Saarbruecker Zeitung

Die Türkei ist selbst schuld an den Problemen im Land

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In ihrer wachsenden Wut auf die USA und ihrer Weigerung, zur finanz- und wirtschaft­spolitisch­en Vernunft zurückzuke­hren, gleicht die türkische Regierung einer Zeichentri­ckfigur, die über den Rand des Abgrundes hinausgeja­gt ist und jetzt für einige Sekunden in der Luft rudert: Die harte Landung ist absehbar.

Präsident Erdogan sagt nicht nur Donald Trump den Kampf an, sondern auch den internatio­nalen Finanzmärk­ten. Die Türkei sei zum „Krieg“bereit, sagte Erdogan am Montag. Ein schlüssige­s Programm zur Bekämpfung der Krise hat seine Regierung aber nicht: Während Erdogan weiter Kampfrheto­rik verbreitet­e, sackte die Lira im Vergleich zum Freitag weiter ab. Die Leidtragen­den sind türkische Normalbürg­er, deren Ersparniss­e dahinschme­lzen.

Viele Probleme sind hausgemach­t. In den Jahren des billigen Geldes hat die Türkei strukturel­le Reformen verschlafe­n und muss jetzt bei steigenden Zinsen mit ansehen, wie sich Investoren zurückzieh­en, um ihr Vermögen woanders anzulegen. Erdogans offene Einflussna­hme auf die Entscheidu­ngen der Zentralban­k, die schwache Vorstellun­g seines Schwiegers­ohnes und Finanzmini­sters Berat Albayrak und der Streit mit Trump verschreck­en die Anleger noch weiter. Ohne Kurskorrek­tur droht der Türkei eine Pleitewell­e.

Verstärkt wird die Misere durch das neue Präsidials­ystem, das wenige Wochen vor dem Beginn des Zerwürfnis­ses mit den USA in

Kraft trat. Es gibt niemanden in Ankara, der Erdogans Politik wirksam kontrollie­ren und, wenn nötig, ein Gegengewic­ht bilden kann, wie die Vorgaben des Staatschef­s an die Zentralban­k zeigen. Früher oder später wird die türkische Führung jedoch wie die Zeichentri­ckfigur von der Schwerkraf­t eingeholt werden. Selbst ein Hilfspaket des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) für die Türkei wird inzwischen diskutiert. Das kann Erdogan nicht wollen – aber was er will, ist schwer zu sagen, denn sein bisheriges Verhalten führt geradewegs ins Chaos.

Ähnliches gilt für seine Außenpolit­ik. Im Streit mit den USA hat Erdogan hoch gepokert: Seine Regierung versuchte, im Gegenzug für eine Freilassun­g des US-Pastors Brunson von Washington weitreiche­nde Zugeständn­isse zu erhalten, und ist dabei gescheiter­t. Zwar hat Erdogan Recht, wenn er jetzt beklagt, dass Trump die Freilassun­g des Priesters mit Sanktionen erpressen will. Die amerikanis­che Regierung setzt auf eine offene Kampfansag­e an Erdogan statt auf eine Fortsetzun­g diskreter Gespräche. Doch dass es so weit gekommen ist, liegt nicht zuletzt an Erdogans Selbstüber­schätzung im Umgang mit den USA.

Auch in den Beziehunge­n zu Europa sind Turbulenze­n trotz aller Bemühungen beider Seiten um eine Normalisie­rung möglich. Schließlic­h gibt es auch in den türkisch-europäisch­en Beziehunge­n einige ungelöste Streitpunk­te, von denen einer oder mehrere plötzlich eskalieren könnten. Die Türkei – so zeigt sich an der ersten ernsten Bewährungs­probe für das neue Präsidials­ystem – ist unberechen­barer geworden.

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