l der Kolonialhe­rren zu betrachten. Er konterte, er wolle keiner romantisch­en Idealisier­ung der Länder des Südens das Wort reden. Diese seien für ihre Armut und Unterentwi­cklung großteils selbst verantwort­lich. Muslime empörte er mit der Aussage, der Islam habe in nichtarabi­schen Ländern wie Indien mehr Schaden angerichte­t als der Kolonialis­mus.

In der von Naipaul autorisier­ten, 2008 erschienen­en Biografie des britischen Literaturw­issenschaf­tlers Patrick French „The world is what it is“las man teils wenig Schmeichel­haftes über ihn. So soll er seine erste Ehefrau Patricia Hale, die 1996 an Krebs starb, jahrzehnte­lang vernachläs­sigt, demütigt und betrogen haben. Naipaul gestand eine Mitschuld an ihrem Tod ein. In seinem Spätwerk behandelte der entwurzelt­e Weltbürger in „Ein halbes Leben“(2001, dt. 2003) oder „Magische Saat“(2004, dt. 2005) wieder die Fragen von Identität und Heimatlosi­gkeit. Nach seinem letzten, 2010 erschienen­en Buch „Afrikanisc­hes Maskenspie­l“(dt. 2011) soll er noch an einem neuem gearbeitet haben, das nun womöglich posthum erscheinen wird.

„Ich würde geistig in Trinidad verkümmern“

aus einem Brief an seinen Vater

 ?? FOTO: CHRIS ISON/DPA ?? Naipaul 2001 in seiner britischen Wahlheimat Salisbury.
FOTO: CHRIS ISON/DPA Naipaul 2001 in seiner britischen Wahlheimat Salisbury.

Newspapers in German

Newspapers from Germany