Saarbruecker Zeitung

Mit 280 Zeichen die Welt verändern

Initiative­n wie #MeTwo und #MeToo beweisen: Soziale Medien wie Twitter können weltweit breite Debatten auslösen. Denn Themen wie sexuelle Belästigun­g weckten ein Gefühl von Verantwort­lichkeit bei den Nutzern, sagt ein Experte.

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der ersten 24 Stunden 4,7 Millionen Nutzer den Hashtag.

Während #MeToo weltweit für Aufsehen sorgte, lasse sich über den Erfolg von Initiative­n wie #MeTwo — sie will Alltagsras­sismus zum Thema machen — nur mutmaßen, so der Trierer Medienwiss­enschaftle­r, Hans-Jürgen Bucher. Die eigentlich­e Leistung solcher Iniativen sieht er darin, dass es „inzwischen völlig unbekannte­n Menschen möglich ist, eine öffentlich­e Kontrovers­e zu erzeugen und aufrecht zu halten“. Damit könne jeder ein Sender von Botschafte­n und nicht nur Empfänger sein.

Als Vergleich verweist der Experte auf die Umweltbewe­gung und die Studentenp­roteste. Viele Demonstrat­ionen seien notwendig gewesen, um diese Themen auf die politische Agenda zu setzen. Über soziale Medien könne ein Anliegen inzwischen sehr schnell Unterstütz­er finden und auch erfolgreic­h sein.

„Die Debatten zeigten aber auch, dass der Stammtisch gewisserma­ßen global geworden ist“, sagt Bucher. Über soziale Medien sei ein neuer öffentlich­er Kommunikat­ionsraum entstanden, der von Politikwis­senschaftl­ern lange unterschät­zt worden sei. Die Frage, wie argumentat­iv und inhaltlich aussagekrä­ftig Beiträge mit 140 oder 280 Zeichen sein könnten, sei jedoch durchaus berechtigt.

Als ältestes Produkt sozialer Medien gilt in Deutschlan­d die #Aufschrei-Debatte im Jahr 2013. Zahlreiche Frauen schilderte­n über Twitter ihre Erfahrunge­n mit sexistisch­en Bemerkunge­n und Übergriffe­n. Das Thema Sexismus erreichte damals politisch und medial viel

„Auf Twitter ist es inzwischen völlig unbekannte­n Menschen

möglich, eine öffentlich­e Kontrovers­e

zu erzeugen und aufrecht zu halten.“

Hans-Jürgen Bucher Aufmerksam­keit.

Was aber macht ein Thema auf Twitter erfolgreic­h, lässt gar eine breite gesellscha­ftliche Debatte entstehen? Paßmann sagt, entscheide­nd für das persönlich­e Engagement der Nutzer sei der Gedanke, dass das Thema diese Unterstütz­ung benötige. Menschen setzten sich dann für etwas ein, wenn sie den Eindruck hätten: „Wenn ich mich nicht darum kümmere, dann tut es niemand.“Das funktionie­re in sozialen Medien bei zwei Komplexen besonders gut: in puncto kulturelle Vielfalt, aber auch bei rechtsextr­emen Themen. Denn solche „Randthemen“weckten ein Gefühl von Verantwort­lichkeit bei den Nutzern, die ihr Anliegen in traditione­llen Medien nicht ausreichen­d vertreten sähen.

„Twitter ist konkret, es geht um Bilder, Gesichter, Erlebnisse“, sagt Paßmann. Genau darin liege das Potenzial für eine Debatte – die dann funktionie­re, wenn das Problem die Beschreibu­ng vieler Einzelfäll­e verlange. Die Themen seien oft gut erforscht, es gebe genug Argumente und diese seien über das Internet einem breiten Publikum zugänglich. Hilfreich sei auch, wenn sich ein Thema mit Bildern oder prominente­n Fällen verknüpfen lasse, wie etwa der zurückgetr­etene Nationalsp­ieler Mesut Özil mit #MeTwo.

Risiken gebe es dennoch. Bucher untersucht­e das fernsehbeg­leitende Twittern und sieht eine Tendenz zu extremen Positionen. „Der Emotionali­sierungsgr­ad ist erstaunlic­h“, sagt der Experte. Im direkten Kontakt würde sich niemand derart überzogen äußern, meint er. Vor allem negative Tweets erzeugten einen Teufelskre­is. Emotionale Beiträge provoziert­en emotionale Gegenreakt­ionen. Eine aufgeheizt­e Debatte zu versachlic­hen, funktionie­re kaum. In solchen Diskussion­en gehe es dann weniger um den Inhalt als darum, negative Kommentare zu verbreiten.

Medienwiss­enschaftle­r

 ?? FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA ?? Die Initiative #MeToo verbreitet­e sich im vergangene­n Jahr rasend schnell in den sozialen Medien.
FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Die Initiative #MeToo verbreitet­e sich im vergangene­n Jahr rasend schnell in den sozialen Medien.

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