Wie mit Statistiken Politik gemacht wird
Lobbygruppen überschwemmen Politiker und Journalisten beständig mit Studien von teils zweifelhaftem Wert.
Mal eine mit Spannung erwartete Rangliste enthält.
Auf Gewerkschaftsseite hält die Hans-Böckler-Stiftung mit ihrem hauseigenen „Institut für Makroökonomie“argumentativ dagegen. Dessen Chef Gustav Horn gibt sich mit Hüther bei Pressekonferenzen mitunter regelrecht die Klinke in die Hand. Auch verschiedene Sozialverbände melden sich häufig, allen voran der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, der Untersuchungen zur Armut im Land veröffentlicht. Sein Geschäftsführer Ulrich Schneider ist nicht nur wegen seines markanten Backenbartes republikweit bekannt; er ist als Sozial-Experte häufig gebuchter Interviewpartner und wortgewaltiger Talkgast. Auch der Sozialverband Deutschland meldet sich regelmäßig, meist zur Rente.
In der Energie- und Klimapolitik ist die Zahl der Studien besonders groß – und sehr einseitig verteilt. Hier erheben fast nur Leute die Stimme, die für den Ausbau der Erneuerbaren Energien sind. Ob Bundesverband Windenergie, Stiftung Offshore-Windenergie, Agentur für Erneuerbare Energien oder Agora-Energiewende – wer will, kann sich mit Daten überschütten lassen, die wahlweise besagen, wie gut der Ausbau der Erneuerbaren doch vorangeht, wie sehr er wegen schlechter Politik gerade ins Stocken zu geraten droht, oder wie nötig jetzt eine deutliche Beschleunigung und bessere Förderung wäre. Der Deutsche Wetterdienst mit seinen regelmäßigen Wetterbilanzen und Klimaanalysen sowie das Deutsche Klimakonsortium runden das Bild ab. Die Gegenseite ist kaum aktiv; für Kohle- oder Atomstrom lässt sich freilich auch schlecht argumentieren.
Mächtige Interessengruppen tummeln sich auch im Bereich der Gesundheit. Fast alle Kassen treten regelmäßig mit Studien auf, die mal Arzneimittelreport, Krankenhausreport oder Pflegereport heißen. An Daten über die Zu- oder Abnahme bestimmter Krankheiten in Deutschland und über die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems fehlt es also nicht. Diagnose klar, Therapie umso umstrittener. Legitim ist das alles, auch sind die mitgeteilten Statistiken fast immer seriös. Nur sind sie eben nicht vollständig, sondern sorgsam ausgewählt und gewichtet. Wer den Pressekonferenzen folgt – und darüber berichtet – muss immer wissen, welche Ziele die Absender der Information damit verbinden. So wurde kürzlich eine umfangreiche Studie zur Medienund Internetnutzung von Kindern veröffentlich. Alles sehr interessant. Auffällig war nur, dass sehr viele Daten zum Konsum von Kinderzeitschriften und zur Akzeptanz von Werbung mitgeteilt wurden. Die Auftraggeber, sechs Verlage, publizieren selbst diese Produkte. Im Gegenzug interessierte sie bei der Untersuchung überhaupt nicht, wie sich das Freizeitverhalten der Kinder je nach sozialen Schichten unterscheidet. Am neutralsten sind die regelmäßig vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten, aber auch Studien von unabhängigen Stiftungen wie der Bertelsmann-Stiftung.
Scheinbar ohne Hintergedanken kommt alljährlich eine besonders pittoreske Studie mit dem Titel „Die Ängste der Deutschen“daher. Terrorismus, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit – es ist enorm spannend zu erfahren, was die Leute um den Schlaf bringt. Der Auftraggeber kommt damit immer ganz groß in die Zeitung, ohne Geld für eine Anzeige bezahlen zu müssen. Es ist eine Versicherung, deren Name in diesem Text aber ungenannt bleiben darf.
In der Energie- und Klimapolitik ist die Zahl der Studien besonders groß – und sehr einseitig verteilt